Vor 100 Jahren lief bei Blohm + Voss die “Vaterland“ vom Stapel. Matthias Schmoock schildert den Massenauflauf im Hafen und das kurze Leben des damals weltgrößten Ozeandampfers.

Schon vor zwei Uhr waren die Straßen der Umgebung der St. Pauli-Landungsbrücken von vielen Menschen belebt, die ihrem Ziele, der Werft von Blohm + Voss, zustrebten. Straßenbahn und Hochbahn waren überfüllt, Automobile und Droschken fuhren durcheinander und machten die Passage lebensgefährlich. Die Brücken, die zu den Landungsstegen führten, waren von einer drängenden Menge erfüllt."

Diese Schilderung aus dem "Hamburger Fremdenblatt" liest sich fast wie ein Bericht aus unseren Tagen - vom Besuch der "Queen Mary" oder von der Eröffnung des Hafengeburtstags.

Und auch das ist gleich geblieben: Unzählige Schiffe dienen damals, am 3. April 1913, als schwimmende Tribünen, voll besetzte Barkassen belagern die Szene. "Wohl 25.000 bis 30.000 Menschen wurden innerhalb einer Stunde über den Strom geschafft", schätzte ein Reporter. Insgesamt waren 40.000 Zuschauer vor Ort, darunter 15.000 geladene Gäste.

Sie alle erleben die Geburt eines Giganten. Die "Vaterland", für die von Albert Ballin geführte Hamburg-Amerika-Linie gebaut, ist mit 54.285 BRT das damals größte Schiff der Welt - immerhin elf Jahre lang wird sie es bleiben. Ausgerüstet mit 61.000-PS-Maschinen schafft sie 23 Knoten - rund 42,5 Stundenkilometer. 1800 Männer hatten täglich an dem Vierschraubendampfer gearbeitet, 68 Meter hohe Gerüste waren extra für den Bau gefertigt worden.

Bei Sonne und starkem Wind lässt der Taufpate, Prinz Rupprecht von Bayern, mittags eine Flasche Champagner an den Schiffsleib klatschen und tauft den brandneuen Riesen. Er wünsche der "Vaterland", dass sie zwei Weltteile verbinden möge, so der Prinz, aber die Stimmung zwischen den Völkern ist längst äußerst angespannt. Dann sind der Worte genug gesprochen. Unter Böllerschüssen werden mit wuchtigen Hammerschlägen die letzten Stützen beseitigt, dann gleitet der Koloss fast lautlos vom Stapel, bis sich der Bug, wie eine Zeitung schreibt, "mit einer tiefen Verbeugung von der Gleitbahn in sein Element begab". Der Anblick muss fantastisch gewesen sein. "Hinter einem Schleier von schwelendem Rauch richtete sich das Schiff auf (...). Eine gewaltige Welle flutete zurück und ließ die Zuschauerfahrzeuge auf und nieder dümpeln, als führten sie einen Freudentanz auf", notiert ein Augenzeuge. Die "Vaterland" nimmt in der Fahrrinne jede Menge Platz ein: Sie ist insgesamt 289,56 Meter lang und genau 30,478 Meter breit. Die Höhe der Schornsteine über dem Kiel beträgt 56 Meter, die der Brücke 40 Meter.

Mit dem Stapellauf sind die Arbeiten noch lange nicht abgeschlossen, und es dauert noch ein knappes Jahr, bis der Luxusliner endgültig fertiggestellt ist. Die erste Ausfahrt aus dem Kuhwerder Hafen Ende April 1914 gestaltet sich äußerst schwierig und dauert stundenlang. Beim Wendemanöver nimmt das riesige Schiff fast die gesamte Breite des Hafenbeckens ein, sechs Schlepper müssen helfen, und zeitweise geht es laut einer Zeitung nur "Zoll um Zoll" voran.

Die Fahrt auf der Elbe wird dann zum ganz großen Spektakel - genau wie das Auslaufen der Ozeanriesen unserer Tage. "So weit das Auge reichte, hielten von den frühen Nachmittagsstunden an dichte Menschenscharen die Elbufer und Elbhöhen besetzt, um den Dampfer in Fahrt zu sehen (...). Ferngläser und Kameras wurden in Bereitschaft gesetzt, um jede Einzelheit genau mustern und im Bilde festhalten zu können" - so das "Hamburger Fremdenblatt". Am 14. Mai legte die "Vaterland" zu ihrer Jungfernfahrt nach New York ab - mit 1234 Mann Besatzung an Bord, einschließlich der 400 Heizer. Außerdem dabei: 20.500 Kilo Frischfleisch 17.500 Flaschen Wein und Champagner, 50.000 Kilo Kartoffeln - und vieles mehr, um die Reise so komfortabel wie möglich zu machen. 1600 Passagiere hatten gebucht - deutlich weniger als die Kapazität von 4050.

Das Ende der "Vaterland" ist schnell erzählt. Insgesamt nur sieben Atlantik-Überquerungen absolviert sie, dann beginnt schon der Anfang vom Ende des Luxusliners. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wird dem Koloss kurzerhand die Ausreise aus New York verweigert, obwohl die USA noch neutral sind. Die "Vaterland" liegt jahrelang fest. Nach dem Kriegseintritt 1917 beschlagnahmen die Amerikaner den von der langen Liegezeit angegriffenen Ozeanriesen dann auch offiziell. 1938 schippert er als "Leviathan" zum Abwracken nach Schottland.

Im Archiv von Hapag-Lloyd findet sich eine von der Hamburg-Amerika-Linie zum Tag des Stapellaufs herausgegebene Broschüre. Darin heißt es: "Möge das Werk, wenn es gelungen ist, erkennen lassen, dass der hanseatische Unternehmungsgeist und die in seinem Dienst schaffende Technik an der Lösung großer Schiffbau- und Verkehrsprobleme nach wie vor führenden Anteil nehmen."

Im Jahr 2013 kämpft man im Hafen mit vielen verschiedenen Infrastrukturproblemen, und nicht nur der Streit um das dritte Kreuzfahrtterminal zeigt: Hanseatischer Unternehmergeist ist gefragt - heute wie vor 100 Jahren.