“Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns“: 2200 Gäste in der Handelskammer

Hamburg. Es gab Zeiten, in denen es für Hamburger Bürgermeister zum Jahreswechsel wenig zu lachen gab. Als ihnen bei der "Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg" (VEEK) vom Handelskammer-Präses ordentlich die Leviten gelesen wurden. 2000/2001 etwa, als ein gewisser Ronald Schill den SPD-Senat mit dem Thema Innere Sicherheit vor sich hertrieb und die Kammer die Politik daran erinnerte, dass Sicherheit "auch ein Standortfaktor" sei. Oder 2008/2009, als Präses Frank Horch den CDU/GAL-Senat offen aufforderte, die Einführung der sechsjährigen Primarschule zu stoppen. Oder 2009/2010, als nach Horchs ohnehin kritischer Ansprache ein junger Vertreter der Wirtschaft noch nachlegte und Ole von Beust vorwarf, er wolle seine Wähler mit der Schulreform "für dumm verkaufen".

Diese Zeiten sind vorbei. Horch selbst wurde von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) in den Senat berufen, und dessen wirtschaftsfreundlicher Kurs stößt bei der Handelskammer nur noch auf wenig Kritik. Im Gegenteil: Der aktuelle Präses Fritz Horst Melsheimer verteilte in seiner Jahresschlussansprache viel Lob für den Senat - so zum Beispiel für die Finanz-, die Bildungs- und die Sportpolitk. Und seine Rede war sogar dazu angetan, den Bürgermeister hin und wieder zum Lachen zu bringen - etwa, als Melsheimer einräumte, seine Meinung über das von ihm früher verspottete "Hamburgische Seilbahngesetz" geändert zu haben und sich nun für eine Seilbahn über die Elbe aussprach. Wenn sie denn privat finanziert werde, könne sie "eine echte Attraktion für Hamburger und Touristen sein", so Melsheimer. Dafür gab es Applaus der rund 2200 Gäste in der Kammer.

In seiner fast 80 Minuten langen Rede schlug der Kammer-Chef einen weiten Bogen von der internationalen über die nationale Lage bis nach Hamburg. Nicht nur, aber vor allem mit Blick auf die Hansestadt warf er die Frage auf, wie es geschehen konnte, "dass sich unser politisches System, die repräsentative Demokratie, im Laufe der Jahrzehnte schrittweise selber handlungsunfähig gemacht hat?" (siehe Seite 1). Als Themen, bei denen nicht der Senat oder die gewählte Bürgerschaft, sondern Gerichte oder Volksinitiativen de facto eine Entscheidung treffen, führte Melsheimer die Elbvertiefung, das Transparenzgesetz und den Rückkauf der Energienetze an. Dabei schimmerte auch ein wenig Kritik am Senat durch. So nannte der oberste Vertreter der Wirtschaft das vom Senat vorgelegte Transparenzgesetz "handwerklich schlecht", und seine Kritik an der Volksinitiative für den vollständigen Rückkauf der Netze, sie spiegele den Bürgern mit falschen Argumenten vor, mit Kupferkabeln könne man Klima- und Energiepolitik machen, dürfte auch an Scholz gerichtet gewesen sein. Dessen Argument ist es, schon mit den 25,1 Prozent, die die Stadt erworben hat, könne etwas bewirkt werden.

Relativ verhalten fiel Melsheimers Kritik an der neuen Investitions- und Förderbank (IFB) aus, dessen Gründung der Senat kürzlich beschlossen hatte: "Die anhaltend gute Finanzierungssituation der Hamburger Wirtschaft und die mit einer neuen Staatsbank verbundenen Kosten und Risiken sprechen gegen einen solchen Schritt." Allerdings habe die Kammer ihren Protest gegen das Projekt aufgegeben und versucht, es in ihrem Sinne mitzugestalten. Wenn die IFB schwerpunktmäßig dafür genutzt werde, Hamburg zu "Europas Innovationshauptstadt" zu machen, könne sie sogar "eine Erfolgsgeschichte" werden, so Melsheimer.

Beim Thema Wohnungsbau lobte der Kammer-Präses zwar das Ziel des Senats, mindestens 6000 Wohnungen pro Jahr zu bauen, kritisierte aber die geplante Deckelung der Mieterhöhungen und verschärfte Regeln bei Leerstand und Zweckentfremdung. Damit streue der Senat "unnötig Sand ins Getriebe des anlaufenden Investitionsmotors". Melsheimer rief den nahezu komplett versammelten Senat dazu auf, auf derartige "Effekthascherei" zu verzichten - und die Kaufleute und ihre Gäste applaudierten.