Das grüne Spitzenduo Katharina Fegebank und Jens Kerstan spricht im Abendblatt-Interview über die Knackpunkte einer rot-grünen Koalition

Hamburg. Anfang des Monats haben die Grünen-Landeschefin Katharina Fegebank und Fraktionschef Jens Kerstan auf die vorderen beiden Listenplätze gewählt. Mit den beiden Spitzenkandidaten zieht die Partei nun in den Wahlkampf zur Bürgerschaftswahl am 15.Februar. Die jüngsten Umfragen sehen die Grünen zwischen elf und 14 Prozent. Schaffen es die Sozialdemokraten nicht, ihre absolute Mehrheit zu verteidigen, führen sie zuerst mit den Grünen Gespräche. So hat es Bürgermeister Olaf Scholz angekündigt. Doch so einfach wollen die Grünen es der SPD nicht machen. Beim Klimaschutz, in der Energiegewinnung und beim Verkehr sind beide Seiten noch weit voneinander entfernt.

Hamburger Abendblatt:

Wie fühlt man sich denn so als das Schreckgespenst der Wirtschaft?

Katharina Fegebank:

Ich fühle mich gar nicht als Schreckgespenst.

Jens Kerstan:

Ich auch nicht. Warum denn?

Kürzlich haben die Verbandschefs massiv vor den Grünen gewarnt. Der Industrieverbandschef Michael Westhagemann hat gesagt, die SPD solle allein regieren. Was führt aus Ihrer Sicht dazu, dass die Wirtschaft Angst vor einer grünen Regierungsbeteiligung hat?

Fegebank:

Es gibt da anscheinend die Sorge, dass es mit Grünen am Ruder in Sachen Umwelt- und Klimaschutz Regeln geben könnte, die die Wirtschaft einschränken. Ich habe aber den Eindruck, dass es viele Menschen in der Stadt gibt, die es richtig finden, dass sich eine politische Kraft für die Umwelt starkmacht.

Kerstan:

Da muss niemand Sorgen haben. Wenn man sich die schwarz-grüne Zeit anschaut, stellt man fest, dass die Wirtschaft die Chancen einer Ökologisierung wahrgenommen und vielfach auch genutzt hat. Ich sehe aber, dass Umweltpolitik parteipolitisch instrumentalisiert wird. Wir haben einen SPD-Senat, der nicht bereit ist, gesetzliche Mindeststandards einzuhalten, sich stattdessen lieber vor Gericht verklagen lässt und der Wirtschaft sagt, sie brauche sich um den Öko-Unsinn nicht zu kümmern. Nach der vorhersehbaren Klatsche vor Gericht werden dann Umweltverbände und Grüne als angebliche Wirtschaftsfeinde diffamiert.

Geben Sie mal ein Beispiel.

Kerstan:

Nehmen wir die dreckige Luft. Seit Jahren überschreitet Hamburg die Grenzwerte der EU, deshalb drohen Millionenstrafen aus Brüssel. Da ist es naiv, wenn der Senat einen Luftreinhalteplan bei der europäischen Kommission einreicht, der selber aussagt, dass er die europäischen Grenzwerte nicht einhält. Und wenn man dann nach der abgelehnten Fristverlängerung die Nachbesserung verweigert, muss man das schon Arbeitsverweigerung nennen. Damit verhindert der Senat Planungssicherheit, nicht wir Grüne oder die Umweltverbände.

Die Wirtschaft sagt aber nicht, dass ihr Planungssicherheit fehlt, sondern, dass die Grünen gegen Großprojekte wie Elbvertiefung, A26 oder die Hafenquerspange sind.

Kerstan:

So pauschal ist dieses Bild falsch. Ich nehme es als eine durchaus kalkulierte Politik dieses Bürgermeisters wahr, Umweltbelangen nicht nur gleichgültig gegenüberzustehen, sondern den Konflikt Wirtschaft gegen Ökologie heraufzubeschwören, um uns Grüne in eine wirtschaftsfeindliche Ecke zu drängen, in die wir nicht gehören. Das ist im Interesse der SPD, aber nicht im Interesse der Stadt.

Ihre Wirtschaftsfreundlichkeit scheint sich bei den Wählern noch nicht herumgesprochen zu haben. Seit Jahren stagnieren die Grünen bei elf Prozent. Müssen Sie sich nicht nach irgendeiner Seite öffnen, um weitere Wählerschichten anzusprechen?

