Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zur Lampedusa-Gruppe. Am 30. Juni läuft die Frist ab

Hamburg. Am 30. Juni läuft die Frist für die Lampedusa-Flüchtlinge ab: Noch bis zum kommenden Montag können sie bei der Ausländerbehörde in Hamburg einen Antrag auf Bleiberecht aus humanitären Gründen stellen, ohne dass sie bis zum Ende des Verfahrens eine Abschiebung befürchten müssen. 92 Flüchtlinge haben dies bisher getan, die anderen kämpfen weiter für eine Gruppenlösung. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was wollen die Lampedusa-Flüchtlinge?

„Wir kämpfen für unser Recht, unser Leben neu aufzubauen“, heißt es in einer Erklärung. Von Anfang an haben die Lampedusa-Flüchtlinge ein Aufenthalts- und Arbeitsrecht für die gesamte Gruppe nach Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes gefordert. Die meisten von ihnen haben bereits ein Asylverfahren in Italien durchlaufen und dort eine befristete Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Sie sind damit als Schutzbedürftige in einem EU-Land anerkannt.

Wie groß ist die Gruppe in Hamburg?

Die genaue Zahl ist unklar. Es können bis zu 300 Menschen sein. Die meisten sind Wanderarbeiter aus Ghana, Nigeria und Mali, die teilweise viele Jahre in Libyen gearbeitet haben. Nach dem Ausbruch des Krieges gegen das Gaddafi-Regime und dem Eingreifen der Nato im Februar 2011 waren sie über das Mittelmeer nach Lampedusa geflüchtet, teilweise auch mit Waffengewalt vertrieben worden. Weil sie in Italien unter unzumutbaren Bedingungen leben mussten, reisten sie nach Hamburg.

Was bietet der Senat an?

Innensenator Michael Neumann (SPD) lehnt eine Gruppenlösung ab. Nach seiner Auffassung sind innerhalb Europas die Ankunftsländer gemäß dem Dublin-II-Abkommen für die Flüchtlinge zuständig. Er hat immer gefordert, dass die Flüchtlinge ihren Namen preisgeben und einzeln Bleiberechtsanträge stellen. Im Oktober 2013 haben Kirche und Senat eine Vereinbarung getroffen, die jedem Antragsteller zusichert, dass er für die Dauer des Verfahrens nicht aus Hamburg abgeschoben wird. Normalerweise kann ein abgelehnter Antragsteller abgeschoben werden, auch wenn er Widerspruch einlegt. Für das Senatsversprechen, die sogenannte Verfahrensvereinbarung, gelten Bedingungen. Die Flüchtlinge müssen eine Aufenthaltsgenehmigung für Italien haben. Sie müssen Libyen in der Zeit vom Februar bis Oktober 2011 verlassen haben, bis mindestens Herbst 2012 in Italien gelebt und vor dem 1. Mai 2013 nach Hamburg eingereist sein.

Was spricht für ein Bleiberecht?

Anne Harms von Fluchtpunkt, der Hilfsstelle der evangelischen Kirche für Flüchtlinge, sagt, dass die Lampedusa-Flüchtlinge zu einer besonderen Gruppe gehören. „Sie wurden zweimal vertrieben – erst in Libyen und dann in Italien. Sie sind die Opfer eines Krieges, den sie nicht geführt haben. Der Nato-Einsatz erfolgte offiziell auch, um sie zu schützen. Nun muss Europa diesen Schutz auch gewährleisten.“ Aus diesen Gründen ist aus Sicht der Unterstützer die Lage in den Heimatländern der Flüchtlinge nicht maßgeblich für die Aufenthaltsentscheidung.

Warum setzt der Senat eine Frist bis zum 30. Juni?

„Mit der Verfahrensvereinbarung hat die Innenbehörde den rechtlichen Rahmen zugunsten der Flüchtlinge ausgeschöpft“, sagt der Sprecher der Innenbehörde, Frank Reschreiter. Nach einem halben Jahr hätten sich zuletzt nur noch wenige Lampedusa-Flüchtlinge an die Ausländerbehörde gewandt, deshalb habe die Behördenleitung den Endtermin gesetzt. Für die Vertreter der Kirche kam die Entscheidung überraschend. „Wir wurden am 3. Juni per E-Mail von der Behörde über die Frist informiert“, sagt Anne Harms von Fluchtpunkt. Es sei allerdings immer klar gewesen, dass es irgendwann einen endgültigen Termin für die Möglichkeit der Antragstellung geben wird. Probleme sehen die Berater wegen der verbleibenden kurzen Meldephase, die zu Bearbeitungsengpässen führen könnte.

