Die Dienstgruppe Operative Aufgaben bildet einen Pool für Beamte, die zu angeschlagen sind für Schichtdienste.

Neustadt. Er hat viel erlebt, aber auch viel mitgemacht. War lange Zivilfahnder auf dem Kiez. Hat mehr als zehn Jahre nur Nachtschichten geschoben. Zehn Jahre abends zum Dienst und morgens wieder nach Hause. Der Dienst hat Joachim Ehrhorn geschliffen. So kann man es wohl sagen. So sehr, dass der 54 Jahre alte Oberkommissar keinen Schichtdienst mehr schafft. „Ich hatte irgendwann gesundheitliche Probleme.“ Persönliche kamen dazu.

Swenja Warnck, 43, hat jahrelang im Streifendienst gearbeitet. Ist im Peterwagen die Straßen der Innenstadt abgefahren, von Einsatz zu Einsatz. Sie war dort, wo was passierte. „Rein in den Streifenwagen, raus aus dem Wagen, die Treppen hoch, die Treppen runter.“ Den Schichten folgte eine Arthritis. „Es ging einfach nicht mehr. Außerdem wollte ich nicht, dass mein Sohn zwölf, 13 Stunden allein zu Hause ist“, sagt die alleinerziehende Mutter eines 13 Jahre alten Sohnes.

Joachim Ehrhorn und Swenja Warnck sind keine Einzelfälle. Was sie ungeachtet ihrer Krankheitsgeschichten eint: Sie sind Kollegen in der Dienstgruppe Operative Aufgaben (DGOA) am Innenstadt-Kommissariat (PK 14). Vor zwei Jahren gegründet, bildet die Einheit einen Pool für Beamte, die zu angeschlagen sind, um andere Dienste, geschweige denn volle Schichtdienste zu übernehmen.

Die Polizei formuliert das anders: Flexible Einheiten seien die DGOAs, die unabhängig vom Tagesdienst an Brennpunkten eingesetzt werden können. Operative Aufgaben klingt nach Spezialeinheit. Und in einem gewissen Sinne ist die Dienstgruppe auch eine, nur dass ihre Mitarbeiter nicht so durchtrainiert sind wie die Spezialisten vom Mobilen Einsatzkommando (MEK).

Ohne sie könnten jedoch viele Aufgaben der Polizei in der Stadt nicht mehr wahrgenommen werden. Und nicht zuletzt sind sie es die Älteren und Angeschlagenen, die helfen sollen, den Übergang zu einer jüngeren Polizei zu meistern, wie ihn Polizeipräsident Ralf Meyer kürzlich im Abendblatt-Interview angekündigt hat.

24 Polizeikommissariate gibt es in der Stadt. Von hier aus starten die sogenannten Wachdienstgruppen zu ihren Einsätzen, mit dem Peterwagen zumeist. Bis zu zwei Millionen Einsatzstunden reißen die Streifenwagen-Besatzungen jedes Jahr ab. Doch sie sind viel zu wenige. 150 Beamte fehlen in der Grundlast, wie Gewerkschaften und Opposition kritisieren. Grundlast ist ein seltsam behördlicher Begriff: Ursprünglich wurde er eingeführt, um die Ausstattung der Reviere vergleichen zu können. Mittlerweile wird er synonym für die Aufgabenlast der Wachen verwendet. Egal wie, in den Schichten arbeiten deutlich zu wenige Beamte.

Dafür gibt es an jedem Polizeikommissariat mittlerweile eine Dienstgruppe Operative Aufgaben. Am PK 14 hat die Truppe 22 Mitarbeiter, so viele wie sonst keine andere. Der Altersdurchschnitt liegt bei 50 Jahren. Doch ihre „operativen Aufgaben“ sind oft gar nicht so flexibel und beschränken sich teils darauf, in den viel zu dünn besetzten Wachdienstgruppen auszuhelfen, zumeist in den Früh- und Spätschichten. Nachtschichten schaffen die meisten nicht. Kritiker sehen in den DGOAs deshalb eine Notlösung, der sich die Polizeiführung bedient, um die Personalmisere aufzufangen.

Am Innenstadtrevier hingegen, dessen Reviergrenzen der Ring 1 und die Elbe vorgeben, ist man außerordentlich gut auf die Truppe zu sprechen: „Ohne unsere DGOA würde es schwierig werden“, sagt Stephan Glaser. Der Hauptkommissar, wie die vier silbernen Sterne auf den blauen Schulterstücken anzeigen, ist Chef der Abteilung Prävention und Präsenz. Damit steht er auch der Truppe vor. Das PK 14 steht im Spannungsfeld einer Innenstadtwache. Nirgendwo wird mehr Sport und Vergnügen veranstaltet, nirgendwo kommen so viele Touristen zusammen, nirgendwo treffen mehr Gegensätze aufeinander, nirgendwo finden mehr Demonstrationen statt.