Kerstan:

Wir haben mit der schwarz-grünen Koalition den Kurs der Eigenständigkeit der Grünen erst möglich gemacht. So etwas macht man nicht, ohne auch einen politischen Preis zu zahlen, der sich in Umfragen oder auch in Wahlergebnissen niederschlägt. Ich bin aber überzeugt, dass die grünen Themen viele Menschen ansprechen. Gerade bei diesem SPD-Senat, der sich um Umwelt, Lebensqualität oder mehr Chancen durch bessere Bildung gar nicht kümmert.

Wie sehr zieht es Sie denn in die Regierung?

Fegebank:

Wir trauen uns zu, in Hamburg mitzuregieren. Wir machen das aber nicht um jeden Preis und werden uns nicht jetzt schon im Wahlkampf der SPD an den Hals werfen. Wir würden eine Regierungsbeteiligung davon abhängig machen, welche Inhalte wir durchsetzen können.

Welchen Preis würden Sie denn nicht akzeptieren?

Fegebank:

Ich glaube nicht, dass es klug wäre, jetzt schon Knackpunkte festzulegen.

Kerstan:

Klar ist aber auch, dass wir in einigen Punkten einen Politikwechsel brauchen, um mitregieren zu können. Wir brauchen einen Investitionsschwerpunkt im Radverkehr, um bis 2025 auf einen Anteil von 25 Prozent am Gesamtverkehr zu kommen. Das wäre eine Verdoppelung, das ist ehrgeizig, aber machbar. Auch das Spardiktat der SPD an den Hochschulen muss fallen. Und wir brauchen eine Politik, die erkennbar versucht, Klimaschutz in der Stadt voranzubringen, im Verkehr, im Wohnungsbau und bei der Energieerzeugung.

Fegebank:

Wofür wir auch streiten, ist die Frage des Politikstils. Wir wollen mehr Dialog mit der Bevölkerung und mehr Mitbestimmung. Wir müssen für ein besseres politisches Klima sorgen, wenn es um große Entscheidungen geht. Diese sollen nicht im kleinen Kreis getroffen werden. Etwa im Wohnungsbau oder der Flüchtlingspolitik.

Gerade in der Flüchtlingspolitik hapert es doch eher an der ausreichenden Zahl der Unterkünfte.

Kerstan:

Eine reiche Stadt wie Hamburg kann auch in einer so schwierigen Situation Flüchtlinge dauerhaft beherbergen. Wir wünschen uns da eine stärker von humanitären Prinzipien geleitete Politik, was das Bleiberecht angeht, etwa im Fall der Lampedusa-Gruppe. Da gibt es Spielräume, die der SPD-Senat nicht nutzen will.

Fegebank:

Wie andere Bundesländer es schon machen, fordern wir einen Winter-Abschiebestopp für Flüchtlinge – zumindest in die Länder, wo der Winter besonders hart ist. Selbst wenn es um Kranke, Kinder oder alte Menschen geht, zeigt sich der Senat hartleibig. Hier brauchen wir mehr Menschlichkeit.

Ein weiterer Knackpunkt ist die Stadtbahn. Olaf Scholz sagt klipp und klar, dass sie nicht kommen wird. Wie werden die Grünen damit im Falle von Koalitionsverhandlungen umgehen?

Fegebank:

Eine Metropole sollte auf eine Stadtbahn als zentrales Element einer zukunftsgerichteten Verkehrspolitik nicht verzichten. Die Bürger sollen im Rahmen eines Referendums darüber entscheiden. Das ist unser Angebot, und davon rücken wir nicht ab. Wir sitzen hier ja nicht in Koalitionsverhandlungen.

Dann werden die U-Bahn-Pläne der SPD die Stadtbahn der Grünen ausstechen.

Fegebank:

Es ist ja nicht so, dass wir die U-Bahn schlecht finden. Aber wir brauchen vor 2040 vernünftige Nahverkehrskonzepte für die stetig wachsende Stadt. Die Pläne der SPD erinnern hingegen an das Ungeheuer von Loch Ness: Es taucht immer kurz vor der Wahl auf und wird danach nicht mehr gesehen.

