Nichts lässt so tief blicken wie die jährliche Weihnachtsfeier. Sechs Momentaufnahmen vom jungen Internetunternehmen bis zum Vertriebenenverband.

Es ist ein Tag der Besinnung, manchmal aber auch einer der Besinnungslosigkeit. Ein Tag, an dem die Belegschaft einer Firma nicht nur bemerkt, dass die Frau Müller aus der Buchhaltung hübsche Beine hat, sondern dass es sie überhaupt gibt. Und dass der flotte Herr Meyer aus dem Vertrieb derselben Firma sein Frauenproblem noch immer nicht in den Griff bekommen hat. Es ist der Tag, an dem das Redetalent von Vorgesetzten und Vereinsvorsitzenden auf die Probe gestellt wird - für Durchhalteparolen, Selbstbeweihräucherungen, aber weitaus häufiger für ein herzliches und ehrliches "Danke" an die Belegschaft.

Es ist der Tag der Weihnachtsfeier.

Die jungen Leute aus der Internet-Marketingagentur uniquedigital, die sich im Fischrestaurant Seepferdchen an der Großen Elbstraße an festlich eingedeckten Tischen versammelt haben, schauen an diesem Abend gegen 20 Uhr erwartungsvoll auf ihren Geschäftsführer, der mit dem Mikrofon in der Hand geduldig darauf wartet, bis jedes Glas gefüllt ist, zum Anstoßen. Thomas Kabke trägt ein lässiges Sweatshirt in Orange - der Unternehmensfarbe - und verströmt trotz seines warmherzigen Lächelns aus jeder seiner Poren Durchsetzungsvermögen. Man könnte ihn sich gut in einem American-Football-Team vorstellen, doch Kabke hat nach eigenem Bekunden seine Ellenbogen bisher vor allem im Vertrieb eingesetzt. Seit einem halben Jahr ist er Chef von uniquedigital am Neuen Wall - und er sammelt Pluspunkte, denn seine Weihnachtsansprache ist wohltuend kurz. Kabke philosophiert ein bisschen über die Farbe Orange ("Das steht für Frische und Freude, ist ein Stimmungsaufheller und drückt den Wunsch nach Einheit und die Sehnsucht nach Lust aus - sind das nicht tolle Attribute für eine Weihnachtsfeier?!"), beglückwünscht "das ganze Team zu einer großartigen Leistung auf einem hart umkämpften Markt"; und "als Vertriebsmann" habe er rasch gemerkt: "Mensch, das ist ja eine Mannschaft, die kann richtig gut verkaufen!"

Doch da stehen auch ein paar Tellerchen mit jeweils drei runden Keksen auf den Tischen; gebacken von den Damen des Festkomitees und mühevoll mit flüssiger Schokolade auf der - selbstverständlich orangefarbenen - Kuvertüre beschriftet. Ein Keks, ein Wort: "Bold" steht da geschrieben, "human" oder "playful" ("kühn", "menschlich" oder "spielerisch"). Es sind die drei offiziellen Werte, für die das Unternehmen, die gesamte SYZYGY-Gruppe steht. Und es sind diese kleinen Backwaren, die selbst einem Alphatier wie Thomas Kabke das Herz öffnen. "Das ist wirklich cool", sagt er, und wirkt plötzlich echt gerührt.

Uniquedigital ist nur eines von rund 90.000 Hamburger Unternehmen, die in diesen Tagen vorab schon mal Weihnachten feiern. Hinzu kommen zahllose Abteilungen und Unterabteilungen, Organisationen und Institutionen, Krankenhaus- und Pflegestationen, Vereine und Mannschaften. Hamburgs Kegel- und Bowlingbahnen sind praktisch ausgebucht, und die Gastronomen freuen sich.

