Illegale „Entmietung“ an der Hegestraße 46? Räumungsklage wird von heute an vor Gericht verhandelt. Mit der Verwertungskündigung nutzt der Investor die außergewöhnlichste Variante der Kündigung.

Hamburg. Von heute an entscheidet sich vor dem Hamburger Amtsgericht, ob Siegrid Spiering aus ihrer Zweieinhalbzimmerwohnung an der Hegestraße 46 ausziehen muss. Ihr Vermieter, die Investoren-Gruppe GbR Hegestraße 44–48, will sie mit einer Räumungsklage aus ihrer Wohnung zwingen. Und nicht nur Siegrid Spiering soll raus – auch die restlichen Mieter der Hegestraße 46.

36 Wohnungen gibt es an der Hegestraße 46 a bis f, acht davon sind noch bewohnt. Die Mieter wollen nicht ausziehen, denn ihre Wohnungen sind zwar nicht modern, aber dafür günstig. Der Investor will die vernachlässigten Häuser sanieren und mit Gewinn verkaufen. Die Lage am Isebekkanal ist dafür gut geeignet.

Die Mieter werfen dem Investor vor, Mängel in den Wohnungen nicht behoben und leer stehende Wohnungen unbewohnbar gemacht zu haben. Das sehe nach „Entmieten“ aus – es ist illegal. Der Investor bestreitet die Vorwürfe. Mit der Verwertungskündigung nutzt er die außergewöhnlichste Variante der Kündigung. Er sieht sich „an einer angemessenen Verwertung des Grundstücks gehindert“ und würde „bei einer Fortsetzung des Mietverhältnisses dadurch erhebliche Nachteile erleiden“. Die Hürden für eine solche Verwertungskündigung sind durch Urteile des Bundesgerichtshofs hoch.

Die politische Dimension des Streits betrifft das Bezirksamt Nord und die SPD im Bezirk. Das Bezirksamt muss einschreiten, wenn Häuser illegal entmietet werden. Doch jahrelang passierte nichts. Als die Bürgerinitiative „Wir sind Eppendorf“ den Fall in einer öffentlichen Bürgerfragestunde publik machte, schickte Bezirksamtschef Harald Rösler (SPD) den Fall in den Bauausschuss – der unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagt. Auch die Bauanträge für das Vorhaben des Investors werfen Fragen auf. Das Bezirksamt musste einräumen, dass Ortsbesichtigungen zwar stattgefunden haben, aber nicht dokumentiert wurden. Und dass dem Investor noch bis zum Frühjahr eine wichtige Genehmigung gefehlt hatte – die Zweckentfremdungsgenehmigung. Nur damit darf er die Häuser leer stehen lassen. Und die Wohnungen standen schon damals zum Teil seit Jahren leer. Dem Bezirksamt fiel der fehlende Antrag auf, die Beamten schrieben den Investor an, er stellte den Antrag, der dann eiligst genehmigt wurde.

Götz von Grone von der Bürgerinitiative „Wir sind Eppendorf“ und Mieter-Anwalt Bernd Vetter behaupten: Der Investor und das Amt stecken unter einer Decke.

Mittlerweile ermittelt das Bezirksamt jetzt doch, ob der Investor die Gebäude illegal entmietet hat. Aber auch bei diesen Ermittlungen gibt es Ärger. Eines Tages fielen der Mieterin Siegrid Spiering zwei Männer auf, die sich im Hof der Hegestraße 46 umschauten. Auf die Frage, was sie hier machten, sollen die Herren laut Spiering geantwortet haben, dass sie das nichts angehe. Als sie sagte, dass die Bewohner schon mal die Polizei riefen, wenn sie Unbekannte in der Wohnanlage sähen, räumten die Männer ein, dass sie vom Bezirksamt seien. Ihre Namen wollten sie nicht nennen. Die Vorwürfe der Mieter gegen ihren Vermieter sollen sie als „Blödsinn“ und „Lügen“ bezeichnet haben. Für Mieter-Anwalt Vetter war das eine Steilvorlage: Flugs stellte er eine Dienstaufsichtsbeschwerde.

Bezirksamtschef Rösler bestätigt, dass in seiner Behörde ein Verfahren gegen die beiden Mitarbeiter läuft. Er bezeichnet deren Vorgehen als „ungeschickt und unglücklich“. Er habe gegenüber der Bürgerinitiative schon sein Bedauern ausgedrückt – auch den Mietern wolle er noch schreiben. Die beiden Mitarbeiter sollen künftig keine Vor-Ort-Recherchen in der Immobilie mehr durchführen: „Sie werden nicht mehr in der Hegestraße antreten“, sagt Rösler. Die Ermittlungen in Sachen Entmietung laufen noch.

Auch in der SPD sorgt der Fall weiter für Ärger. Der ehemalige Vorsitzende im Stadtentwicklungsausschuss der Bürgerschaft, Werner Dobritz, wirft Rösler und dem Fraktionschef der mächtigen SPD im Bezirk Nord, Thomas Domres, Versagen vor. Dobritz schlägt vor, dass die Stadt das Areal kaufen soll, um es zu vermieten. Domres bezeichnet das als „Unfug“: „Das bringt den Mietern gar nichts.“ Die Stadt müsse das Gebäude teuer vermieten, um die Auslagen wieder zurückzubekommen. Das könnten sich die Mieter der Hegestraße 46 nicht leisten.

Nachdem Domres die Lage als relativ ausweglos eingeschätzt hatte, hat er jetzt doch begonnen, hinter den Kulissen zu verhandeln. Erste Gespräche mit dem Investor hätten bereits stattgefunden. Das Schlimmste sei doch, wenn der Streit andauere und das Haus an der Hegestraße weiter verfalle, so Domres.

Werner Dobritz fände es gar nicht so schlecht, wenn der Streit um die Hegestraße sich noch ein wenig hinzieht. „Vielleicht verliert ja der Investor die Lust an der Immobilie“, sagt er.

Das Abendblatt-Dossier „Die Akte Hegestraße“ im Internet: abendblatt.de/hege