Altstadt. Am Tag nach der Präsentation der Einigung von Rot-Grün mit der Volksinitiative gegen Großunterkünfte für Flüchtlinge rückte in der Bürgerschaft das parlamentarische Verfahren ins Zentrum. Den Abgeordneten blieben nur gut 24 Stunden Zeit, um den umfangreichen, mehr als 130 Seiten umfassenden Antrag zu studieren. Am Ende einer gut zweistündigen, zum Teil lebhaften Debatte stimmte die Bürgerschaft dem Kompromiss mit den Stimmen von SPD, Grünen und den Linken (die nur die neun Bürgerverträge ablehnten) zu. Die Abgeordneten von CDU und AfD enthielten sich, die Liberalen stimmten mit Nein.
„Keiner von uns ist in der Lage, diesen Antrag innerhalb von 24 Stunden zu prüfen. Ein solches Paket als Tischvorlage zu präsentieren ist eine Farce für die parlamentarische Demokratie“, griff CDU-Fraktionschef André Trepoll die Hauptverhandler auf rot-grüner Seite, die Fraktionschefs Andreas Dressel (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne), an. „Die parlamentarische Kontrollfunktion ist dadurch ausgeschaltet“, sagte Trepoll.
„Das ist keine Sternstunde des Parlaments“, kritisierte auch FDP-Fraktionschefin Katja Suding. „Rot-Grün lässt eine ordentliche parlamentarische Beratung nicht zu – ein Anschlag auf die parlamentarische Demokratie.“ Dabei, so Suding, wäre Zeit genug: „Für eine Einigung mit der Initiative bleiben noch fast sieben Wochen Zeit, bis zum 30. August.“ Dann erst laufe die Verhandlungsfrist zwischen Bürgerschaft und Initiative ab. Doch der Antrag der FDP, eine Sondersitzung der Bürgerschaft in der zweiten Augusthälfte zu beschließen und erst dann über den Kompromiss zu entscheiden, fand keine Mehrheit.
Sozialsenatorin Leonhard lobt Dressel und Tjarks
SPD-Fraktionschef Dressel räumte die Kritik im Prinzip ein. „Der große Zeitdruck ist eine Zumutung für das Parlament, aber das war unvermeidbar“, sagte der Sozialdemokrat. Die komplizierten Verhandlungen mit der Volksinitiative um deren Sprecher Klaus Schomacker, der mit zahlreichen Mitstreitern die Debatte verfolgte, hätten nun einmal bis zum Montag gedauert. „Eine Hängepartie über weitere sieben Wochen – das geht nicht für die Bürger. Und auch die Behörden brauchen Planungssicherheit“, so Dressel.
Die Linken-Abgeordnete Christiane Schneider sah die Sache pragmatisch. „Wenn wir erst im August abstimmen, wird es kaum etwas ändern. Die FDP stimmt dann zwar eventuell zu, aber das können Sie auch heute tun“, sagte Schneider an die FDP-Abgeordneten gewandt.
Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) lobte Dressel und Tjarks für die Ergebnisse der Verhandlungen. „Es ist gelungen, ein gemeinsames Verständnis dafür zu entwickeln, dass es für alle Flüchtlinge, die nach Hamburg kommen, eine Unterbringungsverpflichtung gibt“, sagte Leonhard. Außerdem werde ein „echter Beitrag geleistet, die Integration in allen Stadtteilen voranzubringen“. Leonhard verteidigte noch einmal den umstrittenen Senatsplan vom Herbst vergangenen Jahres, 5600 Wohnungen für Flüchtlinge im Rahmen des sogenannten Express-Wohnungsbaus zu errichten. „Damals drohte Obdachlosigkeit. Alles andere wäre unverantwortlich gewesen.“
Grund für die Volksinitiative waren die Großsiedlungen
Doch genau diese Expresswohnungen, die anfangs in Großsiedlungen mit je 800 Einheiten in jedem Bezirk entstehen sollten, waren der Grund für die Gründung der Volksinitiative gewesen. „Rot-Grün versteht unter Politik offensichtlich die Kunst, Brände zu löschen, die sie selbst gelegt haben“, machte sich Trepoll über Dressel und Tjarks lustig. Die geplanten „Massenunterkünfte“ seien „ein einmaliger Irrweg in Deutschland“ gewesen. Trepoll: „Der Senat hat die Krise erst überhaupt nicht erkannt und dann überreagiert.“
In der Sache gab es dennoch überwiegend Zustimmung zur Einigung mit der Volksinitiative. „Es ist grundsätzlich gut, dass es dazu gekommen ist“, sagte Suding. „Ein großes Kompliment an die Vertreter der Initiative, dass sie sich als politische Laien mit den Polit-Profis an einen Tisch gesetzt und viele Punkte für die Stadt durchgesetzt haben.“ Linken-Fraktionschefin Cansu Özdemir betonte: „Uns ist wichtig, dass mit dem Kompromiss ein Volksentscheid über die Flüchtlingsfrage vermieden werden kann. Der hätte Integration verhindert.“
AfD-Fraktionsvize Bernd Baumann sah als Grund für das Entgegenkommen von Rot-Grün die Angst vor einer „drohenden Volksabstimmung gegen die Politik des Senats und gegen unerwünschte Einwanderung“. CDU-Fraktionsvize Karin Prien betonte die enge Zusammenarbeit ihrer Fraktion mit der Initiative: „Wir sind eine gemeinsame Strecke gegangen und haben gemeinsame Erfolge erreicht.“ Aber Prien warnte auch vor „Unklarheiten und Auslegungsfragen“ der Vereinbarung. Unmittelbar nach der Abstimmung in der Bürgerschaft zog die Volksinitiative ihren Antrag auf Durchführung eines Volksbegehrens zurück.
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