Elbphilharmonie, HSH, Hapag-Lloyd - der Senat hat viele ungelöste Probleme. Die Opposition kann aber noch keinen Nutzen daraus ziehen.

Einen ausgeprägten Sinn für politische Inszenierungen muss man dem Ersten Bürgermeister Olaf Scholz schon zugestehen. Da hat der Sozialdemokrat im Herbst Woche um Woche die Spannung und das Rätselraten um die Zukunft der Elbphilharmonie gesteigert: Geht es mit dem Baukonzern Hochtief nach einjährigem Baustillstand endlich weiter oder kündigt die Stadt dem Unternehmen und baut die Konzerthalle nach den endlosen Streitigkeiten allein zu Ende? Scholz: "Entscheidung bis Weihnachten - versprochen."

Und dann dieser Showdown am 15. Dezember, einem Sonnabend: Sondersitzung des Senats und buchstäblich "fünf Minuten vor zwölf" - dem Beginn der Pressekonferenz - die Entscheidung, mit der die meisten gerechnet hatten: Der Weiterbau mit Hochtief birgt das geringere Risiko.

Der Effekt der Inszenierung: Jeder weiß nun, wie schwer Scholz die Entscheidung gefallen ist. Bemerkenswert emotional antwortete der Bürgermeister, der sonst keine Scheu hat, den kühlen Politik-Technokraten zu geben, auf Journalistenfragen. "Ich habe mir die ganze Nacht das Gehirn zermartert, ob es nicht richtiger ist zu sagen: Rache ist Blutwurst", gab Scholz ungewohnten Einblick in sein Seelenleben und meinte damit die Trennung von Hochtief.

Vielleicht stand hinter all der Offenheit beim Bürgermeister ja die Hoffnung, dass der dickste Wermutstropfen der Einigung etwas in den Hintergrund rücken würde: Noch einmal fast 200 Millionen Euro bekommt Hochtief, um die Konzerthalle 2016 schlüsselfertig abzuliefern. Die Gesamtkosten werden dann von ursprünglich sehr fahrlässig taxierten 77 Millionen auf 575 Millionen Euro explodiert sein. Scholz hatte lange den Eindruck erweckt, er wolle dafür sorgen, dass Hamburg nicht mehr als die 377 Millionen Euro zahlt, die zuletzt im Raum standen. "Der Bau darf nicht noch teurer werden", hatte Scholz im Interview mit Abendblatt und Hamburg1 noch Anfang März gesagt. Dass diese Position nicht durchzuhalten sein würde, dürfte Scholz schnell klar geworden sein. Angeblich würde der Weiterbau in Eigenregie der Stadt auch nicht billiger. Ganz in trockenen Tüchern ist die Einigung mit Hochtief noch immer nicht. Bis Ende Februar sollen die Details der Vertragsgestaltung abschließend verhandelt werden. Scheitert die Fortsetzung der Kooperation am Kleingedruckten, hat sich Scholz ein außerordentliches Kündigungsrecht ausbedungen.

Es lief auch sonst nicht wirklich rund für den "Macher" Scholz im zweiten Jahr seiner Amtszeit. Am stärksten fällt dabei der vorläufige Baustopp der geplanten Elbvertiefung ins Gewicht. Als das Bundesverwaltungsgericht seinen Spruch Mitte Oktober verkündete, war Scholz auf Delegationsreise in Indien. Die Nachricht aus Leipzig löste in Scholz' Entourage hektische Aktivitäten und das Bemühen um eine Sprachregelung aus. Scholz persönlich, aber auch Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) hatten allerhand unternommen, um das Planfeststellungsverfahren zur Ausbaggerung des Stroms wasserdicht zu machen. Sie hatten die EU-Kommission überzeugt, sie hatten das Ja der Anrainer Niedersachsen und Schleswig-Holstein eingeholt. Doch, Scholz und Horch waren sich ihrer Sache ziemlich sicher. Der Wirtschaftssenator hatte noch zu Jahresbeginn frohgemut den Start der Baggerarbeiten innerhalb der ersten Jahreshälfte angekündigt. Optimisten sprechen jetzt von Anfang 2014, immer vorausgesetzt, die Richter entscheiden nicht zugunsten der klagenden Umweltverbände.

