Fünf Tage lang übernehmen Jugendliche die Rolle von Bürgerschaftsabgeordneten und erarbeiten eine Resolution

Altstadt. Es geht um große Themen wie den Rückkauf der Energienetze oder die bessere Integration von Flüchtlingen – aber auch um Probleme, die sie unmittelbar angehen: die Wiedereinführung von G9 an Gymnasien, die kostenlose Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel für Schüler oder die Tilgung der Wohnungsnot. In Hamburgs größtem politischem Planspiel „Jugend im Parlament“ legten die 122 Teilnehmer am Montag fest, womit sie sich bis zum Ende der Woche beschäftigen wollen. Wie die echten Bürgerschaftsabgeordneten werden sie in Ausschüssen und im großen Plenarsaal diskutieren und debattieren, Experten anhören und am Ende der Bürgerschaft eine Resolution mit ihren wichtigsten Forderungen übergeben.

Zunächst aber mussten die jungen Parlamentarier, die zwischen 15 und 21 Jahre alt sind, in Arbeitsgruppen Themenvorschläge erarbeiten und – ganz wichtig – im Plenum ein Präsidium wählen. Bis darüber abgestimmt war, übernahm der 15-jährige Ray vom Gymnasium Klosterschule die Leitung. Anders als bei der echten Hamburgischen Bürgerschaft, bei der der Ältesten-Präsident diese Aufgabe übernimmt, ist Ray der jüngste Teilnehmer bei „Jugend im Parlament“. Dass er gleich morgens auf dem Podest an der Stirnseite des Plenarsaales Platz nehmen sollte, fand er ziemlich aufregend. „Glücklicherweise habe ich Redeerfahrung“, sagt der Jugendliche, der schon bei „Jugend debattiert“ mitgemacht und anlässlich eines Geschichtswettbewerbes eine Rede im Staatsarchiv gehalten hat. Nachdem er die Wahlergebnisse verkündet hatte, räumte Ray den Stuhl mit der hohen geschnitzten Lehne für Lennart, der mit 77 Stimmen für diese Woche zum Bürgerschaftspräsidenten gewählt wurde.

Lennart, Schulsprecher am Gymnasium Buckhorn und ebenfalls redeerfahren (ein dritter Preis bei „Jugend debattiert“ und Gastredner im Schülerrat), leitete dann gemeinsam mit seinem Vize Malte den weiteren Teil des ersten Tages. Zunächst einmal stellten die Sprecher der sechs Arbeitsgruppen die Themen vor, mit denen sie sich in den kommenden Tagen beschäftigen wollen. Für die „Aktuelle Stunde“ am heutigen Dienstag schlugen gleich drei Gruppen (Orange, Blau und Rot) den Rückkauf der Energienetze vor, und zwei (Grün und Schwarz) die Wiedereinführung von G9 an Gymnasien. Wie bei den echten Abgeordneten wurden die Themen jeweils von den Sprechern der Arbeitsgruppen vorgestellt.

„Uns interessiert vor dem Hintergrund von G9, welchen Wert das Abi an Stadtteilschulen hat und ob das Gymnasium als Schulform sinnvoll ist“, so Joanne, die für die Grünen ans Mikrofon trat. Und Niko von der Gruppe Orange sagte: „Beim Netzerückkauf gibt es viel Diskussionsbedarf. Wir wollen wissen, warum man ihn unterstützen soll, und ob es Alternativen gibt.“

Die Themenvorschläge für die restliche Woche waren vielfältiger. Bei der Gruppe Grün standen die Preisregulation des HVV für Schüler und Integrationskurse für Flüchtlinge auf der Agenda. Für die „Grüne“ Victoria, Schülerin des Matthias-Claudius-Gymnasiums, ein Thema mit persönlichem Bezug: Ihre Familie stammt aus Serbien. „Meine Familie hat es geschafft, sich gut zu integrieren“, sagt die 16-Jährige, die heute auf dem Platz der FDP-Fraktionsvorsitzenden Katja Suding sitzt. Integrationsbereitschaft sollte eine Voraussetzung für die Förderung von Flüchtlingen sein, findet sie. Wer sich nicht integrieren wolle, sei nicht willkommen.

Die Roten wollen sich die Themen Videoüberwachung und erneuerbare Energien vornehmen. „Der Wechsel soll kommen, gleichzeitig nehmen die Proteste gegen Windkraftanlagen zu“, sagt Sprecher Marcel. „Darüber wollen wir debattieren.“ Die gelbe Gruppe will darüber diskutieren, ob es sozialen Wohnungsbau in der HafenCity geben soll; die Schwarzen wollen eine Verbesserung der Jobmöglichkeiten für Schüler erreichen, die Blauen die Mieten senken und dadurch die Wohnungsnot tilgen; Orange will die Schuldenbremse ziehen und prüfen, wo man sozialverträglich einsparen kann.

Welche Themen in den Ausschüssen behandelt werden, wird noch entschieden. Für die weitere Beratung ziehen die Jugendlichen dann Experten aus Behörden und realem Parlament hinzu. Außerdem nehmen sie an Gesprächsrunden mit Bürgermeister Olaf Scholz teil. Was sie erarbeiten, halten sie in einer Resolution fest. Die übergibt Jugendparlamentspräsident Lennart schließlich am Freitag der Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD).

Dass die Forderungen der jungen Parlamentarier etwas bewirken können, zeigt ihr bislang größter Erfolg: Seit 2004 fahren in Hamburg Busse und Bahnen an den Wochenenden auch nachts. Das hatten die Jugendlichen 1999, 2000 und 2003 gefordert.