„Eigentlich ist nichts Besonderes los, und dennoch sind wir voll eingesetzt. Bei uns sitzt nie einer rum“, sagt Glaser. Mit „wir“ meint er die 15 an diesem Tag verfügbaren Beamten der DGOA. Streife laufen, Uniform zeigen, die Außenstellen am Rathaus und am Klingenberg besetzen, aktuelle Ereignisse betreuen, wie zuletzt den Besuch des Dalai Lama. Aufgaben, mit denen die Streifenwagenbesatzungen, die Wachdienstgruppe im 14er, aus Zeitmangel gar nicht betraut werden könnte. „An einigen Tage sind wir gepresst wie eine Zitrone“, heißt es.

„Wir sind das Mädchen für alles“, sagt Ehrhorn, der altgediente Beamte, der beim Besuch des geistlichen Oberhaupts der Tibeter insbesondere eine Gruppe Shugden-Anhänger an der Laeiszhalle beaufsichtigte, die gegen den Dalai Lama protestierte. Er und seine Kollegen sind als Gruppe im Einsatz, wenn sich am Wochenende die Stufen am Binnenalsteranleger mit Jugendlichen aus der ganzen Stadt füllen. Sie kontrollieren die Wichtigtuer, die ihre Hunderttausende Euro teuren Acht-Zylinder-Rennmaschinen auf dem Jungfernstieg aufbrüllen lassen. Sie haben in den vergangenen drei Wochen immer wieder Autofahrer am Gänsemarkt über die nach dem Busbeschleunigungsumbau veränderte Straßenführung aufgeklärt.

Und sie zeigen sich auf den vielen Veranstaltungen und Aufzügen in der Innenstadt: Cyclassics, Triathlon, Alstervergnügen, CSD, Cruise Days... 427 Versammlungen gab es allein im vergangenen Jahr auf dem Gebiet des Polizeikommissariats und 66 Aufzüge. In diesem Jahr werden es noch mehr sein. Wenn die fünf Weihnachtsmärkte im Dezember ihre Pforten öffnen, sind die 22 Mann jeden Tag vor Ort. Die Beamten der DGOAs machen zwar keinen Nachtdienst, haben aber einen anderen Vorteil: Die Polizei verfügt mit ihnen über einen Pool, der flexibel bei Schwerpunkteinsätzen eingesetzt werden kann. „Ich hab zwar keine festen Arbeitszeiten wie in den Schichten, wo ich schon vier Wochen vorher weiß, wie ich arbeiten muss“, sagt Ehrhorn. „Dafür ist das Aufgabenfeld viel umfangreicher. Du kannst wählen.“ Man bekomme viel angeboten, müsse aber auch viel leisten. „Zu uns sind einige gekommen, die man woanders gar nicht mehr hätte einsetzen können. Die waren fix und fertig“, sagt ein Beamter. „Mit den Dienstgruppen war es möglich, denen zu zeigen: Du wirst noch gebraucht.“ Motivation statt Krankschreibung. „Hier sind sie wieder gern zum Dienst gekommen.“

Die starren Arbeitszeiten in Schichten gebe es in der Dienstgruppe nicht

Auch Ehrhorn sieht keine Alternative: „Gäbe es die Dienstgruppe nicht, müsste ich mir ein ärztliches Attest holen und irgendwo im Tagesdienst untergebracht werden.“ Formulare ausfüllen.

Swenja Warnck wacht vor dem geschmiedeten Tor des Rathauses. Dass es einen Briefkasten im Rathaus gebe, wo sie ihre Ansichtskarte einwerfen könne, erklärt sie einer Dame, und „nein“, den leere Bürgermeister Olaf Scholz nicht selbst aus, dafür gebe es einen Postboten. „Ich mag das“, sagt sie, als die Dame weg ist.

Während die ersten DGOAler noch auf die Straße abkommandiert werden mussten, wächst die Einheit heute weitgehend aus Freiwilligen. „Hundert Beamte auf die Straße“, hieß eine Wahlkampfparole der SPD, die nach dem Wahlsieg umgesetzt wurde – angeblich um die unter dem CDU-Vorgängersenat aufgebauschten Stäbe zu verschlanken. „Das war eine schwierige Zeit“, heißt es heute hinter vorgehaltener Hand.

Die Quoten mussten erfüllt werden. Es traf die am wenigsten dienstfähigen, die Demotivierten. Teils wurden Sachbearbeiter von wichtigen Aufgaben abgeschoben, die dann brachlagen. Die DGOA der ersten Tage war ein Team von Invaliden und Verratenen. Das hat sich geändert. Es sind immer noch die etwas angeknacksten, die hier Dienst tun. Doch sie können als Polizeibeamte in Würde altern. Und ihre Erfahrungen einbringen. Viele Unternehmen würden sich so etwas wünschen.

In der Dienstgruppe muss sich Swenja Warnck um Nachtschichten keine Gedanken mehr machen. „Die starren Schichtmodelle sind weg.“ Sie sei variabler. Trotz des Aufgabenwechsels fühle sie sich immer noch als vollwertige Polizistin. „Ich kann den Streifendienst nicht mehr leisten, will aber trotzdem im Einsatz sein.“ Das gehe nur in der Dienstgruppe. Andernfalls hätte sie ihre Dienststätte komplett wechseln müssen. „Aber ich war schon immer in Mitte“, sagt sie, es klingt fast wie eine Entschuldigung. „Ich bin ein MitteKind.“