Das ungewöhnliche (K)Leben von Oliver Wurm und Alexander Böker. Zwei Hamburger wollen, dass Deutschland Deutschland sammelt.

Hamburg. Heidi Kabel geht für Jan Delay weg, ein Siebenjähriger tauscht seinen Heinrich Heine mit den Toten Hosen einer 84-Jährigen oder Gerhard Schröder wechselt gegen Atze Schröder den Besitzer. Szenen von Tauschbörsen in Hamburg und Düsseldorf. Beobachtet vom stolzen Sticker-Vater Oliver Wurm. Gemeinsam mit seinem Kollegen und Freund Alexander Böker hat der Journalist erst die Hamburger, dann Kölner, Münchner, Düsseldorfer und Frankfurter zum Abziehbildchen-Kleben gebracht und die Erfolgsgeschichte der Paninisammelalben fortgesetzt.

Jetzt sitzen die beiden in T-Shirt, Turnschuhen und Jeans in ihrem Büro in der Schanzenstraße 36 - einer Mischung aus unaufgeräumtem Jugendzimmer und Schaltzentrale - auf unzähligen gepackten Kisten. Voll mit dem Ergebnis ihrer jüngsten Arbeit.

Denn das neueste Projekt der unternehmerischen Journalisten, die sich vor fünf Jahren zu einer Bürogemeinschaft zusammengeschlossen hatten, ist ein Album mit "Deutschland sammelt Deutschland", das am kommenden Sonntag der "Bild am Sonntag" kostenfrei beiliegen wird. Verkaufsstart der ersten zwölf Millionen Stickertüten an 65 000 Verkaufsstellen ist heute. Und entstanden ist die Idee in Hamburg, fast klischeehaft an der Alster nach einer durchfeierten Nacht. "Im Frühjahr 2009 saßen wir morgens an Bodos Bootssteg, und da kam plötzlich diese Idee mit 'Hamburg sammelt Hamburg'", sagt Böker, "wir haben sofort daran geglaubt und wollten das unbedingt machen." Schließlich hätten sie doch damals als Kinder auch ihre letzten Groschen mit bonbonverklebten Fingern aus der Hosentasche gefischt, um noch ein paar Fußballbildchen zu kaufen.

+++ Udo Lindenberg mit Heidi Kabel im Tütchen +++

Auf das neue Entfachen dieser Leidenschaft setzten und setzen der 39-jährige Böker und der 41 Jahre alte Wurm, die nach eigenen Angaben eine siebenstellige Summe in ihre deutsche "Klebe-Chronik" investiert haben. Und eine große Portion Mut, gepaart mit völliger Überzeugung. "Ich bin froh, dass wir zu zweit sind, so auch das Risiko teilen. Außerdem: Zu zweit ist es schon Wahnsinn. Allein wäre es nicht zu schaffen gewesen. Wir machen ja alles selbst, von der Auswahl der Motive, die kleinen Infotexte darunter, die Klärung der Bildrechte bis hin zu Vermarktung und Vertrieb", so Wurm. Vom Sommer 2011 hätten sie nichts mitbekommen, da sie sich im vergangenen halben Jahr dem Elbsandsteingebirge, Thomas Gottschalk, der Siegessäule und dem Wackeldackel verschrieben hatten. Mithilfe einer repräsentativen Forsa-Umfrage und unzählbaren Diskussionen sind die beiden Wahl-Hamburger auf 432 Klebebildchen gekommen, die deutsche Denker, historische Momente, Sportler oder Kanzler und Stars zeigen. "In ist, wer drin ist, das ist jetzt unser Motto", so Böker. Ein bedeutendes Kompliment für die beiden: Keine der angefragten Personen wollte sich nicht kleben lassen.

"Ich denke, es ist jetzt eine gute Zeit für ein thematisches Deutschland-Album. Mit Beginn der WM 2006 hat sich ein toller, positiver Patriotismus entwickelt, rund um Lenas Grandprix-Sieg wurde das noch einmal bestätigt", so Wurm und fügt augenzwinkernd hinzu: "Außerdem kann man bei allem Spaß mit dem Album auch richtig was lernen, über unsere Bundeskanzler, Landstriche oder Geschichtsdekaden." Zwar nur auf vier Zeilen, dafür die Quintessenz. Am lebenden Objekt konnte Böker genau das testen, seine beiden Kinder Noah, der in die dritte Klasse geht, und die Erstklässlerin Emilia lernen spielend, dass Altbundespräsident Karl Carstens während seiner Amtszeit bis 1984 und seiner Vorliebe für die Fortbewegung zu Fuß "Wanderpräsident" genannt wurde. Oder dass der Kölner Dom die meistbesuchte Sehenswürdigkeit Deutschlands ist und der Philosoph Albert Schweitzer in Afrika ein Krankenhaus gründete.

Oliver Wurm hingegen ist noch kinderloser Single. "Gerade unsere unterschiedlichen Lebensentwürfe, Interessen und Kontakte tragen dazu bei, dass Alex und ich ganz toll miteinander arbeiten können und sofort verstehen, was der andere meint." Dennoch, so viele cc- und bcc-Mails wie in den vergangenen sechs Monaten habe es in der Stadt sicher nirgends gegeben. "Eine Woche Urlaub war drin", sagt Böker, "abends haben wir aber geskypt."

Einzig das Feierabend-Bier in der Dual Bar schräg gegenüber fiel flach, da Wurm sein alljährliches Heilfasten ansetzte und auf Alkohol verzichtete. Doch aufs gemeinsame Anstoßen freuen sich die beiden, wenn ihre Alben am Kiosk ausliegen. Und darauf, dass Helmut gegen Harald Schmidt und Lanz gegen Lena getauscht werden.