Ein spektakulärer Gemäldediebstahl aus der Kunsthalle brachte vor 35 Jahren auch den Senat in Bedrängnis. Warum es der Täter so leicht hatte und wie er per Zufall gefasst werden konnte, schildert Stefan Grund

Als seine Zierfischhandlung in Bramfeld pleite ging, plante Jürgen P. den ganz großen Fischzug. Bei einem spektakulären Einbruch in die Hamburger Kunsthalle in der Nacht vom 29. auf den 30. Juli 1978 stahl er 23 Gemälde im Wert von mehreren Millionen Mark, darunter das Mädchen-Porträt „Vor dem Spiegel“ von Edgar Degas und das Bildnis der „Madame Lériaux“ von Auguste Renoir.

Doch obwohl er keine Spuren am Tatort hinterließ, sollte P. nicht mehr dazu kommen, die Bilder zu verkaufen. Nur fünf Tage nach dem Bruch wurde der sportliche Mann mit dem Oberlippenbart auf dem Großneumarkt beim Einkaufen von der Pächterin des Cafés der Kunsthalle erkannt: als jener Besucher, der vor dem Einbruch täglich und danach nie wieder aufgetaucht war. Minuten später ging Jürgen P. der Polizei in der Poolstraße ins Netz. Bei einer Durchsuchung der Wohnung seiner Freundin in der Kaiser-Wilhelm-Straße fand sie die Gemälde in einem Aluminiumkoffer. Die Freundin ahnte nichts, sie machte Urlaub in Dänemark.

Heftiger Kritik sahen sich nach dem dreisten Diebstahl Kunsthallen-Direktor Werner Hofmann und vor allem der Hamburger Senat ausgesetzt. Kultursenator Wolfgang Tarnowski (SPD) war erst seit wenigen Wochen im Amt. Die Sozialdemokraten hatten unter Bürgermeister Hans-Ulrich Klose Anfang Juni die absolute Mehrheit zurückerobert. Doch die Vorgängersenate waren über die komplett veraltete und dauerdefekte Alarmanlage der Kunsthalle informiert. Bereits 1971 war eine neue Anlage beantragt, aber nie bewilligt worden. Auch weitere Stellen für den Wachdienst hatte der Kunsthallen-Direktor erfolglos gefordert. Tarnowski brach seinen Sommerurlaub ab und übte sich in politischer Schadensbegrenzung. Dennoch sollte es weitere zwei Jahre dauern, bis eine neue Alarmanlage in die Kunsthalle eingebaut wurde.

Aus Sicht der Polizei war der Ablauf der Tat zunächst ein Rätsel. Erst bei einem Kontrollgang der drei Wachleute morgens um fünf Uhr war der Einbruch bemerkt worden. Nur ein Fenster war geöffnet, jedoch in knapp vier Metern Höhe und unbeschädigt. Die Alarmanlage war ausgeschaltet. Das wussten allerdings nur der Hausmeister und der Wartungstechniker von Siemens, die beide in Verdacht gerieten, das Geheimnis ausgeplaudert zu haben. Sie wurden jedoch beide später entlastet.

Zunächst gingen die Ermittler Götz Sitte und „Atom-Otto“ Maychrzak vom Einbruchsdezernat von einem Auftragsdiebstahl aus. Sie nahmen an, der Degas und der Renoir seien auf Bestellung entwendet worden und der Dieb habe zusätzliche Zeit genutzt, 21 weitere Bilder, von Malern der „Hamburger Schule“ aus dem 19. Jahrhundert, aus ihren Rahmen zu schneiden.

Wie sich herausstellte, waren beide Annahmen falsch. Jürgen P., der bei der Bundeswehr zum Fallschirmjäger ausgebildet worden war, hatte seinen Einbruch sorgfältig geplant. 250.000 Mark wollte er von der Kunsthalle erpressen, um die 40.000 Mark Schulden aus der Zierfischpleite begleichen zu können – und um danach selbst sorgenfrei im Geld zu schwimmen. Einen Monat lang besuchte er die Kunsthalle täglich, plauderte mit den Angestellten, machte Fotos und erfuhr, wie schwach die Kunstschätze bewacht waren. Eine Woche vor dem Einbruch ließ er sich probehalber eine Nacht im Gebäude einschließen und mischte sich am Morgen unerkannt unter die Besucher. Vom Erfolg der Probe ermutigt, versteckte er sich am Sonnabend, dem 29. Juli, in einem Abstellraum, den er nach dem Kontrollgang der Wachleute gegen 19.15 Uhr verließ.

Mit einem Teppichmesser schnitt Jürgen P. zügig die Meisterwerke aus ihren Rahmen, wobei er einmal abrutschte und den Renoir am unteren Rand beschädigte, klemmte sich die Beute zusammengerollt unter den Arm, öffnete um 21 Uhr das Fenster, wunderte sich, dass kein Alarm ausgelöst wurde und sprang – wie er es als Fallschirmjäger gelernt hatte – in die Tiefe. Dann stieg er in seinen VW Käfer, verstaute die Gemälde im Alukoffer und fuhr in die Kaiser-Wilhelm-Straße. Ermittlungsleiter Sitte gab wenig später Kunsthallen-Café-Pächterin Veronika S. seine Durchwahl, für den Fall, dass ihr noch etwas ein- oder auffalle. So wurde seine sorgfältige Recherche dem nicht vorbestraften Jürgen P. schließlich zum Verhängnis, als er Veronika S. beim Einkaufen auf dem Markt begegnete. Die Pächterin erhielt rund 60.000 Mark Belohnung. Das Hamburger Landgericht verurteilte den überführten Täter nach seinem Geständnis und kurzem Prozess zu dreieinhalb Jahren Haft, auch, weil er Schäden in Höhe von 170.000 Mark an den Gemälden verursacht hatte.