Der Meeresbiologe Nikolaus Gelpke gründete das Magazin für Meeresthemen vor 15 Jahren. Über einen Macher, der auch mal träumt.

Winterhude. 1992. Auf einem Bauernhof bei Kiel werden 15 Tonnen Holz von einem Lastwagen geladen. 15 Tonnen Holz für ein Boot. Der heutige "mare"-Verleger Nikolaus Gelpke, Meeresbiologe, gebürtiger Schweizer, Jahrgang 1962, steckt damals noch mitten in seiner Doktorarbeit über den "Einfluss von Licht auf die Verfügbarkeit von Eisen für Phytoplankton". Seinen Lebenstraum hat er jedoch darüber nicht vergessen: ein eigenes Boot zu bauen, um damit um die Welt zu segeln. Pläne dafür zeichnet er, seit er zwölf Jahre alt ist. Viele Jungs zeichnen Boote, aber nur wenige bauen sie dann auch, vielleicht ist das der Unterschied.

Das Holz lag noch zwei Jahre; dann engagierte Gelpke zwei Bootsbauer. Nach dreieinhalb Jahren war die "Ile de Glénans" fertig, "ein kuttergetakeltes Boot, eine Art Landrover der Meere". Gelpke will damit rund um England segeln. "Ich bin aber schon am ersten Tag an einer Tonne vor Cuxhaven gescheitert, die ich frontal getroffen habe." Darüber würde nicht jeder so freimütig sprechen. Gelpke ist weitgehend uneitel; der Boot gewordene Traum zählt mehr als ein paar Schrammen, die er dafür eingesteckt hat.

Bei seiner ersten Begegnung mit dem Meer ist er sechs. Das Mittelmeer bei Gaeta, nördlich von Neapel. Er taucht in hohe Wellen ein und unter - und lachend wieder auf, die Mutter ängstigt sich, der Junge aber hat fürs Leben die große schwebende Freiheit entdeckt, die man nur im Wasser erlebt. "Ich hatte ein gutes Gefühl zum Meer, das hat was mit Vertrauen zu tun."

Er wächst auf in Zürich und Italien, und will weg. Weg aus der engen Schweiz, der dominanten Familie, einen eigenen Weg finden. Das Meer hat ihn nicht losgelassen; er sieht die Filme von Jacques Cousteau, reist 1982 nach Halifax zu Elisabeth Mann Borgese, der 1918 geborenen Tochter Thomas Manns. Er lebt bei der Meeresökologin, Seerechtlerin und Schriftstellerin, führt ihre Hunde aus, sie ist eine strenge Mentorin und wird seine "Zweitmutter". Ihrem Rat folgend studiert er Meereskunde in Kiel. Fährt auf Forschungsschiffen, verdient Geld als Taucher auf einer Austernfarm, geht mit Jacques Piccard auf Tauchfahrt, gerät in Grenzsituationen, lernt Respekt vorm Meer.

1994 kommt ihm - bei der Lektüre des "Spiegels" - die Idee zu einer neuen Zeitschrift. "Der 'Spiegel' ist frech, selbstbewusst, teilt die Welt so auf, wie er denkt, dass die Welt ist, und der 'Spiegel' schreibt über alles. Und ich dachte: Eigentlich kann ich den ganzen 'Spiegel' füllen, nur mit Meeresthemen."

Mit drei Freundinnen, eine davon noch aus der Schulzeit, packt er diesen Traum an. Man träumt, plant, einigt sich auf hochwertige Optik, druckt 1996 einen Dummy. Gelpke gründet den Dreiviertel-Verlag, der bald in die Hamburger Speicherstadt zieht, dicht ans Wasser. Im April 1997 geht die erste Ausgabe von "mare" an den Start; die Zeitschrift erscheint alle zwei Monate, die IVW-Zahlen weisen aktuell eine Verbreitung von 26 000 Exemplaren aus, davon 16 000 im Abonnement.

"mare" bietet überraschende, großartig erzählte Geschichten und faszinierende Fotos. Von Medienkollegen wird sie bewundert, belächelt - und für chancenlos erklärt. "Niemand sah in uns eine Konkurrenz, also bekamen wir mehr als 100 positive Rezensionen in den ersten Wochen. Was uns rasch zu einem ansehnlichen Abo-Stamm verhalf." Das Startkapital sei Risikokapital einiger Investoren gewesen, sagt er.

Gelpke macht, wo andere nur träumen. "Der Mut dafür kommt nur aus einer Neugier oder aus Liebe heraus. Ich will niemandem etwas beweisen. Es war eine Sehnsucht. Wir machen genau das, was wir gut finden."

Gelpke zeigt auf eine große Wand voller kleiner gelber Zettel - die Ideen der Redaktion, manche hängen da zehn Jahre, bis der richtige Autor gefunden ist und der passende Fotograf zur Geschichte; "mare-esk" nennt Gelpke diese unerklärbar diffizile Kombination, aus der Geschichten entstehen, die so besonders sind, dass sie gedruckt werden. "Das Besondere entsteht durch die Sichtweise auf das Meer. Elisabeth Mann Borgese hat mal gesagt: Das Meer zwingt uns immer wieder, die Welt mit anderen Augen zu sehen." Der groß gewachsene, fast jungenhaft wirkende Mann mit dem markanten Strubbelkopf formuliert zurückhaltend, aber präzise. Nur selten schimmert eine leichte Schweizer Sprachfärbung durch, so wie ein Echo aus Jugendtagen.

Nikolaus Gelpke weiß anfangs nicht, wie ein Verlag funktioniert, er macht erst mal alles selbst. "Deshalb kann ich heute überall mitreden. Es ist nicht schwierig, Zeitschriften und Bücher zu machen. Erfolgreich zu sein bei gutem Niveau und sich treu zu bleiben - das ist schwierig."

Der "mare"-Mann hat nie aufgehört zu träumen; mit dem NDR macht er seit 2001 "mare-tv", alle 14 Tage donnerstags um 20.15 Uhr. 2002 gründet er den "mare"-Buchverlag, "heute verdienen wir mit den Büchern das meiste Geld", die vergangenen zwei Jahre seien die besten des Gesamtverlags gewesen. Im September will er feiern: 15 Jahre "mare" und zehn Jahre "mare buch".

Und das Segeln? "Ein dunkler Punkt. Das hat sich leider auf zwei, drei Wochen mit den beiden Söhnen reduziert." Doch die Sehnsucht nach Meer ist geblieben: "Auf See ist man weg von allem anderen, es gibt keine Ablenkung. Wer nach Monaten auf See an Land zurückkommt, findet alles laut, da sind so viele Gerüche, es ist irritierend, was es an Farben gibt und an Bewegung. Auf See wird das alles runtergefahren."