Es war ein Rekord, den der Senat am Dienstag dieser Woche zu verkünden hatte: 2841 Menschen haben im Februar in Hamburg Schutz gesucht - so wenige wie schon seit Monaten nicht mehr. Zum Vergleich: Im Oktober waren es noch mehr als 10.000 Flüchtlinge. Doch richtig gejubelt hat niemand. Nicht einmal die CDU hat ihren Dauervorwurf wiederholt, wonach der Senat mit viel zu hohen Zugangszahlen arbeite und das Unterbringungsprogramm demnach überdimensioniert sei.
Nun ist es nicht so, dass es plötzlich ein Umdenken in der CDU gegeben hätte. Sehr wahrscheinlich ist, dass die Hamburger Skiferien auch in die Flüchtlingsdiskussion ein wenig Ruhe haben einkehren lassen. Denn eigentlich lässt man bei den Christdemokraten keine Gelegenheit aus, das 5600-Wohnungen-Programm der Regierung zu kritisieren.
Allerdings gewinnt das Programm nicht so schnell an Fahrt, wie Rot-Grün es sich wünscht. In der Kommission für Bodenordnung, in der über den Verkauf städtischer Grundstücke an Investoren beraten wird, gab es bei vier Grundstücken Uneinigkeit. Eigentlich sollten die Grundstücke Haferblöcken (Billstedt), Duvenacker (Eidelstedt), Suurheid (Rissen) und Eiffestraße (Borgfelde) verkauft und dann bebaut werden. Doch nun werden sie für zunächst einmal zwei Monate anhand gegeben, also praktisch für die Investoren reserviert. In dieser Zeit sollen die sich Gedanken machen können, ob sie das Risiko einer möglichen Auseinandersetzung vor Gericht eingehen wollen. Verhängen Richter nämlich einen Baustopp, sind Planungskosten im sechsstelligen Bereich dahin. Die Hoffnung, die einige Mitglieder der Kommission damit verbinden, ist wohl, dass die Zeit genutzt wird, um mit der Volksinitiative gegen Großunterbringungen nachzuverhandeln, damit an der Front der potenziellen Kläger Ruhe ist.
Es gibt keine Garantie dafür, dass nicht jemand anderes als die Initiative klagt
Wie verlautete, hat die SPD dem Ansinnen nur widerwillig zugestimmt. Denn niemand garantiert einem, dass nicht ein anderer klagt, wenn es die Initiative nicht tut. Außerdem will man das Unterbringungsprogramm schnell voranbringen. Auch wenn die Flüchtlingszahlen derzeit wegen der geschlossenen Balkanroute rückläufig sind, ist es keinesfalls sicher, dass nicht ab Sommer wieder mehr Flüchtlinge über andere Wege nach Deutschland kommen. Hätte sich die SPD gesträubt, hätte sich die Bürgerschaft mit jedem einzelnen Grundstück befassen müssen. Und das würde noch mehr Zeit kosten.
Zeit verloren hat man bereits beim Bau der Unterbringung in Klein Borstel (Ohlsdorf), welcher für 700 Flüchtlinge vorgesehen ist. Das Verwaltungsgericht hat einen Baustopp verhängt und diesen damit begründet, dass nicht geprüft worden sei, ob es Alternativen zu dieser Fläche gegeben hätte. Die Stadt hatte mit dem neuen Bundesbaurecht versucht, den geltenden Bebauungsplan auszuhebeln und so Wohnungsbau für Flüchtlinge möglich zu machen. Im Rathaus setzt man nun, wie so oft, auf das Oberverwaltungsgericht (OVG), in der Hoffnung, das OVG möge die Absicht des Gesetzgebers mehr würdigen als die aktuelle Kammer. Aus der SPD ist zu vernehmen, dass auch eine gleichlautende Entscheidung des OVG kein Ende für Klein Borstel bedeuten müsste. „Dann muss der Bebauungsplan entsprechend geändert werden.“ Aber das kann zwei Jahre dauern.
So schwierig allein die Unterbringung von Flüchtlingen schon ist – deren Integration, etwa durch Sprache und Bildung, dürfte ungleich schwieriger sein. Und da sorgte Uni-Präsident Dieter Lenzen, der diese Woche die Bilanz seiner ersten Amtszeit und die Ziele für die zweite vorstellte, für große Ernüchterung. Er warnte vor Fehleinschätzungen. So gebe es bei vielen Flüchtlingen das Missverständnis, dass Hochschulen in Deutschland auch für Berufsausbildung zuständig sind, ähnlich wie im amerikanischen System. Von den rund 2000 Flüchtlingen, die an der Uni Hamburg ihr Interesse an einem Studium bekundet hätten, habe die Uni nur 60 unmittelbar immatrikulieren können. Da dürfte man sich mehr erhofft haben. Bei denjenigen, die eine dem Gymnasium vergleichbare Schule besucht haben, sei das Sprachproblem die größte Barriere. Die allerwenigsten hätten ausreichende Schreib- und Lesefähigkeiten, so Lenzen weiter.
„Nicht in der Lage, einen Busfahrplan zu lesen“
Bei den Syrern etwa sei ein großer Teil „nicht in der Lage, einen Busfahrplan zu lesen“, so die niederschmetternde Erkenntnis. Laut einer neueren Studie können zwei Drittel der jungen Syrer auch in ihrer Muttersprache nur einfachste Aufgaben lösen. Das hieße nicht, dass diese Menschen nicht in der Lage seien, das zu lernen. Es sei ihnen aber nie beigebracht worden. Nur 15 bis 20 Prozent eines Jahrgangs besuchen eine Hochschule oder könnten sie besuchen. Das sieht nach harter Integrationsarbeit aus.
Unterdessen hat sich auch Walter Scheuerl vom Elternnetzwerk „Wir wollen lernen“ in die Flüchtlingsdiskussion eingebracht. Der Rechtsanwalt aus Blankenese hob auf das Computerprogramm vom MIT in Boston und der HafenCity Universität ab, mit dem künftig alle Hamburger Flächen für Flüchtlingsunterbringungen suchen sollen. Auf einem Modell der Stadt Hamburg können Legosteine als Symbole für Unterkünfte verschoben werden. In seiner Mitteilung macht Scheuerl darauf aufmerksam, dass der Lego-Konzern die entsprechende Abteilung der US-Elite-Uni sponsore. Das Hamburger Projekt werde dagegen durch eine Finanzierung der Stadt angeschoben. Ob Scheuerl diesen Umstand kritisch oder begrüßenswert findet, teilte er allerdings nicht mit.
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