Es wäre mit Sicherheit vermessen, anhand einiger ausgesuchter Veranstaltungen auf einen allgemeingültigen Trend zu schließen, aber es ist dennoch auffällig, dass offenbar häufig größerer Wert aufs Gemeinschaftsgefühl, auf Harmonie und Herzenswärme gelegt wird als auf Krawall und Remmidemmi. Und das eben nicht nur in alteingesessenen Traditionsunternehmen, sondern auch bei unaufhaltsamen Himmelsstürmern. "Wir haben uns ganz bewusst für ein gesetztes Essen entschieden", sagt Juliane Schmidt aus dem Marketing von uniquedigital, die auch dem Festausschuss angehörte, "denn wir wollten eine feierliche Stimmung." Die Sitzordnung habe man ausgelost, und auch die neuen Kollegen seien eingeladen worden; diejenigen, die erst im nächsten Monat bei ihnen anfangen und sogar verdiente ehemalige Kollegen, die schon längst nicht mehr auf der Gehaltsliste des Unternehmens stehen. Letztere allerdings erst zum inoffiziellen Teil der Weihnachtsfeier, nach dem Menü aus Kürbis-Ingwersuppe, wahlweise gebratenem Zander oder Ribeye-Steak sowie einer lauwarmen Schokoladen-Tarte zum Dessert. "Natürlich werden wir nach dem Essen auch Party machen", glaubt Thomas Kabke, "aber egal wie klein oder groß diese Party wird: Sie ist enorm wichtig für den Zusammenhalt des Teams - und ich kann auf einen Schlag alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennenlernen." Allerdings gebe es für ihn ein Tabu: "Dass jemand beim Feiern in Gedanken sein aktuelles Projekt bearbeitet."

In vielen anderen Industrieländern wie den USA und Großbritannien, vor allem aber in Asien, gilt die Weihnachtsfeier schon seit jeher als Freifahrtschein fürs Komasaufen und den abteilungsübergreifenden Flirt. Kollegiales Kampftrinken bis zum Umfallen - Sodom und Gomorrha inklusive - wird häufig sogar erwartet und ist unumstößlicher Bestandteil einer jeden solchen Festivität. "In Korea nennt man es das 'Hinübergleiten in die andere Dimension'", weiß Agnes Jarosch zu berichten, die mit ihrem Mann viele Jahre in Seoul gelebt hat. "Hierzulande könnten derartige Entgleisungen Konsequenzen nach sich ziehen. Doch in Korea wird am nächsten Morgen so getan, als ob nichts passiert ist. Darüber redet einfach kein Mensch."

Hierzulande heißt das "Hinübergleiten" vermutlich "Rosenmontag".

Agnes Jarosch, im Vorstand des Deutschen Kniggerats, hat als Hüterin des richtigen Benimms eine Broschüre verfasst, die Aufschluss über das richtige Verhalten auf (deutschen) Weihnachtsfeiern gibt. "Da lauern schon so einige Gefahren", sagt sie, "zum Beispiel ist das Lästern über Kollegen absolut tabu. Und beim Small Talk sollte man nicht allzu persönliche Themen anschneiden, denn das könnte dem eigenen Image schaden."

Helmut Borchers, Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Hamburg-Wandsbek, ist aus seiner Praxis kein Urteil bekannt, in dem das krasse Fehlverhalten eines Mitarbeiters auf der Weihnachtsfeier zur Kündigung geführt hat. "Andererseits unterliegt eine Weihnachtsfeier aber auch den arbeitsrechtlichen Verpflichtungen, andere Mitarbeiter nicht zu belästigen, zu bedrohen oder gar tätlich anzugreifen. Dann riskiert man eine verhaltensbedingte, in schweren Fällen sogar fristlose Kündigung", sagt Borchers. Doch müsse eine einmalige Entgleisung nicht zwingend das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Angestelltem nachhaltig zerrütten. "Wenn es im Zuge einer Weihnachtsfeier zu einer Kündigung kommt", meint der Arbeitsrechtler, "hat es meistens schon vorher gebrodelt."

