Leiter der Justizbehörde – kein anderer Posten in der Landesregierung ist derart riskant. Immer wieder geraten Spitzenpolitiker bei Gefängnisausbrüchen in die Kritik

Hamburg. Der Job ist nichts für schwache Nerven. Wer an der Spitze der Hamburger Justizbehörde steht, muss mit dem Risiko leben. Schon ein einzelner Gefangenenausbruch kann die Behördenspitze politisch in Bedrängnis bringen. Das musste Justizsenatorin Jana Schiedek (SPD) unlängst unangenehm erfahren, nachdem im Juli ein „schwerer Junge“ aus der Untersuchungshaftanstalt ausgebrochen war.

Oppositionspolitiker hielten der Justizsenatorin schwere Sicherheitsmängel im Gefängnis am Holstenglacis vor. In Hamburg genügten für einen Ausbruch „Messer, Gabel und Besenstiel“, man könne hier „locker über die Gefängnismauer klettern“.

Dass ein Spitzenpolitiker oder eine Spitzenpolitikerin bei solchen Vorfällen gleich im Regen steht, ist eine hamburgische Spezialität und stadtstaatliche Besonderheit. In einem Flächenland funktioniert das anders. Wenn etwa aus der Justizvollzugsanstalt Werl ein Häftling unerlaubt das Weite sucht, dann hat der Justizminister in Nordrhein-Westfalen nichts zu befürchten.

Eine der spektakulärsten Fluchten in Hamburg gelang 1975 einem Griechen, des Raubes und Diebstahls beschuldigt. Der 19 Jahre alte Athensios K. schaffte es – einem Schlangenmenschen gleich – sich durch die Gitterstäbe im Untersuchungsgefängnis zu winden. Man hatte das bis dahin für unmöglich gehalten, zumal die Gitterstäbe nur 15 Zentimeter Abstand haben. Die Knastakrobatik des als feingliedrig beschriebenen immerhin 1,75 Meter großen Griechen blieb einmalig. Der damalige Justizsenator Ulrich Klug (FDP) ordnete die Einsetzung einer Kommission zur Überprüfung der Sicherheit in allen Haftanstalten an. Ebenso reagierte kürzlich die amtierende Justizsenatorin Schiedek.

Den Fluchtrekord hält heute noch der längst verstorbene Schustergeselle Bernhard Rubinke. In den 50er- und 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts hielt der wegen Raubes zu zehn Jahren Zuchthaus und Sicherungsverwahrung Verurteilte Justiz und Polizei in Atem. Neunmal verschwand er ohne Haftentlassung. Seine Spezialität war es, bei Arztbesuchen und Krankenhaus-Aufenthalten zu entkommen. Einmal kletterte er nachts auf der Flucht aus der Uniklinik Eppendorf auf einen Baum, während die Polizei unten mit Scheinwerfern und Hunden nach ihm suchte. „Ich wollte mal die Arbeit der Polizei von oben sehen“, sagte Rubinke, als er sich Tage später stellte.

Auch aus dem streng gesicherten Fuhlsbüttler Gefängniskomplex hat es eine reihe Ausbrüche gegeben. Ein Häftling entkam in einem Pappkarton.. Den „anspruchsvolleren“ Weg über die fünf Meter hohe Gefängnismauer wählte Heinz Nowak gleich zweimal. Zuletzt 1972, als Helfer von außen ein Tau mit Knoten über die Mauer warfen, die der Flüchtige trotz Schüssen von einem Wachturm ersprintete.

Nowak war ein Lebenslänglicher, wegen Mordes und einer Vielzahl von Banküberfällen verurteilt. Seine Haupttat war so Aufsehen erregend wie seine Flucht. Ihm wurde die Ermordung eines Komplizen aus seiner Bankräuber-Gang angelastet. Das Opfer war Gastwirt, wurde unter Alkoholeinfluss den anderen zu redselig. In seiner Kneipe wurde der Gastwirt erschossen. Um die Schüsse zu übertönen, drehte man die Musikbox laut auf. Sie soll gespielt haben: „Morgen hast Du keine Sorgen …“. Nowak fehlte der linke Daumen. Eine Hamburger Zeitung druckte ein Foto der Hand auf Seite eins und warnte vor dem Mann ohne Daumen. Drei Tage nach der Flucht wurde Nowak wieder gefasst.

Veit Ruppersberg, 75, war von 1971 bis 2003 landespolitischer Korrespondent