Laut Jens Kerstan sei es ein Novum, dass ein Altbürgermeister so unverschämt engagierte Bürger und Umweltverbände diffamiere.

Hamburg. Von Zeit zu Zeit ist es für Politiker allzu verlockend, mal so richtig draufzuhauen - verbal natürlich. Dafür muss man Verständnis aufbringen, schließlich sind Volksvertreter - Senatoren und Bürgermeister sowieso - häufig genug gezwungen, Rücksicht zu nehmen. Auf die Stimmungslagen ihrer Wähler zum Beispiel oder auf die Mehrheitsverhältnisse in der eigenen Partei oder Fraktion. Sie halten also mit anderen Worten den Mund oder sprechen zwar, sagen aber nichts.

Wenn sich aber einmal die Gelegenheit bietet, dann wird draufgehalten, die eigene Klientel im Rücken. Donnerstag war nun der Tag, an dem die Pferde mit dem Grünen-Fraktionschef Jens Kerstan durchgingen. "Es ist ein Novum in dieser Stadt, dass ein Altbürgermeister in so unverschämter Form engagierte Bürger und Umweltverbände diffamiert", polterte Kerstan los. Henning Voscherau, er war das Ziel der Kerstan-Attacke, zeige ein "erstaunlich distanziertes Verhältnis zum Rechtsstaat". Das Ganze sei ein "Rückfall in die Schützengräben der 1990er-Jahre".

Harter Tobak. Sozialdemokrat Voscherau, das muss eingeräumt werden, hatte zuvor auch seinen Tag des kräftigen Austeilens gehabt. Degen, nicht Florett wie sonst gern. Es ging um die Klage der Umweltverbände gegen die Elbvertiefung und den vorläufigen Baustopp, den das Bundesverwaltungsgericht in der Sache erlassen hat. "Es gibt überhaupt keine demokratische Legitimation für solche Verbände", schimpfte Voscherau bei "Schalthoff live". "Der BUND fragt doch gar nicht, ob die Hamburger mit diesen Klagen einverstanden sind." Die Verbände "vertreten nur sich selbst und ihre inhaltliche Überzeugung". Das Recht hätten sie aber, so Voscherau, der das Verbandsklagerecht als "Vetokratie" kritisiert. "Eben: legal, aber nicht legitim", möchte man Kerstan zurufen. Diesen feinen Unterschied hat er nicht verstanden, besser: wollte er nicht verstehen.

Zeit für den Auftritt der guten Fee in Gestalt der FDP-Fraktionschefin Katja Suding, die Moralnoten verteilt. "Es ist schon erstaunlich, was für einen unverschämten Umgangston die Grünen gegenüber dem verdienten Altbürgermeister Voscherau anschlagen", säuselt Suding über die Parteigrenzen hinweg, um dann doch, ganz fein, ihrerseits einen Giftpfeil abzuschießen. Die SPD, die bislang beredt schweigt, solle ihre Altvorderen doch gegen "solche grünen Angriffe" in Schutz nehmen.