Die Konzertprogramme, mit denen die römische Mezzosopranistin auf Tournee geht, sind längst nicht mehr nur klassisches Amüsement.

Hamburg. Natürlich hat es etwas Circensisches, Spielerisches und Sympathisch-Durchgeknalltes, wenn eine Opernsängerin bei ihrem Barockarien-Liederabend nach der Begrüßungs-Sinfonia nicht gewohnt majestätisch in großer Robe hereinschwebt, sondern wie bei einem Zorro-Casting in Stulpenstiefeln und großem Umhang auf die Bühne tobt, als wäre Winter, und ginge aus dem Kindergarten raus zur Schneeballschlacht. Wenn sie den Casanova-Dreispitz vom Kopf schleudert und sich so den ersten Szenenapplaus abholt, dem bis zum Ende der zweiten Zugabe noch mehrere folgen werden. Doch so ist Cecilia Bartoli nun mal - ein mitreißendes, hinreißendes Temperamentsbündel in Übergröße.

+++ Konzert in Hamburg: La Bartoli kam, sang und siegte +++

Die Konzertprogramme, mit denen die römische Mezzosopranistin auf Tournee geht, sind längst nicht mehr nur klassisches Amüsement, sie sind immer auch verkappte Musikgeschichtsvorlesungen; Praxis-Seminare über musikästhetische und -philosophische Grundsatzfragen weitab vom Standardrepertoire. Es geht um die Faszination von männlichen und weiblichen Diven, um Ehrenrettungen für italienische Kleinmeister, in diesem Fall kombiniert mit der androgynen Faszination jenes Repertoires, das den Star-Kastraten im Italien des frühen 18. Jahrhunderts auf die Hochleistungs-Stimmbänder geschrieben wurde.

Kastraten, barocke Oper, Arien, in denen menschliche Affekte in ihrer reinsten, hochdosierten Form zur Schau gestellt werden - all diese Aspekte verkörperte La Bartoli bei ihrem Abend in der Laeiszhalle mit Energie und sinnlicher Spielfreude.

Sie braucht dafür keinen Bühnenzauber, keinen Handlungsrahmen, kein Regie-Korsett. Gute Musik genügt, und die hat sie so reichlich mitgebracht, dass die Kolleginnen und Kollegen in diesem Spezialfach ziemlich alt und theorieblass aussehen. Wer könnte schon ahnen, wie viel beispielsweise in der Arie "Cadrò, ma qual si mira" von Francesco Araia steckt? Als Vorbereitung für das letzte Bravourstück vor der Pause lockerte Bartoli kurz die Schultermuskulatur - wie ein Boxer, der weiß, dass gleich ein großer Punch fällig ist. Und dann kam eines dieser Notenfeuerwerke, bei denen jeder Ton ein Treffer ist.

Die Arien-Zusammenstellung Bartolis ist maßgeschneidert - alles drin, was ihre Klasse ausmacht und unterstreichen kann. Abenteuerlich weite Intervallsprünge, Trillerketten, Haltetöne, die sie hin und wieder mit allerliebsten Schwellern verziert. Da sie genau weiß, dass ihre Stimme abend-, aber nicht unbedingt raumfüllend ist, hat Bartoli ihre Pianissimo-Kultur so sehr verfeinert, dass diese silberhellen Töne auch auf größere Entfernungen sicher ins Gemüt treffen.

Himmelhoch tirilierend und zu Tode betrübt - diese Ausnahmesängerin genoss das Wechselbad barocker Gefühle und Affekte pur und kostete deren vokale Gestaltungsmöglichkeiten voll aus. In einem Moment noch gibt sie den heldenhaften Draufgänger oder den wütenden Helden, im nächsten versinkt sie in einer Melancholie, die unheilbar scheint, unrettbar verloren, erbarmungslos weit entfernt vom Seelenheil oder einer Erlösung. Das Schöne dabei: Man glaubt ihr beides. Ihr glaubt man alles. Und da sie gar nicht erst versucht, mit einer Frauenstimme etwas zu imitieren, was für keine normale Männerstimme geschrieben wurde, wird die Musik nur noch absoluter, noch eindeutiger in ihrer Eindringlichkeit.

Während Bartoli für ihr "Sacrificium"-Album die aufbrausend-feinfühligen Musiker von "Il Giardino Armonico" zur Verfügung standen, hatte sie bei diesem Live-Auftritt mit dem "Orchestra La Scintilla", dem Alte-Musik-Ableger des Züricher Opernorchesters, ein nicht ganz so Funken schlagendes, dafür aber eleganter und dezenter agierendes Ensemble zur Seite. Keine schlechte Idee letztlich, denn die Brillanz der Hauptperson wurde dadurch noch betont. Die verwandelte sich nach und nach vom Kavalier im Rüschenhemd zum verlassenen Geliebten und schließlich in Caldaras "Quel buon pastor" zum Hirten, der für seine Herde sterben will. Zum Finale allerdings verbeugte sich Bartoli mit goldenem Oberteil und großer roter Schärpe vor dem legendären Kastraten Farinelli. So viel Show durfte dann doch noch sein, trotz und wegen aller schmerzhaften Widersprüche, die in dieser betörenden Musik stecken.