Ein zeitlicher Rückschlag ist nicht ehrenrührig, zumal Scholz politisch nichts falsch gemacht hat. Aber einmal abgesehen davon, dass die Zeit für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit des Hafens wirklich drängt, zeigt der Baustopp, dass auch beim politischen Kraftpaket Scholz die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Das gilt übrigens auch bei zwei weiteren Dickschiffen der Rathaus-Politik: Die Krise der HSH Nordbank ist ebenso wenig überwunden wie die Schieflage bei Hapag-Lloyd, der Traditionsreederei mit Staatsbeteiligung. Der Abberufung von HSH-Vorstandschef Paul Lerbinger durch Aufsichtsratsboss Hilmar Kopper sahen die Eigentümer Hamburg und Schleswig-Holstein im Oktober merkwürdig unbeteiligt zu. Angesichts eines drohenden Verlusts der Bank in dreistelliger Millionenhöhe erwägen die Länder nun die erneute Aufstockung des Garantierahmens von sieben auf zehn Milliarden Euro. Die Schifffahrtskrise setzt auch Hapag-Lloyd weiterhin kräftig zu, sodass die Frage bleibt, ob die rund 420 Millionen Euro, die die Stadt für die Erhöhung ihres Anteils von 24 auf knapp 37 Prozent im Februar zahlte, ein kluges Investment waren und sind. So gesehen ist 2012 für den Bürgermeister das Jahr der realpolitischen Ernüchterung - nach der Euphorie des Anfangs im Zuge des Wahltriumphs 2011.

Olaf Scholz in den Mühen der Ebene - das ist im Grunde eine Steilvorlage für die Vierfach-Opposition in der Bürgerschaft. CDU, Grüne, FDP und Linke mühen sich auch redlich, sind gut informiert und haben häufig kluge Argumente. Aber deren Durchschlagskraft reichte bislang nicht zu einer Destabilisierung der SPD-Alleinregierung oder Einzelner ihrer Mitglieder. Die CDU als größte oppositionelle Kraft befindet sich auch fast zwei Jahre nach dem Machtverlust in der Krise. Die Christdemokraten leiden unter ihren unaufgearbeiteten Konflikten, manch einer will alte Rechnungen begleichen. Der Temperamentsausbruch von Ex-Bürgermeister Christoph Ahlhaus im März, als er seiner Partei "Klüngelstrukturen" vorwarf, zeigte das schlaglichtartig.

Gegen Ahlhaus hatte die Staatsanwaltschaft damals ein erst kurz vor Weihnachten eingestelltes Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit seinem Villenkauf eingeleitet. Sein Verdacht, dass der Verfasser der anonymen Anzeige gegen ihn aus den eigenen Reihe stamme, nagte ebenso an dem Mann wie der Eindruck, er solle allein für das Wahldebakel verantwortlich gemacht werden. Nur: Ahlhaus hatte von den "Klüngelstrukturen" selbst profitiert und war Teil des Systems. In der Sache hat der Ex-Bürgermeister jedoch recht: Einige wenige Männer ziehen in der CDU die Fäden und versuchen vor allem, die wenigen verbliebenen lukrativen Posten unter sich aufzuteilen.

Die Union hat aber auch einen Richtungskonflikt bislang nicht gelöst: Steht sie zum fortschrittlichen Kurs von Parteichef Marcus Weinberg und Bürgerschafts-Fraktionschef Dietrich Wersich, die sich in der Tradition eines Ole von Beust sehen? Oder gewinnt das fast verschwundene konservative Element der Partei wieder an Gewicht, für das zum Beispiel Ahlhaus steht?

