Vereine, die Ehrenamtliche beraten, erhalten weniger Geld. Initiative beklagt, Hamburg schwäche funktionierendes System.

Hamburg. Die Worte auf der Behörden-Internetseite klingen salbungsvoll: „Über 25.000 Menschen sind in Hamburg auf die Hilfe eines Betreuers angewiesen, viele dieser Betreuungen werden ehrenamtlich wahrgenommen. Ein ehrenamtlicher Betreuer kann mit geringem Zeitaufwand einem hilfsbedürftigen Menschen sehr viel mehr als die reine Abarbeitung rechtlicher Angelegenheiten geben: nämlich das Gefühl, beachtet und gemocht zu werden.“

Offenbar gelten diese Worte nicht mehr. Denn Hamburg will genau bei ihnen sparen. Die Hamburger Betreuungsvereine, die in allen Bezirken tätig sind und die etwa 7000 ehrenamtlichen Betreuer beraten, müssen vom Sommer an Stellen streichen. Die Förderung von 960.000 Euro wird 2015 um 165.000 Euro gekürzt, im Jahr 2016 um 330.000 Euro. Das bestätigte die Gesundheitsbehörde auf Abendblatt-Anfrage.

Eine neu gegründete Initiative von ehrenamtlichen gesetzlichen Betreuern, die in Hamburg etwa 40 Prozent aller Betreuungen leisten, hat sich jetzt in einem offenen Brief an Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) gewandt und ihn aufgefordert, die Kürzungen zurückzunehmen: „Können oder wollen die ehrenamtlichen Betreuer wegen fehlender Unterstützung der Betreuungsvereine die Arbeit nicht mehr leisten, werden wieder professionelle Betreuer die Aufgabe übernehmen. Dies treibt die Betreuungskosten hoch und schwächt das bürgerschaftliche Engagement.“

„Man will ein bestehendes System stören“, kritisiert Günter Michalke, Mitglied der Initiative, die bereits mehr als 4000 Unterschriften für ihr Anliegen gesammelt hat. Er ist seit mehr als 15 Jahren als ehrenamtlicher rechtlicher Betreuer tätig ist.

Beim Verein Insel e. V., einem der Hamburger Betreuungsvereine, lässt sich der pensionierte Lehrer und Sozialpädagoge regelmäßig beraten und tauscht sich mit den anderen Ehrenamtlichen aus. „Es werden außerdem regelmäßig wichtige Fortbildungen angeboten“, sagt der 68-Jährige. Die rechtliche Betreuung gelte als eines der schwierigsten Ehrenämter, weil es um komplizierte rechtliche Sachverhalte gehe.

„Die gesetzliche Betreuung selbst ändert sich nicht. Es gibt Änderungen in den Zuständigkeiten und in der Folge in den Angebotsstrukturen für die Bürgerinnen und Bürger“, sagt Rico Schmidt, Sprecher der Gesundheitsbehörde. In diesem Zusammenhang gebe es Aufgabenverschiebungen. Eine Doppelfinanzierung müsse dabei vermieden werden.

„Die Trennung von Verein und Behörde ist aber sehr wichtig. Das muss auch so bleiben“, sagt die pensionierte Sozialpädagogin Marlies Wenzel, die sich seit vier Jahren ehrenamtlich als Betreuerin engagiert. „Es werden hohe Anforderungen an uns gestellt, und das ist auch in Ordnung. Aber ich könnte diese Arbeit ohne den Verein nicht mehr weitermachen. Betreuung ist nicht damit getan, dass ich am Anfang drei Fortbildungen mache.“ Es gebe immer wieder Situationen, in denen sie Unterstützung benötige, kompetente Beratung durch den Verein und den Austausch mit den Kollegen.

„Hier wird freiwilliges Engagement geschwächt, um professionelle, staatliche Strukturen auszubauen. Das ist das falsche und ein fatales Signal für alle ehrenamtlich Engagierten in dieser Stadt“, sagt Christian Böhme, Sprecher des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Hamburg e. V., bei dem fünf der sieben Betreuungsvereine Mitglied sind. Und es sei auch das Gegenteil dessen, was Hamburg immer wieder betone: „Ehrenamtliche leisten einen unschätzbaren Beitrag zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft und müssen daher stärker gefördert werden.“

Diese Doppelzüngigkeit der Stadt ärgert auch Hedwig Eversmann unendlich: Die Eimsbüttlerin hatte sich vor drei Jahren auf der Freiwilligenbörse Aktivoli informiert und sich dann entschlossen, ehrenamtliche Betreuerin zu werden. Derzeit betreut die Exportkauffrau vier Menschen. Ihr schwierigster Fall sei Paul (Name geändert). Der 65-Jährige leide an Diabetes, Übergewicht, habe einen Schlaganfall und einen Herzinfarkt hinter sich und sei mittellos. „Die Ärzte halten eine Beinamputation für erforderlich. Paul ist aber nicht mehr ansprechbar“, sagt die 58-Jährige. Eine komplizierte rechtliche Situation. Sie habe sich daher mit dem Betreuungsverein lange beraten und dann beschlossen, das Gericht über diesen Fall entscheiden zu lassen. Sie muss außerdem Kostenvoranschläge einholen, um Pauls Wohnung aufzulösen, Berichte schreiben und ist deshalb in sehr engem Kontakt mit dem Betreuungsverein. „Ich mache das sehr gern“, sagt sie, „man muss aber auch taff sein“.

Die Arbeit der Ehrenamtlichen zu erschweren und mehr Berufsbetreuer zu bestellen, hält sie wie ihre Kollegen für den falschen Weg: „Berufsbetreuer haben einen sehr schlechten Ruf. Die müssen ihre Betreuten nicht einmal persönlich kennen“, sagt sie. Sie dagegen arbeitet pro Woche zwei Tage allein für Pauls Belange und geht regelmäßig an sein Krankenbett. „Dafür bekommen wir Ehrenamtlichen pauschal 399 Euro. Pro Jahr“, sagt Eversmann. Das sind 33,25 Euro im Monat. Davon bestreite sie sämtliche Aufwendungen wie Fahrtkosten und Porto.

Die gut 400 Berufsbetreuer in Hamburg werden deutlich besser honoriert. Auch sie bekommen eine Pauschale. Je nach Qualifikation erhalten sie einen Stundensatz zwischen 27 und 44 Euro und können, abhängig davon, wo ein Betreuter lebt (Heim oder Wohnung) und ob er über Vermögen verfügt oder nicht, zwischen 30 und 82,5 Stunden pro Jahr abrechnen. Im Höchstfall also bis zu 3630 Euro. „Für mich ist völlig unlogisch, wie man Geld sparen will, wenn man die ehrenamtlichen Betreuer beschneidet und mehr Berufsbetreuer braucht“, sagt Günter Michalke.