Vor 100 Jahren starb Carl Hagenbeck. An den Trauerzug durch seinen Tierpark und die einst revolutionären Konzepte des Visionärs, die bis heute in aller Welt weiterleben, erinnert Matthias Gretzschel.

Es war im April 1912: Carl Hagenbeck reiste auf die Adria-Insel Brioni, um dort den symbolischen Spatenstich für einen neuen Tierpark vorzunehmen, in dem Tiere aus tropischen Ländern für den europäischen Markt akklimatisiert werden sollten. Hagenbeck war damals 67 Jahre alt und bereits von einer schweren Nierenerkrankung gezeichnet. In seinem Tatendrang ließ er sich davon freilich nicht bremsen.

Dem mitgereisten Reporter des "Hamburger Fremdenblatts" diktierte der damals wohl prominenteste Bürger der Hansestadt in den Block: "Ich bin fest überzeugt, daß ich nach zehn Jahren aus Brioni Strauße en masse, auch Antilopen, Steinböcke, Wildschafe, Affen, Vögel, Haustiere und sogar Eisbären nach Stellingen und anderen Gärten werde exportieren können, alles aus eigener Zucht." Ob er die Zucht ausgerechnet von Eisbären auf der im Sommer sehr heißen Insel tatsächlich ins Auge fasste, halten Zoologen freilich allerdings für fraglich.

Doch große Pläne hatte er allemal. Die Hamburger Zeitung druckte dazu ein Bild, das Hagenbeck im angeregten Gespräch mit Erzherzog Franz Ferdinand zeigte, dem österreichisch-ungarischen Thronfolger, dessen Ermordung zwei Jahre später den Anlass für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs lieferte.

Aber so kaisertreu er auch war, an Krieg mochte der Tierpark-Chef damals nicht denken. Seine Pläne und seine Geschäftsbeziehungen waren auf internationalen Austausch angelegt, er selbst war welterfahren und dachte nicht in engstirnigen nationalistischen Kategorien. Am Schreibtisch seiner Villa in Stellingen arbeitete er unablässig an Zukunftsplänen, dachte aber wohl von Zeit zu Zeit auch einmal zurück und führte sich vor Augen, was ihm gelungen war. Der Sohn eines Fischhändlers aus St. Pauli, der 1844 auf dem Spielbudenplatz ein paar Seehunde zu Schau gestellt hatte, war nicht nur einer der weltweit erfolgreichsten Tierhändler geworden, sondern hatte darüber hinaus die Idee des Zoologischen Gartens revolutioniert.

Als Carl Hagenbeck im Mai 1907 seinen Tierpark eröffnete, war das "Zoologische Paradies" eine Weltsensation. In keinem anderen Land, keiner anderen Stadt gab es damals einen Tierpark, der ein vergleichbares Konzept vorweisen konnte. Carl Hagenbecks Idee, Information und Unterhaltung zu verbinden und damit den Zoobesuch zu einem Bildungserlebnis zu machen, war damals neu, entspricht aber ziemlich genau dem Konzept, das Zoologische Gärten in aller Welt bis heute oft mit großem Aufwand umzusetzen versuchen. Der Begriff des Infotainment kommt aus den USA, bezogen auf das Konzept von Tierparks beschreibt dieses Modewort aber ziemlich genau die Ideen, die Carl Hagenbeck dem Stellinger Tierpark von Anfang an zugrunde gelegt hatte.

Zwar blieb Carl Hagenbeck aktiv, aber die Mitarbeiter und seine Söhne Heinrich und Lorenz sahen mit Sorge, dass sich der gesundheitliche Zustand des Tierparkgründers permanent verschlechterte. Immer wieder schüttelte er Prominenten aus aller Welt die Hand, die manchmal eigens nach Hamburg reisten, um den sensationellen Tierpark zu besuchen, doch immer öfter musste er sich im Rollstuhl durch die Anlagen schieben lassen. Am 14. April 1913, vor 100 Jahren, starb Carl Hagenbeck. Er wurde 68 Jahre alt. Die Nachricht, die Hamburg erschütterte, ging um die Welt. Überall druckten Zeitungen detaillierte Nachrufe, in denen Hagenbecks Lebenswerk ausführlich gewürdigt wurde. Zu Beginn der Trauerfeier trug man den Sarg noch einmal durch den Tierpark, dann bewegte sich der lange Zug mit dem aufwendig geschmückten Leichenwagen von Stellingen bis nach Ohlsdorf.

Einen solchen Trauerzug und eine solche Beerdigung hat Hamburg in seiner Geschichte nur selten erlebt. Der "General-Anzeiger für Hamburg und Altona" notierte in seiner Ausgabe vom 18. April 1913 über den Trauerzug durch Hagenbecks Tierpark: "Man hatte zuerst Befürchtungen gehegt, daß die Tiere des Parks beim ungewohnten Anblick des Trauerkondukts unruhig oder gar scheu werden könnten. Und da berührt es denn umso seltsamer, daß alles Getier, von den Dickhäutern, Büffeln, Dromedaren und Giraffen herab bis zu den schnellfüßigen schlanken Gazellen bei dem Anblick des Zuges sich schnuppernd und scharrend nach vorn an die Gitter drängten, gerade so als verriete ihnen ihr Instinkt, daß es ihr treuer Freund und Meister war, der dort an ihnen vorüber zog und ihnen seinen letzten stummen Abschiedsgruß entbot." Bis heute gehört das Grab des Tierparkgründers, in dem später weitere Familienangehörige beigesetzt wurden, zu den Sehenswürdigkeiten des Ohlsdorfer Friedhofs. Vor einem Findling ruht die Bronzeskulptur eines schlafenden Löwen, die der Bildhauer Josef Pallenberg geschaffen hat, von dem auch die Dinosaurier in Stellingen stammen. Auch wenn es keine Belege dafür gibt, kann man wohl davon ausgehen, dass es sich um Triest handeln soll, jenen Löwen, der Carl Hagenbeck einmal in einer dramatischen Situation das Leben gerettet hatte.

Dass sich sein Urenkel Claus und dessen angeheirateter Neffe Joachim Weinlig-Hagenbeck 100 Jahre später vor dem Hamburger Landgericht einen erbitterten Rechtsstreit um die Geschäftsführung liefern, ein solches Szenario hätte sich der Visionär wohl kaum vorstellen können. Wahrscheinlich dreht er sich im Grabe.

Literatur Haug von Kuenheim: Carl Hagenbeck. Biografie in der Reihe "Hamburger Köpfe", Ellert & Richter, 2007, 14,90 Euro

Matthias Gretzschel, Klaus Gille, Michael Zapf: Hagenbeck - ein zoologisches Paradies. Edition Temmen, 3. überarbeitete und ergänzte Auflage, 2009. Umfassende Darstellung zur Geschichte und Gegenwart des Tierparks.