47-Jährige ist Expertin für die achtbeinigen Tiere. Sie weiß auch, warum es in der HafenCity bis zu 70 Exemplare pro Quadratmeter gibt.

Den ersten Versuch, mit ihr zu sprechen, hatte Jutta Schneider im letzten Spätsommer abgeblockt. "Im Spätsommer ist Spinnen-Hochkonjunktur. Wenn da etwas über uns in der Zeitung steht, kommen wir hier nicht mehr zum Arbeiten vor lauter Anrufen besorgter und interessierter Bürger und neugieriger Journalisten." Jutta Schneider, 47, ist seit 2004 Professorin für Verhaltensbiologie am Institut für Zoologie am Martin-Luther-King-Platz. Und Expertin für das Verhalten von Spinnen.

Der Mensch an sich hat ein gespanntes Verhältnis zur Spinne. Der eine setzt sie vorsichtig ins Freie, ein anderer reagiert hysterisch, der Dritte schlägt sie gleich tot. "Von meinen Bekannten ist keiner völlig gleichgültig gegenüber Spinnen, jeder hat seine eigenen Erfahrungen", sagt Schneider.

+++ Warum haben tote Spinnen ihre Beine meistens an den Körper gezogen? +++

Warum ekeln sich Menschen vor Spinnen? "Das muss etwas aus grauer Vorzeit Eingepflanztes sein, das dafür sorgt, dass man sich vor Spinnen oder Schlangen schnell ekelt." Aber Schlangen sind wenigstens in der Bibel verflucht worden. "Arachne, die brillante Weberin, in der griechischen Mythologie ja auch", kontert sie. "Vielleicht sind es die vielen Beine, die uns unheimlich sind, die leisen, schnellen Bewegungen, das Lauern und blitzartige Zuschlagen. Außerdem sind manche Spinnen für den Menschen tatsächlich potenziell gefährlich. Der Ekel vor ihnen ist wohl anerzogen - aber es muss eine Prädisposition geben; Ekel vor Marienkäfern kann man nicht so rasch erzeugen."

Und wie ist das bei ihr selbst? "Ich nehme Spinnen auch nicht auf die Hand, wenn es nicht sein muss. Wir haben Becher und Pinsel, um mit Spinnen umzugehen." Gespanntes Verhältnis? "Eher gar keins, ich war da ganz unvorbelastet. Ich hab mich zwar als Kind schon mal erschrocken, wenn da eine dicke Spinne über dem Lichtschalter saß, aber das war's dann schon." Das Interesse an Tieren, das Jutta Schneider schon während ihrer Kindheit im Hunsrück in der Praxis eines Tierarztes arbeiten und Hunde ausführen ließ, kristallisierte sich rund um die Bücher von Jane Goodall und Konrad Lorenz. Und bald war klar: Sie würde Verhaltensforscherin. Begann das Studium in Mainz, kam dann zum Max-Planck-Institut Seewiesen in Oberbayern nahe dem Kloster Andechs. An den Resten von Lorenz' Wildgänseschar untersuchte Jutta Schneider dort eine ganz praktische Frage: Was trägt eigentlich der Ganter zur Aufzucht des Nachwuchses bei, wenn sich doch die Mutter um alles kümmert: die Eier produzieren, brüten, den Nachwuchs führen und wärmen? "Wir haben herausgefunden, dass Weibchen mit Nachwuchs, aber ohne Ganter keine Ruhe mehr hatten, weil sie ständig von anderen Gänsen belästigt wurden. Die eigenen Ganter hielten ihnen also den Rücken frei." Später kam aus Seewiesen das Angebot, eine Doktorarbeit über soziale Spinnen zu schreiben. Schon auf Exkursionen hatte Jutta Schneider von den Finsterspinnen gehört, bei denen dann die Mutter von den Zöglingen aufgefressen wird. "Das fand ich sehr interessant."

+++ Spinnen aus dem Mittelmeerraum lassen sich in Deutschland nieder +++

Verhaltensbiologisch betrachtet sind die Spinnen mit ihren 40 000 Arten ein Universum bizarrer Verhaltensweisen und ein Paradies für Forscher. Ihr erster achtbeiniger Forschungsorganismus wurde Stegodyphus aus der Familie der Röhrenspinnen. Nach der Promotion fährt sie 1993 mit ihrem Yamaha XT250-Motarrad bis nach Israel, um in der Negev-Wüste eine Stegodyphus-Population in freier Natur zu beobachten. In Australien untersucht sie 1997/98 sexuellen Kannibalismus bei Spinnen - Weibchen, die nach der Begattung ihre Männchen auffressen. "Konflikt der Geschlechter bei Spinnen" heißt ihre Habilitationsschrift.

Gefressene Männchen - nur eine Laune der Natur? "Es ist die Strategie der Männchen, sich zu opfern, damit sie mehr Eier eines einzigen Weibchens besamen können als die Rivalen - es gibt da mehr Männchen als Weibchen. Wer diese extreme Strategie spielt, hat einen höheren Erfolg." Das ist alles viel spannender als "Spider-Man". Den Film hat sie gesehen, aber verglichen mit den echten Spinnen findet sie ihn "ein bisschen albern". Obwohl Spinnenforscher sich auch schon mal an Fassaden abseilen. Zum Beispiel, um Larinioides sclopetarius zu beobachten, die Brückenspinne, die sich in der HafenCity rasend vermehrt. "Die gab es vorher auch", sagt Jutta Schneider, "aber in den alten Backsteinbauten und an Brückengeländern haben sie niemanden gestört. Sie haben wohl ganz früher an Felsen über dem Wasser ihre Netze gesponnen. Die Architektur in der HafenCity - das sind für sie einfach Superfelsen. Das viele Licht zieht Mücken an und dann Spinnen. Fehlende Bäume sorgen dafür, dass es keine Vögel gibt, die Spinnen fressen." Bis zu 70 Exemplare pro Quadratmeter wurden gezählt, die sich dort auskömmlich ernähren können.

Fast klingt es liebevoll, wenn Jutta Schneider vom Verhalten der Spinnen erzählt: von den winzigen Tierchen, die den Hinterleib recken, einen Faden produzieren, an dem sie vom Wind zu neuen Orten getragen werden. Faszinierende Einblicke sind das.

Ihr Mann hat mit den Achtbeinern wenig am Hut, er ist Informatiker, und das gemeinsame Gesprächsthema ist die Fotografie. Zusammen reisen sie gern, und wenn er fotografiert, schaut sie nach den Spinnen.