Kritik des parteilosen Anwalts an CDU-Plan zum Abitur sei „verantwortungslos und illoyal“. Er will Abgeordneter bleiben

Wilhelmsburg. Der Ärger stand dem Fraktionsvorsitzenden der CDU, Dietrich Wersich, deutlich ins Gesicht geschrieben. Ursprünglich hatte er nicht geplant, beim Landesparteitag im Bürgerhaus Wilhelmsburg ans Rednerpult zu treten. Doch das Verhalten des parteilosen Fraktionsmitglieds Walter Scheuerl, Vorsitzender des Schulausschusses, änderte seine Meinung und rückte die Wiederwahl von Parteichef Marcus Weinberg in den Hintergrund.

Mit lauter Stimme begann Wersich seine kurze Wortmeldung: Durch den aktuellen Konflikt um das G8 (auch „Turbo-Abitur“genannt) an Gymnasien „droht Hamburg ein neuer Schulrichtungsstreit“. Um das zu vermeiden, sei die CDU in dieser Woche auf die Volksinitiative „G9-Jetzt-HH“ zugegangen – eine Kehrtwende zur bisherigen Politik der Christdemokraten. Dann sagte Wersich: „Ich habe Herrn Dr. Scheuerl am Sonnabendmorgen nahegelegt, die Fraktionsgemeinschaft der CDU zu verlassen.“ Anlass für das endgültige Zerwürfnis ist Scheuerls öffentliche Kritik im sozialen Netzwerk Facebook an den neuen CDU-Plänen. „Dieses Verhalten ist verantwortungslos, inakzeptabel und illoyal“, schimpfte Wersich.

Scheuerl, bekannt geworden als Sprecher der Anti-Primarschul-Initiative „Wir wollen lernen“, will der unmissverständlichen Aufforderung des Fraktionschefs nachkommen. „Ich werde meinen Austritt aus der Fraktion am Montag offiziell verkünden“, sagte Scheuerl dem Abendblatt. Seinen Schritt begründete der parteilose Anwalt damit, dass die Führungsspitze der Hamburger CDU unter Weinberg und Wersich „in den zurückliegenden Monaten hat erkennen lassen, dass sie nicht willens und nicht in der Lage ist, sachliche Kritik an bildungspolitischen Weichenstellungen auszuhalten“.

Überraschend ist der Rauswurf von Scheuerl aus der CDU-Fraktion nicht. Vielmehr setzt der jüngste Streit lediglich den Schlusspunkt unter eine seit Monaten zunehmende Entfremdung zwischen beiden Seiten. So war Scheuerls eigenwilliges Verhalten als Vorsitzender des Schulausschusses immer wieder kritisiert worden. Am Donnerstag nun erklärte die CDU, den Konflikt um das schnelle Abitur G8 an Gymnasien mit einem neuen Vorschlag lösen zu wollen. „Wir müssen an den Verhandlungstisch, alle müssen aufeinander zugehen“, sagte Wersich. Die CDU schlägt in einem Zehn-Punkte-Plan vor, dass alle Schulen bis Ende Oktober entscheiden können, ob sie beim schnelleren G8 bleiben oder auf G9 umsteigen wollen. Der Neustart von G9 an Gymnasien soll im Schuljahr 2015/16 erfolgen. Die Volksinitiative „G9-Jetzt-HH“ hingegen fordert, dass an allen Gymnasien G8 und G9 parallel angeboten werden soll. 2002 hatte der damals CDU-geführte Senat den kürzeren Weg zum Abitur an allen Gymnasien beschlossen.

Scheuerl erfuhr erst am Mittwochabend davon, dass die CDU mit einem Vorschlag auf die Volksinitiative zugehen wolle. „Diesen Vorschlag hätte man optimieren können“, sagte Scheuerl. Noch am Donnerstag postete er über das Elternnetzwerk „Wir wollen lernen“ bei Facebook seinen Unmut. So kritisiert Scheuerl, dass „die eigentlichen Betroffenen, nämlich die Eltern jüngerer Kinder, die noch in der Grundschule sind und erst 2015 oder später auf ein Gymnasium wechseln möchten, ausgeschlossen“ werden bei dem Wahlrecht. Von grundsätzlicher Kritik gegen die CDU-Kehrtwende wollte Scheuerl nichts wissen: „Nur sind drei der zehn Punkte in dieser Phase unrealistisch und politisch unklug.“ Für Wersich ist das jedoch Grund genug, sich von Scheuerl zu distanzieren, der als fraktionsloser Abgeordneter Mitglied der Bürgerschaft bleiben will.

„Meine parlamentarischen Rechte sind durch den Austritt nicht wesentlich eingeschränkt“, sagte er. Im Gegenteil: Das mache seine Arbeit als Bürgerschaftsabgeordneter für „Wir wollen lernen“ leichter. Auch sei es „kein Verlust an Einflussnahme“, dass er seinen Posten als Schulausschussvorsitzender verliere. Dass Wersich das Zerwürfnis beim Landesparteitag verkündete, dürfte Parteichef Marcus Weinberg nicht nur gefallen haben.

Der Landesvorsitzende wurde mit 82 Prozent im Amt bestätigt. Weinberg wollte seine Partei auf die Bezirks- und Europawahl am 25.Mai einschwören. Schließlich habe die CDU die Talsohle durchschritten, sagte der 46 Jahre alte Bundestagsabgeordnete. Auch sei die Partei wieder in der Lage, Verantwortung zu übernehmen. Doch was als stärkere Positionierung zur allein regierenden SPD geplant war, verpuffte in den vollen Reihen des Wilhelmsburger Bürgerhauses. Zu sehr hatte Wersich die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Heute kommt die Fraktion zusammen.