Hamburg verletzt seit Jahren die Grenzwerte bei Stickoxiden. Brüssel lehnt die neue Frist ab. Rund 220.000 Hamburger sind stark betroffen.

Hamburg. Vielleicht hatte man im Rathaus auf eine andere Entscheidung gehofft. Wirklich daran geglaubt, dass die EU noch einmal beide Augen zudrückt, hatte SPD-Bürgermeister Olaf Scholz aber wohl nicht. Seit Jahren verletzt Hamburg die 2010 von Brüssel vorgegebenen Grenzwerte bei den Stickoxiden. Der Versuch, sich in Europa noch einmal eine Fristverlängerung zu holen, ist nun von der EU-Kommission abgelehnt worden - für Hamburg wie für mehr als 30 andere Gebiete in Deutschland und zahlreiche europäische Städte. Auch der Ende 2012 an die EU geschickte Hamburger Luftreinhalteplan hat daran nichts mehr ändern können, zumal dieser noch nicht einmal durch die Bürgerschaft beschlossen wurde, sondern vom Scholz-Senat lediglich als Entwurf nach Brüssel geschickt wurde - eine Tatsache die nicht gut ankam. Nun droht Deutschland und Hamburg ein Verfahren der EU, das zu millionenschweren Strafzahlungen führen kann. Zudem kann die Stadt jetzt leichter auf Einführung von Maßnahmen verklagt werden, die zu einer schnelle Reduzierung der Luftbelastung führen. Nach einer Schätzung des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) sind 220.000 Hamburger vor allem innerhalb des Ring 2 betroffen. Sie müssen übermäßig mit Stickoxiden belastete Luft atmen.

"Die Kommissionsentscheidung ist die verdiente Quittung für die völlig verfehlte Luftreinhaltepolitik der zuständigen Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt", sagt BUND-Landesgeschäftsführer Manfred Braasch. Verantwortlich seien Umweltsenatorin Jutta Blankau, Wirtschaftssenator Frank Horch und Bürgermeister Olaf Scholz. Dieser habe mit seinem Veto gegen eine Umweltzone, eine Citymaut und die Umsetzung der Pläne für eine Stadtbahn "eine wirksame Luftreinhaltepolitik persönlich behindert". Neben einer deutlich schnelleren Planung für weitere Landstromanschlüsse für Kreuzfahrtschiffe müsse der "Verkehr als Hauptverursacher kurzfristig reduziert werden", so Braasch. Der BUND prüfe nun die Möglichkeit, die Stadt per Gerichtsverfahren zu raschen Maßnahmen zu zwingen. Hamburg habe genug Zeit gehabt, etwas zu tun. "Jetzt ist Schluss mit lustig."

Ähnlich äußerte sich Grünen-Fraktionschef Jens Kerstan. "Jetzt geht den Neinsagern im Senat allmählich die Luft aus. Bisher hat Olaf Scholz nur erklärt, was mit ihm alles nicht geht: Stadtbahn, Umweltzone, Citymaut, Parkraumbewirtschaftung, Landstrom in der HafenCity", sagte er. "Dass Hamburg die Anforderungen der EU so nicht einhalten kann, war absehbar. Trotzdem hat Senatorin Blankau das Problem verschlafen - und das trotz drohender Millionenstrafzahlungen." Die EU-Kommission habe den Hamburger Luftreinhalteplan für mangelhaft erklärt, noch bevor er überhaupt beschlossen worden sei. "Der Bürgermeister und seine Umweltsenatorin müssen jetzt sagen, ob und wie sie die Gesundheit der Hamburger schützen wollen." Auch für die CDU-Umweltpolitikerin Birgit Stöver kommt die EU-Entscheidung "nicht unerwartet". In der Begründung sei deutlich geworden, dass Hamburg mit dem erst zum Jahresende 2012 eingereichten Luftreinhalteplan "als Letzter seine Hausaufgaben abgeliefert hat und dann auch noch nur im Entwurfsstadium". Der Senat habe es versäumt, "die offensichtlichen Verursacher im Schiffsverkehr wirkungsvoll mit Maßnahmen zu belegen". Der größte Fehler des SPD-Senats im Straßenverkehr sei, dass er sich von der Stadtbahn komplett verabschiedet habe. "Dieses Verkehrsmittel hätte den Vorteil gebracht, in kurzer Zeit eine maximale Menge Personen zu transportieren. Als Alternative setzt das Busbeschleunigungsprogramm am falschen Hebel an", so Stöver.

Der Senat und die regierende SPD verweisen darauf, dass nicht nur Hamburg, sondern eine Vielzahl von deutschen und europäischen Gebieten von der Entscheidung der EU betroffen seien. "Das ist ein Problem, das neben Hamburg viele Städte haben - auch Städte, die Stadtbahnen und Umweltzonen haben oder eine Citymaut kassieren", sagte Senatssprecher Christoph Holstein. "Hamburg hat aber eine konkrete Perspektive, die Grenzwerte künftig einzuhalten - durch die Umstellung auf elektrischen Antrieb, durch die Ausweitung des öffentlichen Nahverkehrs oder hochmoderne Busse." Man müsse "moderne Technik nutzen und in die Entwicklung moderner Technik investieren, vor allem beim Verkehr". Dann könne Hamburg bis Ende des Jahrzehnts die Grenzwerte einhalten.

Ähnlich äußerte sich SPD-Umweltpolitikerin Monika Schaal. Hamburg könne das Problem nicht alleine lösen. Wenn die EU diese Maßstäbe anlege, müsse sie mit ihren Mitteln dafür sorgen, dass nur noch sparsame Motoren in Europa zum Einsatz kämen. Der SPD-Senat tue bereits viel, etwa durch den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Umweltbehördensprecherin Kerstin Graupner sagte: "In Deutschland haben 33 Gebiete, darunter Berlin, München, Stuttgart und Bremen, keine Fristverlängerung bekommen. Auch für europäische Städte wie Kopenhagen, Brüssel, Liverpool, Barcelona und Wien wurde die Frist nicht verlängert. Sollte die EU in einem nächsten Schritt ein Vertragsverletzungsverfahren anstreben, ist halb Europa betroffen."

Bürgermeister Scholz hatte die Entscheidung offenbar bereits erwartet. Bei seiner Rede im Überseeclub sagte er im Januar: "Wir wissen, dass es aktuell keine - wohlgemerkt keine - Maßnahme gibt, mit der wir die Grenzwerte kurzfristig bis 2015 unterschreiten können." Auch Umweltzone und Citymaut hülfen da nicht. "Aber wir wissen auch, dass wir den Turn-around durch die Elektrifizierung des öffentlichen Personenverkehrs und von Teilen des Wirtschaftsverkehrs dauerhaft schaffen können, wenn wir uns anstrengen."