Die FDP-Abspaltung empfiehlt, bei der Bürgerschaftswahl am 15.Februar die SPD-Wahlkreiskandidaten zu wählen

Hamburg. Der Schritt ist ungewöhnlich und möglicherweise einmalig: Die Neuen Liberalen, die sich im Herbst des vergangenen Jahres von der FDP abgespalten haben, rufen drei Tage vor der Bürgerschaftswahl zur Wahl einer anderen Partei auf. „Wir haben beschlossen, eine Wahlempfehlung zugunsten der SPD-Wahlkreiskandidaten abzugeben“, sagt Sylvia Canel, Bundesvorsitzende der Neuen Liberalen im Gespräch mit dem Abendblatt.

Die Neuen Liberalen treten nur mit einer Landesliste zur Wahl am kommenden Sonntag an. „Die Hälfte der Abgeordneten wird aber über die Wahlkreise gewählt, in denen wir keine eigenen Kandidaten haben“, sagt Canel. Weil sie die eine Hälfte der Bürgerschaftsabgeordneten durch ihren eigenen Wahlkampf nicht mitbestimmen können, hätten sie sich überlegt, wie die sozialliberale Handschrift am besten zum Ausdruck gebracht werden könnte.

Nun ist es schon aus Gründen der unmittelbaren Konkurrenz kein Zufall, dass die Neuen Liberalen nicht etwa die Wahl der FDP-Wahlkreiskandidaten empfehlen. Hier geht es auch um persönliche Unverträglichkeiten: Canel war bis zu ihrem Austritt im Herbst FDP-Landesvorsitzende und hatte sich erbitterte innerparteiliche Auseinandersetzungen mit der jetzigen FDP-Spitzenkandidatin Katja Suding geliefert. Nachdem Canel im Streit über die Aufstellung der Landesliste zur Bürgerschaftswahl gegen Suding unterlegen war, hatte sie die FDP ebenso verlassen wie der damalige Parteivize Najib Karim. Canel und Karim initiierten daraufhin mit weiteren FDP-Dissidenten und Mitgliedern anderer Parteien die Neuen Liberalen. Die beiden Ex-Freidemokraten sind nun die Bundesvorsitzenden der Neuen Liberalen.

Die neue Gruppierung gibt sich ein sozialliberales Profil und will sich so gegenüber der FDP abgrenzen. „Wir haben uns vor der Wahlempfehlung überlegt, mit wem wir am besten zusammenarbeiten könnten“, sagt Patrick Urbaneck. „Da war es nahe liegend, dass wir auf die SPD kommen“, so der Hamburger Landesvorsitzende der Neuen Liberalen, der früher einmal selbst der SPD angehörte. Es gibt auch einen wahltaktischen Vorzug: Da die SPD-Kandidaten entweder auf der Landes- oder Wahlkreisliste kandidieren, treten die Landeslisten-Kandidaten der Neuen Liberalen nicht in direkte Konkurrenz zu den sozialdemokratischen Bewerbern in den Wahlkreisen.

Canel hat als FDP-Landesvorsitzende die allein regierende SPD häufig kritisiert. „Der SPD-Senat gibt jede Wertschätzung für Bildung und gesunde Kindesentwicklung auf“, empörte sich Canel 2013, als über den Ausbau von Ganztagsschulen diskutiert wurde. „Kinder brauchen Platz zum Toben und Laufen, Ganztagsschulen brauchen Erholungsräume – die gesamte Schüler-Flächen-Berechnung des Senats ist eine Farce, die nicht einmal für eine artgerechte Hühnerhaltung taugen würde“, schrieb die Bildungspolitikerin damals auf Facebook.

Doch Canel findet mittlerweile auch positive Seiten am SPD-geführten Senat. „An Bürgermeister Olaf Scholz schätze ich, dass er sich um die Stadt kümmert und die sozialen Aspekte nach vorn bringt“, sagt die Bundesvorsitzende der Neuen Liberalen. So habe der SPD-Senat seit Amtsantritt dafür gesorgt, dass die Schlaglöcher auf den Straßen saniert würden. Auf Zustimmung der Neuen Liberalen trifft auch die Entscheidung des Senats, die Gebühren für den fünfstündigen Kita-Besuch abzuschaffen. „Ich war immer für frühkindliche Bildung“, sagt Canel. Schließlich hält sie auch die Abschaffung der Studiengebühren für einen sozialpolitisch richtigen Schritt.

Die Partei hat in Hamburg rund 100 Mitglieder, bundesweit etwa 500

„Aber Olaf Scholz könnte natürlich vieles besser machen“, sagt die Parteichefin. Am besten ginge das aus ihrer Sicht zusammen mit den Neuen Liberalen. Allerdings wird die Parteineugründung in Umfragen nur unter „Andere“ geführt, sodass der Sprung über die Fünfprozenthürde eher unwahrscheinlich ist.

Bei der SPD kommt die Wahlaussage der Neuen Liberalen verständlicherweise gut an. „Wir freuen uns über jede Unterstützung für unsere Wahlkreis-Kandidaten, die einen tollen Job machen“, sagt SPD-Bürgerschaftsfraktionschef Andreas Dressel, der selbst im Wahlkreis kandidiert.

Nach Angaben der Partei haben die Neuen Liberalen in Hamburg rund 100 Mitglieder. Bundesweit sind es etwa 500 Frauen und Männer. Obwohl die neu gegründete Partei noch nie zu einer Wahl angetreten ist, gehören ihr schon Abgeordnete an. Nach je zwei Übertritten von den Grünen und der SPD haben die Neuen Liberalen mit vier Vertretern in der Bezirksversammlung Harburg Fraktionsstatus. Zu den Gründingsmitgliedern der Neuen Liberalen zählen der frühere FDP-Politiker Dieter Biallas, der von 1974 bis 1978 Wissenschafts-, Kultursenator und Zweiter Bürgermeister war, sowie Haug von Kuenheim, ehemaliger stellvertretender Chefredakteur der „Zeit“.