Vor 20 Jahren wurde Stefan Aust Chefredakteur des „Spiegels“. Dessen Gründer setzte ihn per Ultimatum gegen die Mitarbeiter durch. Josef Nyary über einen Machtkampf, der an den der vergangenen Wochen erinnert

Der Kampf um den „Spiegel“ ist erbittert und wird mit voller Härte geführt. Auf der einen Seite steht die Mehrheit der Mitarbeiter, politisch fixiert, aber im Willen zu Veränderungen limitiert. Auf der anderen Seite steht Rudolf Augstein, der Mann, dem sie alles verdanken, was sie sind und haben: Job, Geld, Reputation.

Die Gegner ringen um eine entscheidende Personalie. Es hat gekracht. Der Bonner Bürochef Olaf Ihlau setzt sich in einem Kommentar für deutsche Tornados auf dem Balkan ein. Das geht Augstein zu weit. Chefredakteur Hans Werner Kilz wird zum Rapport bestellt. Als er dem Patriarchen widerspricht, wirft ihn der Alte hinaus. Die Mitarbeiter sind geschockt, doch Augstein gibt kein Pardon: Ob sie denn einen anderen für den Chefposten hätten? Wenn nicht, dann habe er einen: Stefan Aust.

Die „Spiegel“-Macher wehren sich: Der 48 Jahre alte Kandidat kommt von der Fernsehtochter „Spiegel TV“, und das neue Medium mit den bunten Bildern ist vielen altgedienten Print-Profis suspekt. Doch am 13. Dezember stellt Augstein den Vertretern der Mitarbeiter-KG ein knallhartes Ultimatum: Entweder sie akzeptieren Aust, oder der legendäre „Spiegel“-Gründer tritt als Herausgeber und Geschäftsführer zurück und verkauft seine Anteile. Dann aber hätten beim „Spiegel“ noch ganz andere das Sagen.

Drei Tage später, am 16. Dezember 1994, hat Augstein seinen Mann durchgesetzt – ein Glücksfall: Souverän, kompromisslos, ideologiefrei und ohne Rücksicht auf die Eitelkeiten seiner Crew steuert Aust das Magazin wieder auf Erfolgskurs. Schon bald steigen Auflage, Renommee und Erträge. Auf der Strecke bleiben die politischen Ambitionen der Leute aus dem zweiten Glied, die sich dem Machtanspruch des Neuen beugen müssen.

Die Personalie Aust ist die glücklichste Entscheidung in der Spätzeit des Patriarchen. Zugleich korrigiert Augstein damit wenigstens für den Rest seines Lebens seinen größten Fehler. Sein Ziel ist die Absicherung seines Lebenswerks, das er 20 Jahre zuvor mit einer Panikreaktion selbst in Gefahr gebracht hat. Das war im Oktober 1974: Die Mitbestimmungsdiskussion verunsicherte immer mehr Unternehmer. Der „Spiegel“ geriet ins Visier linker Gesellschaftsveränderer mit sozialistischen Eigentumsbegriffen. Der spöttische Rückblick von Augstein-Sohn Jakob vier Jahrzehnte später übertreibt kaum: Rudolf Augstein habe damals handeln müssen, „damit die ewigen Go-ins, Sit-ins, Teach-ins von Sympathisantengruppen der links radikalisierten Szene ... in den Räumen, den Fluren des Verlagshauses an der Brandstwiete ein Ende hatten“.

Firmenanteile für den Betriebsfrieden? Schon 1971 hatte Augstein Kasse gemacht und 25 Prozent seines Unternehmens an Gruner + Jahr verkauft. 1974 aber ging es ihm vor allem darum, die besten Köpfe auf Dauer an sein „Sturmgeschütz der Demokratie“ zu ketten. Er schenkte einer neu gegründeten Mitarbeiter-KG 50 Prozent des „Spiegels“ und behielt selbst nur 25 Prozent, allerdings samt Vetorecht: In allen wichtigen Entscheidungen behält der Gründervater das letzte Wort.