Je höher der Stellenwert einer Weihnachtsfeier, desto höher ist wohl auch die Unternehmenskultur. So könnte die einfache Formel lauten. "Die Weihnachtsfeier ist der Dank des Unternehmens, die Demonstration der Wertschätzung gegenüber seiner Belegschaft", bringt es Angela Rux auf den Punkt. Sie ist in der Geschäftsführung des Hamburger Outdoor-Riesen Globetrotter unter anderem für Personalangelegenheiten zuständig. Das Unternehmen genießt den Ruf einer hohen sozialen Kompetenz. Dementsprechend aufwendig und liebevoll wird auch die Weihnachtsfeier vom "Festausschuss" gestaltet, die wie in jedem Jahr als "Mottoparty" geplant wurde. So werden die meisten der rund 800 Mitarbeiter am Standort Hamburg als "Helden der Kindheit" an diesem Sonnabendabend in der Jensenhalle in Borgfelde erscheinen. "Gerade mit einer gelungenen Weihnachtsfeier können wir dokumentieren, dass wir auch abseits des normalen Tagesgeschäfts eine Gemeinschaft sind - in guten wie auch in schlechten Zeiten", sagt Angela Rux.

Das gilt auch für die innovativen und lustigen Online-Spieleerfinder von InnoGames. Ihre Motto-Weihnachtsparty lautet "Steinzeit", und so liegen nicht nur etwa eine Million kleiner Plastikknochen auf den langen Reihen der Biertische im Gruenspan in der Großen Freiheit herum, sondern es sind auch zwei Dutzend aufblasbarer Steinzeitkeulen in Umlauf, mit denen man sich unblutig auf die Rübe hauen kann. Was von den Computer-Nerds dankbar angenommen wird. Andere wiederum nagen beinahe gedankenverloren an den kredenzten Hühnerkeulen und Spareribs, weil sie parallel zum Essen Schach spielen - trotz der hammerharten Rockmusik, die durch den legendären Hamburger Musikpalast dröhnt. Einmal Spieler, immer Spieler.

InnoGames ist eine sehr junge Firma, die 2003 aus der Freizeitbeschäftigung dreier Stader Jungs hervorgegangen ist und heute am Standort Channel Hamburg in Harburg über 200 Leute beschäftigt. Einer der Mitbegründer und Inhaber, Hendrik Klindworth, ist gerade mal 29 Jahre alt, aber er spricht sehr routiniert von "nachhaltigem Wachstum" und der unternehmerischen Pflicht, "immer auf dem Teppich zu bleiben", obwohl InnoGames zwischenzeitlich zehn neue Jobs pro Monat zu vergeben hatte. "Vor drei Jahren feierten wir noch mit 50 Leuten auf der Bowlingbahn", erinnert er sich. Die Stimmung ist fröhlich und dem Wachstum angepasst, die drei Bars im Gruenspan werden von den Mitarbeitern bereits nach 90 Minuten im Viertelstundentakt angesteuert. "Wir sind aber auch alle ziemlich aufgeregt", sagt Klindworth, "denn unser neuestes Strategiespiel ist für den Deutschen Entwicklerpreis in zwei Kategorien nominiert."

Dieses Spiel, "Forge of Empires", mit dem sich Online-Spieler eine eigene Stadt aufbauen können, beginnt in der Steinzeit; daher auch die Keulen und Knochen.

