Der Stint ist da! Für die nächsten sechs Wochen gehört er für viele Restaurants an der Elbe zum kulinarischen Pflichtprogramm. Matthias Rebaschus erzählt, wie er zum Kult wurde, woran man seine Frische erkennt und wie man ihn am besten zubereitet

Vor 200 Jahren gab es an einem Wallgraben am Hamburger Hafen zwei Besonderheiten: Erstens war der Wall mit Palisaden befestigt, schwer bewacht und Teil der zur Festung ausgebauten Stadt. Zweitens gab es im Februar und März in dem Graben besonders viele Stinte. Mit Waschkörben konnte man damals die kleinen Edelfische fangen, die dem Ort den Namen gaben: Stintfang.

Die Palisaden der Franzosenzeit, die im Mai 1814 endete, wurden fünf Jahre später abgebaut. Der Stint blieb, fand sich aber irgendwann nicht mehr auf dem Speiseplan. Inzwischen hat er den Weg zurück in die Küchen und Restaurants als lokale Hamburger Spezialität gefunden, wurde zum Kultfisch! Eigentlich wird der Fisch nur an der Elbe um Hamburg herum angeboten. Das liegt an seinem unvergleichlichen Duft – das Merkmal für absolute Frische: Denn nur wirklich frischen Stint erkennt man am Gurken-Geruch. Und wirklich frisch muss er sein. Nur so schmeckt diese Delikatesse.

Aber warum nur an der Elbe?

Weil er dort praktisch den Restaurants in die Küche schwimmt. Der Stint (lat. Osmerus eperlanus) gehört wie der Lachs und die Meerforelle zur Familie der Edelfische. Und wie der Lachs und die Meerforelle zieht der Stint zur Laichzeit in die Elbe. Es ist also ein Meeresfisch, der in bester Kondition, voll Rogen oder Milch, vor unserer Haustüre nicht nur am Stintfang laicht. Fischliebhaber wissen das: Stint schmeckt nur, wenn er nicht älter als einen Tag ist. Jeder kann es mit der Nase feststellen: Ein Stint, der in Dänemark gefangen wurde und auf seiner Reise nach Hamburg bis zu sechs Tage auf Eis gelegen hat, hat seinen Gurkenduft verloren. Und sieht auch insgesamt etwas verloren aus...

Eindrucksvoll ist der Blick von der Spitze der Elbhöhe am Stintfang immer noch. Die Aussichtsterrasse heißt dort „Hafen-Balkon“. Der Name Stintfang lässt sich bis ins Jahr 1780 zurückverfolgen. Damals wurde der kleine Fisch in solchen Mengen gefangen, dass man ihn an Tiere verfütterte oder Felder damit düngte. Bis die Umweltverschmutzung der Neuzeit den Fisch aus der Elbe vertrieb. Mit dem Ende der DDR verbesserte sich die Wasserqualität der Elbe unvermutet schnell, und die Delikatesse kehrte massenhaft zurück. Heute wird sie in vielen Restaurants an der Elbe, aber auch in der Lüneburger Heide angeboten. Häufig sieht man dort an der Straße Schilder stehen, nur mit dem Wort „STINT!“.

Stintfieber nennen es einige Wirte, denn der Fisch ist nur wenige Wochen bei uns zu Gast, und die Lokale sind komplett ausgebucht.

Für Genießer gibt es nur die traditionelle Art, die Delikatesse zu verspeisen: in Mehl gewendet und wirklich kross gebraten. Dabei wird der ganze Fisch verspeist – freilich ohne Kopf und Innereien. Das Besondere: die fingerlangen Stinte haben so zarte und winzige Gräten, dass man sie kaum merkt.

Um den Fisch ranken sich viele Geschichten. Dazu muss man wissen, dass Fischer Stinte auf zwei Arten fangen können. Mit der einen Methode stellen sie mit Kuttern dem begehrten Fisch in der Elbmündung nach. Hier kann man den Stint schon sehr früh im Jahr fangen, und er ist in der Regel größer.

Die andere Methode ist einfach: Der Fischer versenkt kleine Aalreusen im Elbstrom. Von ganz allein schwimmen die Fische in die Reusen, bis die fast platzen. Der große Unterschied: Die Reusen liegen im Osten von Hamburg, zum Beispiel bei Zollenspieker, und der Stint trifft dort viel später ein. Die Stinte sind kleiner. Aber die Saison beginnt später. Das heißt: Fischer mit Kutter können den Stint früher anbieten.

Nun streiten sich die Elbfischer gern, was der „echte“ Stint ist, der frühe aus der Elbmündung oder der späte. Fest steht: Elbfischer Wilhelm Grube, der bei Zollenspieker die Fischrechte hat, machte den Stint in den 90er-Jahren wieder populär. Er führte auch einen Kampf gegen einen seiner Nachbarn, der mit der unrühmlichen Bezeichnung „Gammelfischwirt“ bekannt wurde, weil er gammlige, alte Stinte mit frischen mixte.

Das war einfach. Denn der Elbstint hat eine dritte Existenz: tiefgekühlt zu Tausenden im Eisblock. Für Liebhaber der Delikatesse eine grausige Vorstellung, denn: Einmal gefroren und wieder aufgetaut, werden die kleinen und besonders zarten Fische weich wie Watte und müssen wie Pommes heftig frittiert werden.

Immer noch gibt es Wirte, die ihrer Konkurrenz vorwerfen, frische und tiefgekühlte Stinte zu mischen. Für den Gast im Restaurant ist es jedoch einfach: Man fragt, ob der Wirt TK-Stinte verwendet. TK ist das Wort für Tiefkühlware. Ein guter Wirt wird immer gleich dem Gast erzählen, von wem er den frischen Stint bezieht. Und bei der Antwort „Weiß nich...“ kann man ja gehen, denn der wirklich frische Stint, lohnt immer einen Ausflug an die Elbe. TK-Stinte sollte man an der Elbe nicht essen. Das haben wir an der Elbe nicht nötig.

Der Siegeszug des Fisches ist nicht nur Wilhelm Grube, dem „Elbfischer in dritter Generation“, zu verdanken, der Mann ist auch immer gut für ein klares Wort: „Es gibt keinen Meeresfisch, der bei uns so frisch auf den Tisch kommt. Was wir morgens fangen, wird gleich serviert“, sagt Grube, der in der Hauptsaison bis zu 60 Restaurants beliefert. Und weil Fischer auch in dritter Generation schlau sind, hat Grube, der an der Oberelbe eigentlich den späten Stint fängt, sich einen Kutter gekauft, mit dem er früher ins Geschäft einsteigen kann – und noch ein riesengroßes Restaurant am Hoopter Elbdeich gebaut, um am „Stintfieber“ auch als Wirt teilhaben zu können. Auf 1000 Quadratmetern gibt es bis 15. April Stint satt für 20 Euro.