Julia Wachsmann ist klassische Sängerin. Im Film “Gegengerade“ mit Mario Adorf und Moritz Bleibtreu gibt sie jetzt die Prostituierte.

HafenCity. Die blonden Haare nachlässig zum Pferdeschwanz hochgebunden, knallrote Lippen, golden Peeptoes zum lilafarbenen Kleid - diesen schillernden Anblick bekommt man geboten, hat man sich über altes Kopfsteinpflaster, stillgelegte Bahnschienen und vor Graffiti-Bemalungen strotzenden Backsteinbauten vorbeigekämpft. Denn mitten in der sich langsam besiedelnden OberhafenCity liegt der private Konzertsaal von Julia Wachsmann. Der Sopranistin, Künstlerin, Wissenschaftlerin.

Hier zeigt sie ihre eine Seite. "Ich schreibe gerade an meiner Doktorarbeit in Linguistik, forsche über sakrale Räume wie Kirchen aus semiotischer Sicht", so die schlanke 31-Jährige, die in Hamburg Germanistik studiert hat. Und professionell singt. Am liebsten Chansons, Lieder von Mozart und Schubert, auch mal Opernstücke. "Seit ich neun Jahre alt war, singe ich und bin als Solistin im Kinderchor der Hamburger Staatsoper aufgetreten", erzählt die Tochter zweier Juristen. Schon immer sei ihr klar gewesen, dass sie später einmal als Sängerin auftreten und arbeiten wolle. Sie hat es geschafft. Wachsmann studierte an der Stage School, ließ dazu mit Privatunterricht ihre Stimme und ihren Gesang fundiert ausbilden. Was ihr kein festes Engagement einbrachte. Zum Glück. "Ich habe mich ganz bewusst gegen eine Anstellung entschieden", so Wachsmann, die fast ausgebucht ist, auf privaten Festen wie Taufen und Hochzeiten bekannter Hamburger singt, Geheimkonzerte gibt und mit ihrem neuen Programm "Sternenklang am Nachmittag" (jeden zweiten Donnerstag im Monat um 15 Uhr im Planetarium im Stadtpark) gestartet ist.

Die große Liebe fand sie vor acht Jahren in Kulturinvestor Klausmartin Kretschmer. "Na klar, hätte ich in meinem Leben nicht diese Konstellation, die es mir gerade zu Beginn ermöglicht hat, nicht ins finanziell Bodenlose zu fallen, wenn ich mal weniger Aufträge hatte, wäre es schwieriger gewesen", so Wachsmann reflektiert. "Aber ich shoppe sicher nicht den Neuen Wall rauf und runter und bin die verwöhnte kleine Muse des älteren, kunstinteressierten Mannes." Im Gegenteil, mit Kretschmer, den sie "sicher noch in diesem Jahr" heiraten wird, teilt sie einen Altersunterschied von 21 Jahren und die Liebe zu Kultur, gesellschaftlichen Veränderungen und besonderen Orten.

Einer davon ist die OberhafenCity. Das Gebiet zwischen Oberhafen-Kantine und Brandshofer Deich, das Kretschmer "entdeckt" und populär gemacht hat. Mittlerweile werden hier hippe Fotoshootings gemacht, Kreativagenturen haben hier ihren Sitz, Regisseure von Kinofilmen finden geeignete Sets. Wie Fatih Akin, der Szenen seines "Soul Kitchen" dort spielen ließ. Mit dabei: Julia Wachsmann. Hier zeigt sie ihr anderes, ihr zweites Gesicht, spielte die vulgäre, extrovertierte, genervte Geliebte von Wotan Wilke Möhring. "Als dramaturgische Beraterin habe ich bei der Drehbuchentstehung mitwirken dürfen", so Wachsmann, "doch dann kam das tolle Angebot für die Nebenrolle." Und damit wurde Wachsmanns Lust auf die Schauspielerei geweckt, auf ungewöhnliche, unerwartbare Rollen. "Jetzt spiele ich in 'Gegengerade - Niemand siegt am Millerntor' mit Mario Adorf, Moritz Bleibtreu und Natalia Avelon", freut sich Wachsmann, "diesmal eine Bordsteinschwalbe, dazu darf ich auch singen." Einmal ein Pauli-Fanlied, dann die Hymne "You'll Never Walk Alone". Und genau diese Freiheit, ihre Facetten zu zeigen, die mache sie aus. Singen, das könne sie überall. Übrigens in jeder Rolle des Lebens.