Dann erscheint plötzlich die Berliner Performancekünstlerin Mel auf der Bühne; eine Mischung aus Domina, Vampyrette und Schlangenbeschwörerin, die auch Feuer schlucken kann. Sogar die unermüdlichen Schachspieler lassen sich durch diese Überdosis an lasziver Lackledererotik von ihren Partien ablenken. So mancher flüchtet jedoch in Panik, als Mel mit einem gut vier Meter langen Python durch die Reihen schreitet und ihn dem jeweils Nächstbesten um die Schultern legt. Doch jeder, der diese Mutprobe besteht, erhält frenetischen Applaus von den Kollegen. "Wir finden es für unser Team wichtig zu feiern", sagt der junge Chef. "Unser ganzes Unternehmen lebt ja von sprühenden Ideen, und das funktioniert nicht ohne Spontaneität und gute Laune." Deshalb sei auch seine Tür immer offen, betont der Chef. "Wer eine Idee hat, sollte sie am besten sofort äußern." Er scheint genau zu wissen, auf wessen Schultern der große Erfolg der Firma ruht - auch wenn InnoGames leider nicht zu den diesjährigen Preisträgern gehören wird. Aber das wissen die Spielentwickler zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Im Gegensatz zu InnoGames fällt ausgerechnet der amerikanische Apfel erstaunlich weit vom Stamm der deutschen Unternehmen, die an der "sozialen Komponente Weihnachtsfeier" eisern festhalten. Jonas Taubert (Name geändert), der ein halbes Jahr lang im Apple Store im Alster-Einkaufszentrum in Poppenbüttel arbeitete, erinnert sich mit Grausen an seine erste und letzte Weihnachtsfeier in der teuersten und erfolgreichsten Firma der Welt, die an einem freien Sonntag morgens um zehn mit bemerkenswerter Lieblosigkeit in einer Hamburger Systemgastronomie abgehalten wurde, gerade mal eine Stunde, also kaum länger als der tägliche Morgenappell für die Verkaufs- und Serviceteams, den sie "daily brainwash" genannt hätten, die "tägliche Gehirnwäsche".

Man habe sich zum gemeinsamen Frühstück im Bolero an der Rothenbaumchaussee getroffen, erzählt der 21 Jahre alte Student der Kommunikationswissenschaften aus Lüneburg, "aber bis zum Freitagabend davor war nicht mal klar gewesen, ob uns die Zentrale einen Zuschuss genehmigen würde". Am Ende habe Apple dann acht Euro pro Person springen lassen, die Getränke hätten sie jedoch selbst bezahlen müssen. "Von meinen rund 80 Kolleginnen und Kollegen nahmen auch nur etwa 20 an der Weihnachtsfeier teil", grinst Jonas, "die anderen kannten das schon, aber ich war ja neu!"

Auf die telefonische Anfrage hin, ob sich bezüglich der Gestaltung der Weihnachtsfeier in diesem Jahr etwas geändert haben könnte, teilte ein Sprecher aus der Münchner Zentrale des Apple-Konzerns mit, dass es sich "um firmeninterne Informationen handele, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt seien".

Das kann man gut verstehen.

Viele Weihnachtsfeiern dienen jedoch nicht der allgemeinen Belustigung, sondern dazu, dem Vergessen entgegenzuwirken: So veranstaltet der Landesverband der vertriebenen Deutschen traditionsgemäß seinen Christkindlmarkt im Haus der Heimat, am Teilfeld unterm Michel. Alkohol spielt bei dieser Feier keine Rolle, obwohl man sich die Lage eigentlich schöntrinken müsste. Denn die Nachwuchssorgen sind groß. "Gerade die mittlere Generation der Vertriebenen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten sowie der Landsmannschaften aus Siebenbürgen, dem Banat sowie der Aussiedler aus Russland haben anscheinend kein Interesse an Brauchtum und Tradition", sagt Willibald Piesch, der Vorsitzende des Landesverbandes, der die Besucher am Eingang in oberschlesischer Tracht persönlich empfängt.

Der Christkindlmarkt verteilt sich über vier Etagen des engen Bürohauses aus den 60er-Jahren. Neben teils leicht vergilbten Büchern und Broschüren ("Mein Königsberg", "Stille Jahre in Gertlauken", "Wir Siebenbürger"), gestickten Deckchen, Tonarbeiten und anderem Kunsthandwerk fauchen Kaffeemaschinen auf den Bürotischen. Dazu wird Selbstgebackenes gereicht, fast schon vergessene Rezepte wie Szeklerkuchen oder Litschkaschnitte.