Austs Gegner beklagen seinen Hang zu Sex-and-Crime-Storys

Augstein macht nicht oft Gebrauch davon, bei Bedarf aber setzt er sich konsequent durch, am lautesten 1989 mit seinem Kommentar „Glückwunsch, Kanzler!“ nach dem Fall der Mauer: „Die Redaktion anrufen hatte keinen Zweck“, erinnert er sich später. „Da muss man schon selber Sachen schreiben, mit denen die Redaktion nicht einverstanden ist. Und muss ihnen sagen, das ist nun mal leider mein gutes Recht, und wenn ich euch schon machen lasse, was ihr wollt, dann müsst ihr mich auch machen lassen, was ich will. Und wenn sich das beißt, dann müssen wir uns einigen, oder es muss gemacht werden, was ich will.“

1994 hebelt Augsteins Vetorecht den Widerstand der Mitarbeiter gegen den neuen Chefredakteur aus. Murrend beugen sie sich. Aust tut wenig, um sie zu versöhnen. Bald machen in den Kneipen um das „Spiegel“-Hochhaus Klagen über den neuen Chef die Runde. Autoritär sei er, selbstherrlich, unzugänglich, außerdem kein Linker, ein Boulevardier mit einem fatalen Hang zu Sex-and-Crime-Storys.

Sauer stößt Austs Gegnern auch die neue „Spiegel“-Masche auf, die Leser mit Titelstorys über das Nazi-Reich zu locken. Einige Kritiker haben zudem persönliche Gründe: Augstein-Tochter Franziska und Augstein-Sohn Jakob lassen immer deutlicher erkennen, wie gern sie Austs Job übernehmen würden.

Als Augstein im November 2002 stirbt, hält seine Tochter, Feuilleton-Redakteurin der „Süddeutschen Zeitung“, eine bewegende Leichenrede: „Er wusste, den toten Löwen zupfen auch die Hasen an der Mähne.“ Bald zupft sie selber mit: Um Aust loszuwerden, kritisiert sie den Chefredakteur und damit indirekt auch die letzte Personalentscheidung des verehrten Papas. 2005 schimpft sie, der „Spiegel“ habe „unter der Ägide des jetzigen Chefredakteurs seinen Platz als Leitmedium verloren“. Die „Verlagerung auf die sogenannten weichen Themen“ habe das Magazin „zu einem geschwätzigen Blatt unter anderen gemacht“ und: „Der Fisch stinkt vom Kopf!“

Die Mitarbeiter nutzen die Steilvorlage und fordern ein Gespräch über „Qualitätsmängel“ ihres Magazins. Aust erwidert, die Vorwürfe träfen nicht ihn, sondern sie selbst, außerdem sei eine solche Debatte „geschäftsschädigend“. Ein Gespräch mit Verlag und Mitarbeiter-KG lehnt er unter Hinweis auf die redaktionelle Unabhängigkeit des „Spiegels“ ab.

Das Rückgrat rettet ihn nicht. Es geht um linke Ideologie, und da hilft es auch nicht, dass Aust inzwischen trotz der neuen News-Konkurrenz „Focus“ den Unterhaltungsdampfer „Stern“ überholt und „Spiegel Online“ zur führenden Marke im Internet-Journalismus gemacht hat. Am 8. Dezember 2008, nach 13 Jahren an der Spitze, wird der erfolgreiche Blattmacher freigestellt. Seiner Kündigungsschutzklage folgt die übliche Abfindung in Millionenhöhe. Die alten Redakteure jubeln. Die jüngeren nicht.

„Wir haben den ‚Spiegel‘ modernisiert, ohne den Kern anzutasten“, sagt Aust später. Seine Nachfolger halten nicht so lange durch wie er. Die Auflage sackt ab, die Gewinne schrumpfen. Jetzt wird wieder ein Chefredakteur gesucht.