Vor zehn Jahren gewann in Hamburg erstmals die CDU die absolute Mehrheit. Peter Ulrich Meyer erinnert daran, wie hoch Ole von Beust damals gepokert hatte.

Den größten Augenblick seiner politischen Karriere erlebte Ole von Beust mit wenigen Vertrauten zu Hause in seiner Wohnung im Stadtteil Rotherbaum. Mit Senatskanzlei-Chef Volkmar Schön und seinem langjährigen Fahrer Hans-Jürgen Kernche saß der damalige Erste Bürgermeister vor dem heimischen Fernseher, als die ersten Hochrechnungen zur Bürgerschaftswahl kurz nach 18 Uhr am 29. Februar 2004 gesendet wurden. Es dauerte nicht lange, dann war klar, dass von Beust und der CDU ein Wahlerfolg mit durchaus historischer Dimension geglückt war: Im traditionell roten Hamburg holten die Schwarzen 47,2 Prozent der Stimmen – das war die absolute Mehrheit.

„Ich spürte eine Rieseneuphorie, aber zugleich auch, dass eine große Last nach dem Wahlkampf abfiel“, sagt von Beust heute. Schon die ersten Auswertungen der Wähler-Befragungen nach Verlassen des Wahllokals, über die die Spitzenpolitiker im Laufe des Nachmittags von den Meinungsforschungsinstituten informiert werden, hatten die Hoffnung auf den ganz großen Erfolg genährt. „Das war ein stiller Triumph für mich, als das Ergebnis klar war“, sagt von Beust, denn er hatte im Wahlkampf hoch gepokert und, getragen von der positiven Grundstimmung, die absolute Mehrheit als Wahlziel ausgerufen. Das hatte ihm nicht nur der Noch-Koalitionspartner FDP mächtig übel genommen. Es gab Journalisten, die das für einen Anflug von Hybris hielten. Die Union hatte schließlich bei der Wahl 2001 mit nur 26,2 Prozent ihr bis dahin zweitschlechtestes Ergebnis erzielt.

Es war einer der kürzesten und ungewöhnlichsten Wahlkämpfe, und er sollte eine der erfolgreichsten Kampagnen hervorbringen. Das politische Klima in der Stadt war stark von den Erschütterungen der zurückliegenden Monate geprägt. Im August 2003 hatte von Beust in einer spektakulären Aktion den Zweiten Bürgermeister und Innensenator Ronald Schill entlassen, weil der damit gedroht hatte, eine angebliche Beziehung zwischen von Beust und dem damaligen Justizsenator Roger Kusch öffentlich zu machen. Angesichts zunehmender Auflösungserscheinungen bei der Schill-Partei mit einem bis dahin kaum für möglich gehaltenen Niedergang der politischen Kultur hatte der Bürgermeister Anfang Dezember „Jetzt ist finito“ gerufen, die Dreier-Koalition aufgekündigt und Neuwahlen angesetzt.

Von Beust war ein hohes persönliches Risiko mit dem Rauswurf des unberechenbaren Schill eingegangen, aber er galt vielen Hamburgern nun als Mann der Ehre, der sich nicht um der politischen Karriere willen erpressen ließ, und wurde so zum Garanten bürgerlicher, ja vielleicht hanseatischer Werte und Tugenden.

Hinter Fragen der politischen Moral traten die Inhalte zurück. Ole von Beust wirkte zunehmend präsidial, war dabei freundlich und zugewandt und ließ seine Partei, die CDU, geschickt in den Hintergrund treten. Eine Plakatkampagne, die großformatig den Spitzenkandidaten von Beust zeigte, setzte mit einem geradezu simplen Slogan auf dessen über Parteigrenzen wirkende Attraktivität: „Michel, Alster, Ole“. Die Verkürzung auf den Vornamen („Ole wählen“) als Marke ließ eine fast kumpelhafte Nähe zu, die von Beust eigentlich fremd ist.

Im Gespräch mit dem Abendblatt erzählt er erstmals, wie es zu diesem eingängigen, aber nicht eben unbescheidenen Dreiklang kam. „Ein guter Freund von mir, der Geschäftsführer einer Werbeagentur in Wiesbaden war, fragte mich, womit die Hamburger ihre Stadt am meisten identifizieren.“ Er habe dann aufgezählt: Elbe, Alster, Michel. „Schon war der Slogan geboren, das war eine Sache von Minuten“, so von Beust.

Gegen die Popularität des Bürgermeisters fand die Opposition kein Rezept. SPD-Spitzenkandidat Thomas Mirow, mehr kluger Analytiker, war kein Mann für die große Politik-Show. Als er sich einmal für ein Foto auf ein Bobbycar setzte, um für die SPD-Kita-Politik zu werben, wirkte das nicht stimmig, und er musste sich sogar hämische Kommentare gefallen lassen. Hinzu kam, dass die Sehnsucht der Hamburger nach einer Rückkehr der SPD an die Macht, nur drei Jahre nach dem Sturz in die Opposition, noch nicht sehr ausgeprägt war. Die CDU und von Beust profitierten schließlich auch von der Debatte über die Hartz-IV-Reformen der rot-grünen Bundesregierung.

Ein großer Wahlerfolg, ein politischer Erdrutsch wie der vom 29. Februar 2004 allemal, ist immer das Ergebnis mehrerer Ursachen. Das kann die Tatsache nicht schmälern, dass Ansehen und Autorität Ole von Beusts den entscheidenden Ausschlag gegeben haben.

Wozu die Begeisterung der eigenen Anhänger führen kann, bekam von Beust am Wahlabend zu spüren. „Ich wurde wie ein Rockstar behandelt, aber das bin ich nun einmal nicht“, sagt von Beust über die Huldigungen auf der CDU-Wahlparty in der Altonaer Fabrik. Dieser Personenkult sei ihm „unheimlich“ gewesen, und er habe die Feier schnell wieder verlassen, um noch in der Nacht nach Berlin zu fahren. Vier Jahre regierte der Christdemokrat mit absoluter Mehrheit und das Konzept der Wachsenden Stadt nahm Gestalt an, ehe das schwarz-grüne Experiment folgte. „Die absolute Mehrheit war die Krönung meiner politischen Arbeit“, sagt Ole von Beust heute. Und ein bisschen stolz sei er auch. Das dann doch.