Geht es nach Manfred Brandt, sollen die Bürger 2017 über Reformen entscheiden. Bezirke sollen Kommunen werden.

Hamburg. Früher einmal war er Kommunalpolitiker der FDP und hat sein Geld als Agrarwissenschaftler verdient. Seit Ende der 1990er-Jahre aber mischt Manfred Brandt zusammen mit dem Verein Mehr Demokratie von seinem Moorburger Obsthof aus die gesamte Hamburger Politik auf. Wenn der 69-Jährige neben seinem alten Hanomag-Trecker steht, sieht er aus wie einer, der den Hof der Familie niemals verlassen hat. Die andere Hälfte dieses Mannes aber ist kein Obstbauer – sondern ein politischer Missionar. Das belegen auch die neuen Initiativen, die Brandt dieser Tage auf den Weg bringt.

Bekämen Brandt und sein Verein dafür eine Mehrheit, würde das die politischen Strukturen Hamburgs radikal verändern. Der Verein Mehr Demokratie hat sich jetzt nämlich zum Ziel gesetzt, die Hamburger am Tag des Bundestagswahl 2017 in gleich zwei Volksentscheiden über zwei grundlegende Reformen der Verfassung abstimmen zu lassen.

Mit dem ersten Vorhaben, dessen Entwurf dem Abendblatt vorliegt, sollen Verfassungsänderungen nicht mehr allein durch die Bürgerschaft mit Dreiviertelmehrheit beschlossen werden können. Damit eine Verfassungsreform gültig wird, soll sie in einem Referendum von einer Mehrheit der abstimmenden Bürger bestätigt werden müssen – wie in Bayern und Hessen üblich. Dafür sollen die Parlamente grundsätzlich die Möglichkeit bekommen, von sich aus das Volk zu befragen. Auch die Bezirke sollen landesweiten Referenden anberaumen können: Wenn eine Mehrheit der sieben Bezirksversammlungen sich dafür ausspricht, würden demnach die Hamburger vor wichtigen Entscheidungen zu ihrer Meinung befragt. Für die von den Parlamenten beschlossenen Bürgerbefragungen soll es dabei keine Mindestbeteiligung mehr geben. Die Zustimmungshürden für Volksentscheide sollen zudem gesenkt werden. Außerdem soll das Volk künftig über sämtliche politischen Fragen entscheiden können. Bisher sind etwa Haushaltspläne oder Tarife von Volksinitiativen ausgeschlossen.

In etwa drei Wochen will Mehr Demokratie den konkreten Vorschlag für eine zweite, noch weitreichendere Verfassungsänderung vorlegen, die Hamburg politisch revolutionieren würde. Danach sollen die Bezirksversammlungen zu echten Kommunalparlamenten werden, wie Brandt sagt. Bisher sind die Bezirksversammlungen weitgehend machtlos. Künftig sollen sie nach dem Vorschlag das Recht bekommen, Gewerbesteuern zu erheben und Haushaltspläne aufzustellen – so wie es auch die Kommunen in den Flächenländern tun. Hamburg müsste dann zwischen den sieben Bezirken einen kommunalen Finanzausgleich wie in Flächenländern organisieren, bei dem finanzschwächere Bezirke durch stärkere unterstützt werden.

„Das ist die richtige Antwort auf die Globalisierung“, sagt Manfred Brandt. „Die Menschen wollen lokal mehr Verantwortung übernehmen.“ Weil das in Hamburg bisher nicht wirklich möglich sei, würden sich hier auch viel weniger Menschen direkt vor ihrer Haustür politisch engagieren als etwa in Niedersachsen oder Schleswig-Holstein. Dabei sei die Kommunalpolitik auch eine politische Elitenschmiede. Föderal organisierte Bundesstaaten seien weltweit am erfolgreichsten, etwa die Schweiz oder die USA, aber auch Deutschland, so Brandt. Für den Moorburger ist diese zweite große Reform ohne die erste Verfassungsänderung nicht möglich – weil sie sonst keinen Bestand hätte oder wieder ausgehebelt werden könnte. SPD-Fraktionschef Andreas Dressel lehnte die Vorhaben des Vereins am Dienstag deutlich ab.

Hamburg sei schon jetzt nach dem eigenen Ranking von Mehr Demokratie das demokratischste Bundesland. „Ich sehe keinen Bedarf für weitere radikale Änderungen.“ Die Stadt brauche ein handlungsfähiges Parlament. Nur eine größere Verfassungsreform sei in seinen Augen derzeit sinnvoll, so Dressel: Die Bürgerschaft solle künftig die Möglichkeit bekommen, die Bürger von sich aus nach ihrer Meinung zu befragen – etwa beim Thema Olympia. Derzeit verhandelten alle Fraktionen über das Vorhaben. Die CDU präferiert offenbar unverbindliche Befragungen, Grüne und Linke sind für verbindliche Referenden. Bis Dezember will man sich auf einen Vorschlag einigen.

Obwohl sie lange als traditionelle Bündnispartner von Mehr Demokratie galten, gehen derweil offenbar auch die Grünen auf Distanz zum Verein von Manfred Brandt. „Man muss sich gut überlegen, ob man wirklich zu jeder, auch zu wenig umstrittenen Verfassungsänderungen künftig die Bürger befragen muss“, sagte Grünen-Fraktionschef Jens Kerstan. Die faktische Auflösung der Einheitsgemeinde durch die Umwandlung der Bezirke in echte Kommunen hält, wie Dressel, auch Kerstan für falsch: „Das würde mehr Probleme schaffen als lösen.“