Vor 20 Jahren beschloss die Bundesregierung, eine Transrapid-Strecke von Hamburg zur Hauptstadt zu bauen. Hans-Joachim Nöh schildert, warum die Magnetbahn trotzdem nicht zum Zuge kam

Die Zukunft Deutschlands, womöglich sogar der Welt sollte in Hamburg beginnen. Zehn Jahre hatte man die bahnbrechende Technologie des Transrapid getestet; nun war es an der Zeit, sie anzuwenden. Menschen würden fortan reisen wie im Flug, ohne abzuheben, und nach Berlin nicht mehr dreieinhalb Stunden, sondern bestenfalls noch 53 Minuten brauchen. Wohnen an der Alster, Arbeiten an der Spree – und immer pünktlich zum Abendbrot zu Hause. Was für Aussichten!

20 Jahre ist es her, dass die Bundesregierung beschloss, zwischen den beiden größten Städten der Republik die erste kommerzielle Strecke für die Magnetschwebebahn zu bauen. Kanzler Helmut Kohl wollte im März 1994 ein weithin sichtbares Symbol für deutsche Ingenieurskunst setzen. Denn wenn der Zug im Land seiner Erfinder erst einmal fuhr, würde auch der Rest der Welt sich darum reißen.

Solche Euphorie wurde naturgemäß nicht von allen geteilt. Umweltschützer lobten nicht etwa die Möglichkeit, schadstoff- und geräuscharm und obendrein noch sicherer als mit der Bahn von A nach B zu kommen, sondern führten die Verschandelung der Landschaft ins Feld, die von dem auf meterhohen Stelzen thronenden Fahrgleis ausging. Anderen Gegnern des Projekts waren die Milliardensummen ein Dorn im Auge, die man statt in ein Prestigeobjekt doch lieber in Bildung und Soziales investieren sollte.

Auch und vor allem in Hamburg war das Echo geteilt. SPD-Bürgermeister Henning Voscherau pries den regionalwirtschaftlichen Nutzen für die Dienstleistungs- und Medienmetropole Hamburg, den die schnelle Verbindung mit der Bundeshauptstadt bedeutete. Und für Umweltsenator Fritz Vahrenholt (SPD) würde der Flugverkehr zwischen beiden Metropolen weitgehend überflüssig – was ja schließlich gut für die Umwelt wäre. Allerdings saßen Hamburgs schärfste Gegner des Transrapid ebenfalls in der SPD, allen voran Landesparteichef Jörg Kuhbier. Der Bau sei „verkehrspolitisch und verkehrstechnisch unsinnig“, wetterten sie. Die Magnetbahn sei nicht vernetzbar, ihre Einführung verhindere den Ausbau der Eisenbahn, die Folgen für die Umwelt seien nicht absehbar, und überhaupt: Wer sollte das Ganze eigentlich bezahlen, wo doch Deutschland schon mehr als genug Schulden habe? Worauf CDU-Fraktionschef Ole von Beust den Sozialdemokraten jeglichen Pioniergeist absprach und ihnen Hasenfüßigkeit attestierte.

Aber war der Superzug überhaupt noch aufzuhalten? Die Pläne jedenfalls schienen zu dem Zeitpunkt schon sehr konkret, und sie wurden fortlaufend weiterentwickelt. 8,9 Milliarden Mark sollte die Schnellverbindung damals kosten, wovon 5,6 Milliarden auf den Bund und 3,3 Milliarden auf ein privates Konsortium unter Führung von Thyssen und Siemens entfielen. Die 284 Kilometer lange Trasse war eng an die der A 24 angelehnt, um den Flächenverbrauch in Grenzen zu halten. Alle zehn bis 15 Minuten sollte ein Zug den Hamburger Hauptbahnhof verlassen, dabei auf einer bis zu 21 Meter hohen Rampe über die anderen Bahngleise hinwegschweben und mit einem Spitzentempo von 400 km/h zum Berliner Bahnhof Westkreuz rasen. Zwischenstopps in Billwerder-Moorfleet und Berlin-Spandau sollten möglich sein, allerdings die Gesamtfahrzeit auch verlängern. Wie sich die „Einflugschneise“ auf das Hamburger Stadtbild auswirken würde, wurde nicht geprüft. Das Protokoll einer Anhörung in der Bürgerschaft hielt nur lapidar fest: „Der Haltepunkt könnte visuelle Probleme aufwerfen, ist aber realisierbar.“

Mit den Jahren aber wuchsen nicht nur die zu erwartenden Kosten, sondern stieg auch die Zahl der Skeptiker in Politik und Wirtschaft. 1998 ging man schon von zwei Milliarden Mark mehr aus als noch vier Jahre zuvor. Und da war eine weitere Unbekannte, die Sorgen machte: Wie viele Fahrgäste würden den Transrapid überhaupt nutzen? 14 Millionen pro Jahr hatte man ursprünglich veranschlagt und auf dieser Basis die Rentabilität berechnet. 1999 ging eine Prognose für 2010 aber nur noch von gut sechs Millionen aus.

Ende 1999 verkündete Bahnchef Hartmut Mehdorn, es werde „mit Sicherheit keinen Transrapid geben“, wenn Staat und Industrie ihre Angebote nicht nachbesserten. Die waren dazu aber nicht bereit. Am 5. Februar 2000 beendete die rot-grüne Regierung von Kanzler Gerhard Schröder das Projekt Hamburg-Berlin. Fünf Monate später kündigte die Bahn an, die bestehende Strecke zwischen beiden Metropolen für eine Geschwindigkeit bis 230 km/h auszubauen. Die Fahrzeit verringerte sich auf rund 90 Minuten. Mehdorn zog damals einen nüchternen Vergleich zwischen Magnetbahn und ICE: „Wir wären dann schlappe 20 Minuten langsamer als der Transrapid. Und dass man für 20 Minuten Zeitersparnis zwölf Milliarden Mark ausgeben muss, das will uns nicht richtig in den Kopf.“

War es ein Sieg der praktischen Vernunft – oder eben doch jene Hasenfüßigkeit, die Beust beklagt hatte? Man wird es nie erfahren.

Einer, der das Ganze sowohl aus Hamburger wie aus verkehrspolitischer Sicht betrachtet, bedauert noch heute das Aus für den Transrapid: „Man hätte die beiden Standorte wirtschaftlich, aber auch kulturell wunderbar miteinander vernetzen können“, sagt Dirk Fischer, CDU-Mann aus der Hansestadt und einer der erfahrensten Verkehrspolitiker im Bundestag. Der Transrapid könnte im S-Bahn-Takt verkehren, und die Menschen könnten von Hamburg nach Berlin ins Theater fahren und anschließend in Hamburg noch etwas trinken gehen. Das Scheitern des Projekts insgesamt sei ein deutsches Drama: „Da zeigt sich wieder, dass wir im Erfinden Weltmeister sind, aber im Umsetzen am Tabellenende stehen.“