"Das Leid hat sie zusammengeschweißt", seufzt Peter Voß, Kulturreferent des Landesverbandes, und blickt düster zu einem Grüppchen betagter Seniorinnen hinüber, die im Gemeinschaftsraum in Landestrachten und mit brüchigen Stimmen "O Tannenbaum" zum Besten geben. Als die letzten Takte verklungen sind, tritt Ursula Zimmermann, 83, eine gebürtige Königsbergerin, vor und erregt sich vehement über die Visumsgebühr von knapp 50 Euro, die sie für jeden Königsberg-Besuch bezahlen müsse, während man in die anderen ehemaligen Ostgebiete "einfach so" fahren könne. "Ich reise dreimal im Jahr dorthin, wo mein Elternhaus noch steht, nur weiß ich nicht, wie lange ich mir das noch leisten kann, wo sie uns doch die Rente halbiert haben!" Früher habe sie 2000 Mark bekommen, jetzt seien es bloß noch 1000 Euro! Da nicken die anderen im Chor.

Auch die meisten der rund 350 Pensionäre der Hamburger Stadtreinigung, die sich einmal im Jahr in der Kantine des Betriebshofes in Stellingen zur Ehemaligen-Weihnachtsfeier versammeln, schwelgen bei deftigem Grünkohl mit Kassler, Wurst und Backe, serviert von den Auszubildenden, vorwiegend in der Vergangenheit. "Wir versuchen, unsere Leute auch nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Arbeitsleben ans Unternehmen zu binden", sagt Pressesprecher Reinhard Fiedler, "denn der Zusammenhalt wurde bei den Müllmännern immer großgeschrieben."

Die Erinnerungen reduzieren sich dabei vor allem auf die Veränderung der Mülltonnen, und sie gehen mit einer gewissen Verachtung für die heutigen Müllwerker einher: "Auf meiner Tour warteten im Keller des Altonaer Rathauses 30 Metalleimer mit Schlacke, 80 bis 90 Kilo schwer. Die haben uns fast die Arme ausgerissen. Die Jungs heute mit ihren viereckigen Tonnen aus Kunststoff mit Rädern würden sich bei so einem Kellerwalzer garantiert in die Hosen scheißen", erzählt Helmut Senz, der 37 seiner 82 Lebensjahre als Fahrer eines Mülllasters gearbeitet hat. Das hat ihm zwei künstliche Hüftgelenke beschert; Spätfolgen der Schlepperei. Sein 75 Jahre alter Tischnachbar Alfred Meyer kann aus dem gleichen Grund zwei künstliche Kniegelenke vorweisen, und Kollege Rudi Käselow, 69, der in 36,5 Jahren nur 55 Tage krank war, hat sich gerade sein zweites Karpaltunnelsyndrom wegoperieren lassen. Aber sie würden zur Not wohl auch vom OP-Tisch hüpfen, denn sie sind harte Hunde. Sie kommen jedes Jahr wieder zum weihnachtlichen Grünkohlessen in die Kantine, einem neuen, kubischen Zweckbau mit dem Charme eines Operationssaals, was durch den aufwendigen Tannenschmuck immerhin leidlich gedämpft wird. "Sonst sieht man sich ja nicht mehr", sagt Senz mit belegter Stimme, "aber in jedem Jahr sehe ich dann leider auch so manchen Kollegen gar nicht mehr."

Eine weitaus freudigere Form von Ergriffenheit und Zusammengehörigkeitsgefühl lässt sich anderntags im Hamburger Michel spüren, als "O du fröhliche" aus 1700 Kehlen durchs Kirchenschiff rauscht; mit Unterstützung der Hamburger Symphoniker, des Symphonischen Chors sowie der HAM-Singers, des Freizeitchors des Hamburger Flughafens, der schon seit Anfang September für diesen Auftritt geprobt hat. So manche Träne wird verdrückt, selbst von den jüngeren Leuten.

Es ist erst das zweite Mal, dass sich die Mitarbeiter des Flughafens geschlossen zu einem festlichen Weihnachtskonzert mit Lesung in Hamburgs bedeutendster Kirche zusammenfinden. "Wir hätten sicherlich noch mehr Karten verkaufen können", sagt Pressesprecherin Stefanie Harder, die dieses Event im vergangenen Jahr ersonnen hat, anlässlich des 100. Geburtstags des Flughafens. "Wir betrachten uns ja als 'Hamburg Airport-Family'", sagt sie, "und wir glauben, dass wir mit dieser zentralen Feierstunde viel zum Zusammengehörigkeitsgefühl beitragen können."