Bei zwei wichtigen Abstimmungen haben sich Wersich und Weinberg schon blutige Nasen geholt: Der Parteitag lehnte im September die vom Landesvorstand vorgeschlagene Einführung einer parteiinternen Frauenquote ab. Und im Dezember ließ die Parteibasis Wersich auflaufen, als sie sich dafür aussprach, den Verträgen mit den muslimischen Verbänden zum Teil nicht zuzustimmen. Diese Vereinbarungen hatte von Beust 2006 als wichtiges Integrationssignal angestoßen.

Scholz und sein Senat bieten der Opposition insofern wenig Angriffsfläche, als sie geräuschlos und effektiv regieren. Sollte es Meinungsverschiedenheiten zwischen Senatoren geben - wie etwa bei der Gründung der Investitionsbank oder dem Thema Mindestlohn im öffentlichen Sektor -, dann werden sie diskret und ohne öffentliche Beschuldigungen gelöst. Wenn Verwaltungshandeln allerdings zur Belastung für die politische Arbeit wird, kann Scholz auch anders: Als sich Mitte-Bezirksamtsleiter Markus Schreiber (SPD) immer tiefer in die Affäre um den Methadon-Tod der elfjährigen, zuvor unter der Aufsicht des Jugendamts Mitte stehenden Chantal verstrickte, fuhr der Bürgermeister schneidend dazwischen. Schreiber musste im Februar zurücktreten und wurde durch seinen Parteifreund Andy Grote ersetzt.

Bei allem, was planbar ist in der Politik, hält Scholz weitgehend Wort: Die Studiengebühren sind abgeschafft, der Rechtsanspruch auf einen Kita-Besuch schon für Zweijährige ist eingeführt. Die ersten Jugendberufsagenturen als wichtiges Bindeglied des Übergangs von der Schule in den Beruf sind eingerichtet. Beim großen Wohnungsbau-Programm nähert sich der Senat immerhin der von Scholz ausgegebenen Zielzahl von 6000 Wohnungsneubauten pro Jahr. Voraussichtlich werden 2012 knapp 5000 Wohnungen fertiggestellt.

Der SPD ist es gelungen, bei großen Projekten die Opposition einzubinden: Beim Transparenzgesetz haben alle fünf Fraktionen mitgemacht, bei der Einführung der Schuldenbremse SPD, Grüne und FDP. Überparteiliche Einigkeit gab es auch bei der Reform der Volksgesetzgebung und der Bürgerbegehren auf Bezirksebene.

Sieht man von der Jugendpolitik ab, ist der Sparkurs des Senats noch nicht recht spürbar geworden. Das könnte sich 2013 ändern: Ver.di-Chef Wolfgang Abel hat schon mal ausgerechnet, dass bis zu 1400 Stellen pro Jahr im öffentlichen Dienst abgebaut werden könnten - weit mehr als die vom Senat angekündigten 250 Jobs. Der Grund: Die SPD hat in ihrem Haushalt nur Tarifsteigerungen von maximal 1,5 Prozent einkalkuliert. Alles, was darüber hinausgeht, will Scholz über weiteren Personalabbau gegenfinanzieren.

Zur Nagelprobe für Scholz könnte der Rückkauf der Energienetze werden, über den die Hamburger im Herbst 2013 abstimmen. Die von der Union eingereichte Verfasssungsklage gegen den Volksentscheid dürfte wegen Ablaufs der Frist kaum eine Chance haben. Darum geht es: Der SPD-Senat hat 25,1 Prozent der Anteile am Gas-, Strom- und Fernwärmenetz erworben, die Volksinitiative will 100 Prozent. Noch ist die Stimmung in dieser Frage nicht klar auszumachen, aber die Hamburger zögern nicht, auch einem beliebten Bürgermeister Niederlagen bei Volksentscheiden beizubringen. Ole von Beust weiß, wovon die Rede ist.

Doch abgestimmt wird mit Ja oder Nein nur über 100 Prozent. Auch wer gegen jede Beteiligung der Stadt an den Versorgungsnetzen ist, muss mit Nein stimmen und hilft damit indirekt Scholz. Das könnte seine Rettung sein.