Kerstan:

Es ist unsinnig, U-Bahn und Stadtbahn gegeneinander auszuspielen. Millionenmetropolen brauchen beides. Als Grüner bin ich froh, dass wir uns nur noch darüber streiten, welches schienengebundene Verkehrsmittel gebaut werden soll und dass es nicht mehr darum geht, den ÖPNV gegen das Auto auszuspielen. Da gibt es unterschiedliche Vorstellungen, und am Ende wird man sich auf irgendetwas einigen müssen, was Realisierungschancen hat. Und da habe ich angesichts der hohen Kosten bei der U-Bahn große Zweifel.

Die SPD treibt eine Bewerbung Hamburgs um die Olympischen Spiele voran. Die Grünen sind weniger euphorisch. Warum?

Fegebank:

Wir sehen in den Olympischen Spielen für Hamburg große Chancen, aber auch Risiken, die liegen vor allem bei den Kosten. Wir wollen die Bürger in einem Referendum befragen. Das geht nur, wenn es belastbare und transparente Aussagen zu den Kosten gibt.

Kerstan:

Der Deutsche Olympische Sportbund will ja schon im Februar in Berlin und Hamburg Umfragen machen, auf deren Basis er sich dann entscheiden will, ob und mit welcher Stadt er sich bewirbt. Der Senat will die Kosten aber erst nach dieser Umfrage ermitteln, das finde ich unverantwortlich.

Mit welchen Kosten rechnen Sie denn?

Kerstan:

Der Bau von Sportstätten würde mindestens zwei Milliarden Euro kosten. Und die Hafenwirtschaft hat gerade betont, dass allein für die Verlagerung der Hafenbetriebe Kosten von vier bis sieben Milliarden Euro „nicht unrealistisch“ seien. Hinzu kommen noch die Kosten für die Herrichtung der Fläche. Außerdem ist die Hafenwirtschaft gegen Wohnungsbau auf dem Olympiagelände. Das sollten die Menschen wissen, bevor sie über Olympia abstimmen.

Die Atmosphäre zwischen SPD und Grünen ist angespannter als die aller anderen Fraktionen in der Bürgerschaft. Woran liegt das?

Fegebank:

Die SPD regiert, und unser Job als Opposition ist es, die Regierung zu kontrollieren und zu kritisieren. Da muss man auch mal Klartext reden. Manchen in der SPD hat es sicher auch gestört, dass wir ihnen 2008 „untreu“ geworden sind, als wir mit der CDU eine Koalition eingegangen sind. Zu Beginn dieser Wahlperiode gab es harte Auseinandersetzungen. Aber ich habe mittlerweile den Eindruck, dass wir uns aufeinander zubewegen. Es gibt sicher ein paar Reizfiguren auf beiden Seiten, aber nichts, was unüberbrückbar wäre.

Ist Bürgermeister Olaf Scholz für die Grünen eine Reizfigur, und haben Sie Angst, unter diesem Bürgermeister mitregieren zu müssen?

Kerstan:

Nein, überhaupt nicht. Wir sind zwar mit unseren realen oder potenziellen großen Koalitionspartnern Kummer gewöhnt. Aber es ist auch normal, dass SPD und Grüne ein gesundes Konkurrenzverhalten an den Tag legen, weil wir in manchen Teilen ähnliche Programme haben und die gleichen Wähler ansprechen.

Herr Kerstan, Sie waren jetzt sieben Jahre lang schon Fraktionschef. Wie sehr reizt Sie eine neue Rolle im Senat, zum Beispiel als Senator für Stadtentwicklung und Umwelt?

Kerstan:

Ich kann mir vieles vorstellen. Aber erst einmal müssen wir bei der Wahl so erfolgreich abschneiden, dass wir überhaupt in die Lage kommen, konkret über eine Koalition zu reden. Bei der Personalfrage hätten die beiden Spitzenkandidaten sicher das erste Zugriffsrecht.

Die jetzige Zweite Bürgermeisterin ist ja Wissenschaftssenatorin ...

Fegebank:

Wie war das mit dem Bären? Solange der nicht erlegt ist, kann alles anders kommen, als man denkt. Unser wichtigstes Ziel ist es, die absolute Mehrheit der SPD zu brechen. Der Drops ist noch lange nicht gelutscht.

Kerstan:

Und selbst wenn die SPD die absolute Mehrheit verliert, ist Rot-Grün keineswegs gesichert. Wenn die FDP oder die Neuen Liberalen es in die Bürgerschaft schaffen, kann es sehr gut sein, dass sich der Bürgermeister gegen uns entscheidet. Da mache ich mir keine Illusionen. Wir Grünen wollen etwas bewegen, deshalb sind wir für die SPD kein billiger Partner.