So haben nicht wenige Mitarbeiter auch ihre Angehörigen mitgebracht, und nach dem Konzert lässt man dann den Abend auf dem nasskalten Vorplatz des Michel bei Glühwein, Würstchen und Schmalzbroten gemeinsam ausklingen. Dafür haben die verschiedenen Abteilungen Stände aufgebaut und versuchen, sich gegenseitig im Umsatz zu übertreffen.

Einige haben sich verkleidet, als Rentiere, Bären oder Pinguine, andere preisen lautstark ihre Waren an, als gäbe es kein Morgen. Auch Flughafen-Chef Michael Eggenschwiler verkauft mit, "aber der hat ja schon im vergangenen Jahr nicht gewonnen", verrät ein Angestellter aus der Sozialabteilung. "Ich habe ihm deshalb den Tipp gegeben, es so zu machen wie der Vorstandsvorsitzende der Haspa, die ja eine ähnliche Feier veranstaltet: Der Herr Vogelsang gewinnt nämlich immer, weil er den Differenzbetrag aus eigener Tasche drauflegt." Darauf habe der Herr Eggenschwiler allerdings nur die Schultern gezuckt und verschmitzt gegrinst.

Es kommt jedoch einfach immer gut an, wenn sich die Geschäftsführung aktiv ins Weihnachtsfeiergetümmel stürzt. Ein geradezu exemplarisches Beispiel hierfür bietet Auto Wichert, einer der größten VW-Händler des Landes. Denn bevor in der ausgeräumten Nutzfahrzeughalle im Bornkampsweg mit rund 1000 Gästen die Post abgehe, sagt Geschäftsführer und Mitinhaber Bernd Glathe, seien ab 17 Uhr erst einmal die Kinder der Angestellten dran. In diesem Jahr hat seine Frau Anja insgesamt 220 Weihnachtsgeschenke gekauft und mithilfe von zwei Mitarbeiterinnen auch verpackt. "Niemals würden wir mit dieser Tradition brechen", sagt Glathe, "denn unsere Mitarbeiter sind unser wichtigstes Kapital - und hinter vielen von ihnen stehen wiederum Familien."

Mag die Autobranche auch zurzeit stöhnen: Auto Wichert frohlockt und expandiert. Im nächsten Jahr soll am Stockflethweg in Ochsenzoll auf 40.000 Quadratmetern das größte Audi-Terminal des Landes öffnen.

"Wir haben immer antizyklisch gearbeitet und den Gewinn konsequent in die Firma investiert", bemerkt der Chef zufrieden, nippt am Mineralwasser, wobei er einen kritischen Kontrollblick auf die Flaschenbatterien wirft, die auf dem mobilen Tresen auf ihre Vernichtung warten. "Unsere Leute sollen nicht nur ordentlich arbeiten, sondern auch ordentlich feiern können. Die haben schließlich ein Superjahr hingelegt. Deshalb sollen sie diesen Abend auch alle genießen. Allerdings weiß ich jetzt schon, wie der Boden nachher aussehen wird ..."

Dementsprechend großzügig fallen auch die Geschenke für die Kinder aus. Sie durften schon vor Monaten einen Wunschzettel ausfüllen. Und auch wenn die Glathes wie in jedem Jahr die Hilfe von Hamburgs engagiertestem Weihnachtsmann Ingo annehmen, so ist letztlich der gesamte Clan bei der Bescherung eingebunden, auch Bernds Bruder Jens, der auf seiner Gitarre Weihnachtslieder zupft. "Wir sehen uns wirklich als eine große Familie", sagt Anja Glathe, von der es heißt, dass sie diesbezüglich eine "Überzeugungstäterin" sei - dass sie sich auch schon mal um einen Wasserrohrbruch im Hause eines Mitarbeiters kümmere oder dafür sorge, dass eine weitere Lehrstelle freigeschaufelt wird. "Darum dreht sich doch im Prinzip alles: um Zufriedenheit, aber nicht nur an Weihnachten", mahnt die Chefin. Und dabei lächelt sie glücklich.