Körber-Stiftung ehrt die Volkswirtin, die erforschte, wie viel Geld Frauen verlieren, wenn sie Babys bekommen - und was man da ändern kann.

Hamburg. "Von den Besten die Wichtigsten" - so lautet das Motto des Deutschen Studienpreises, den die Körber-Stiftung jährlich auslobt. Bewerben können sich Akademiker und Akademikerinnen, die ihre Promotion mit den Topnoten "magna cum laude" oder "summa cum laude" abgeschlossen haben, von einer Jury ausgesiebt und nach einer weiteren Präsentation zu Preisträgern gekürt werden. So wie Christina Boll ("summa cum laude") vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI), 43, die gestern in Berlin in der Parlamentarischen Gesellschaft ausgezeichnet wurde - mit einem 2. Preis.

Entscheidend für diesen renommierten Preis ist die gesellschaftliche Relevanz der Forschungen, erklärt die Wissenschaftlerin, die beim HWWI seit 2008 das Themenfeld Erwerbstätigkeit und Familie leitet. Gesellschaftliche Relevanz hat ihr Thema ohne Zweifel. Christina Boll untersuchte, zu welchen Lohneinbußen sich verschiedene Arten der geburtsbedingten Erwerbsunterbrechungen aufsummieren - mit dem Ziel, Politikern und Unternehmen fundierte Hinweise darauf zu geben, mit welchen Maßnahmen sie die Arbeitnehmer bei ihrer Entscheidung für Kinder unterstützen können.

Ein Thema, bei dem Christina Boll bestens im Bilde ist. Die mit ihren kurzen dunklen Haaren und im Hosenanzug burschikos wirkende Forscherin hat nach ihrem Volkswirtschaftstudium in Mainz und Kiel ab 1995 einen Bilderbuch-Karrierestart hingelegt: finanz- und steuerpolitische Referentin beim Sparkassen- und Giroverband in Bonn, dessen Präsident damals noch Horst Köhler war. Dann Redenschreiberin von Rainer Brüderle, als der noch Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz war. 1998 kam der erste Sohn, 2000, kurz vor dem familienbedingten Umzug in den Norden, der zweite.

"Ich habe hier oben noch mal neu angefangen, als freiberufliche Dozentin an verschiedenen Hochschulen, zehn Jahre lang." 2004, pünktlich zum dritten Kind, bekam sie ihr Promotionsstipendium. Da hatte sie - "Volkswirtschaftler denken immer über Zahlen nach" - die Forschungslücke längst im eigenen Leben entdeckt: Was geht, neben der unglaublichen Bereicherung durch drei Kinder, einer gerne berufstätigen Frau dadurch verloren im Erwerbsleben, in Euro und Cent? Verglichen mit einer "Benchmark"-Frau, einer also, die ununterbrochen vollzeiterwerbstätig ist und im Beruf jede Aufstiegschance nutzen kann?

"Bis zu 200 000 Euro brutto bis zum 46. Lebensjahr" können das sein, sagt Christina Boll. Und das ist nur entgangene oder geminderte Entlohnung, das sind nicht die laufenden Kosten für den Nachwuchs. Das erkläre vieles, sagt sie. Verluste schleppt man selbst dann weiter, wenn Frauen nach Elternzeit oder Teilzeitphase in einen Vollzeitjob zurückgekehrt sind. Dieses Einkommensloch haben viele Frauen gespürt, aber wer drinsteckt, möchte es gar nicht so genau wissen, und wer auf Kinder verzichtet hat, erst recht nicht. Der ökonomische Rückschlag erklärt u. a das unterschiedliche Geburtenverhalten nach Bildung, im Osten und Westen Deutschlands. Und die Vorsicht vieler Frauen, die sich bei steigenden Scheidungsraten das Risiko von Lohneinbußen dreimal überlegen.

Ist sie selbst auch ein Beispiel für ihre Theorie? "Das frage ich mich häufig", sagt Christina Boll nachdenklich. Einerseits würden Geburtsentscheidungen zum Glück nicht nur nach ökonomischen Überlegungen getroffen. Andererseits konnte sie durchaus atypisch arbeiten: "Ich habe nie wirklich aufgehört." Im Erziehungsurlaub hatte sie Werkverträge, in ihrer Dozentenzeit konnte sie sehr flexibel arbeiten. Und auch jetzt, im HWWI, wird eher auf den Output geschaut als auf permanente Verfügbarkeit. Das bedeutet aber immer: Arbeit auch mal am Wochenende oder in der Nacht. "Zum Glück brauche ich wenig Schlaf", sagt sie. Und bekennt, dass sie selbst beim Joggen immer mal wieder mit den Gedanken bei der Arbeit ist. Die Familie wird eingespannt, die gute Betreuungsstruktur im Hamburger Speckgürtel ist herzlich willkommen.

Sie sieht aber auch: "Diese Kombination von Vorteilen haben nicht viele Menschen. Da können viele Unternehmen noch deutlich nachlegen", sagt sie. Arbeit und Familie auch für die Väter besser vereinbar machen, es hinbekommen, dass Aufstiegschancen und Familie einander nicht im Weg stehen. "Das sind auch Aufgaben für die Politik, die da zwischen Bund und Ländern nicht aus einem Guss ist. Unser System setzt derzeit voraus, dass in der Familie einer nachmittags zu Hause bleiben muss, um den Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen. Vollzeit arbeiten, Karriere und Kinder - das ist mit diesem Bildungssystem gar nicht möglich."

Wenn sie einen Rat geben sollte, wäre es der, Kinder in jungen Jahren zu bekommen, weil dann der wirtschaftliche Ausfall noch nicht sehr heftig zu Buche schlägt. Und komplette Auszeiten sehr kurz zu halten. Als die in Vollzeit forschende dreifache Mutter in Berlin geehrt wurde, waren die Kinder übrigens zu Hause. Und wer hat auf sie aufgepasst hat? "Mein Mann!"