Wie viele Flüchtlinge haben bislang einen Antrag gestellt?

Laut Ausländerbehörde haben 69 Personen einen Antrag auf humanitäres Bleiberecht nach Paragraf 25 des Aufenthaltsgesetzes gestellt. Das ist kein Asylantrag. Dazu kommen vier Personen, die mündlich einen Antrag gestellt haben, diesen aber noch nicht förmlich eingereicht haben. Außerdem gibt es 19 Flüchtlinge, die laut Behörde nicht die Kriterien der Verfahrensvereinbarung erfüllen. Das Bundesamt hat sechs Abschiebeandrohungen erlassen. Einen Termin gibt es in keinem Fall, einige Fälle liegen beim Eingabenausschuss.

Welchen Status haben die Antragsteller?

Für die Dauer des Verfahrens bekommen sie eine Duldung. „Wer einen Antrag auf humanitäres Bleiberecht stellt und bei der Behörde Fingerabdrücke und Fotos machen lässt, soll so lange nicht abgeschoben werden, bis sein Verfahren über alle Instanzen abgeschlossen ist“, sagt Fluchtpunkt-Leiterin Harms. „Das kann mehrere Jahre dauern.“ Mit einer Duldung besteht Anspruch auf Sozialleistungen, Unterkunft und eine Krankenversicherung. Man darf Hamburg für einige Tage verlassen, aber die Duldung berechtigt nicht zur Wiedereinreise, wenn man Deutschland verlässt. Bisher darf man mit einer Duldung in den ersten zwölf Monaten nicht arbeiten. Das will die Große Koalition in Berlin ändern und das Arbeitsverbot bereits nach drei Monaten aufheben.

Wie laufen die Verfahren ab?

Die Antragstellung erfolgt mit schriftlicher Begründung, in der jeder Flüchtling seine Fluchtgeschichte darlegt. Will die Behörde ablehnen, gibt es eine schriftliche Anhörung durch die Ausländerbehörde, zu der der Flüchtling Stellung nehmen kann. Erhält er danach einen ablehnenden Bescheid, kann er Widerspruch einlegen. Wird auch dieser zurückgewiesen, wird der Fall vor Gericht verhandelt. Wenn am Ende des Verfahrens eine Ablehnung steht und zudem die italienischen Papiere abgelaufen sind, droht eine Abschiebung ins Herkunftsland. Nach Verfahrensende können in Hamburg der Petitionsausschuss des Parlaments und die Härtefallkommission um ein Bleiberecht gebeten werden.

Warum gehen nicht alle Lampedusa-Flüchtlinge auf das Senatsangebot ein?

Die Gruppe Lampedusa in Hamburg ist inzwischen gespalten. Ein Teil traut dem Senat nicht und befürchtet, dass die Bleiberechtsanträge abgelehnt werden und sie dann entweder nach Italien oder in die Heimatländer abgeschoben werden. Auch sie haben Unterstützer, etwa die Flüchtlingsinitiative Karawane oder auch Ver.di, und vertreten die Rechtsauffassung, dass die mit der Kirche geschlossene Vereinbarung ein Rückschritt ist. „Unser von Italien anerkannter Flüchtlingsstatus wird gegen eine Duldung eingetauscht“, kritisieren sie. Ihre Forderung ist, die Anerkennung der italienischen Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse in Deutschland.

Wie ist die Perspektive der Flüchtlinge?

Die Hamburger Lampedusa-Flüchtlinge, die sich bei der Behörde gemeldet haben, sind in öffentlichen Einrichtungen in Farmsen-Berne, in Volksdorf und am Rübenkamp untergebracht. Die anderen sind in Privatunterkünften, manche haben Hamburg verlassen. Für alle anderen gilt laut Innenbehörde auch nach dem 30. Juni: Wer sich als Flüchtling meldet, hat Anspruch auf Unterbringung, Verpflegung und ein rechtsstaatliches Verfahren – aber keine Hamburg-Garantie. Auch der Abschiebestopp bis zum Ende des Verfahrens gilt dann nicht mehr.