Stadtentwicklungsexperte Klaus Müller-Ibold spricht über die HafenCity, seine Lieblingsgebäude und über die “misslungenen Tanzenden Türme“.

Hamburg. Die städtebauliche Entwicklung Hamburgs bewegt die Gemüter. Nachdem die Oberbaudirektoren Jörn Walter und Egbert Kossak im Hamburger Abendblatt bereits über ihre Vorstellungen berichteten, hat sich jetzt Klaus Müller-Ibold zu Wort gemeldet. Der inzwischen 83-jährige Stadtentwicklungsexperte war von 1972 bis 1980 Oberbaudirektor Hamburgs, nachdem er zuvor als Gründungsdekan der Fakultät für Raumplanung des Lehrstuhls für Stadt- und Regionalplanung des Konvents der Uni Dortmund gearbeitet hatte.

Klaus Müller-Ibold über ...

... die aktuelle Lage des Oberbaudirektors:

Dieses Amt wurde kastriert! In den 1960er- und 1970er-Jahren war der Oberbaudirektor der Chef des gesamten technischen, baulichen und raumplanerisch-städtebaulichen Geschehens, darunter der Stadtentwässerung und Stadtreinigung mit ihren Betrieben. Wir kümmerten uns, mehr als heute, strategisch gezielt um die Instandhaltung von Schulbauten, Krankenhäusern, Straßen und Brücken. Als 1973 die dafür im Etat beantragten Mittel nicht bewilligt wurden, animierte ich den Rechnungshof zu einer Untersuchung, die nachwies, dass seriöse Instandhaltung erheblich mehr Mittel erfordere, als bewilligt. Heute ist der Oberbaudirektor kaum mehr als der Oberste Stadtplaner Hamburgs.

... das Verschwinden der Ziegelbauweise:

Aus optischen Aspekten der Stadtgestaltung bedaure ich, dass im Bürobau heute überwiegend mit Glas, Stahl und Beton gebaut wird. Allerdings gehört zur Wahrheit, dass Bauen "Stein auf Stein" erheblich teurer ist. Ordentliche Ziegelbauten sind nicht billig, was auch zu Problemen im öffentlichen Wohnungsbau führt. Zudem war auch früher der rote Ziegel bei Bürobauten eher selten und wurde vor allem beim Wohnungsbau verwendet. Darüber hinaus entscheidet der Bauherr über sein Bauwerk. Behörden sind durch Gesetze in ihrem Einfluss begrenzt.

... die HafenCity:

Es ging alles zu schnell. Wenn man ein Gebiet so ruck, zuck an den Markt bringt, stößt man in eine Zeit gleichdenkender Architektur. Die Folge: Alle Gebäude sehen ähnlich aus. Baut man hingegen mit einem längeren zeitlichen Abstand, entstehen Unterschiede in Baustruktur und Erscheinungsbild. Allerdings ist die heute vorherrschende "Bauhaus-Architektur" auch gewollt nüchtern, klar und ohne Spielerei - und damit meist auch am ökonomischsten. Das Ganze ist also auch Ansichtssache.

... die Elbphilharmonie:

Sie ist für mich kein Prachtstück wie die Oper in Sydney. Mich stört das Massen-Verhältnis zwischen dem ehemaligen Kaispeicher und dem neuen Philharmonie-Baukörper. Ich könnte das Erscheinungsbild eher akzeptieren, wenn der Kaispeicher die optische Funktion des "Sockels" erhalten hätte. Dazu ist seine Masse zu groß und sind seine wenigen kleinen Fenster zu einförmig. Da er seine Funktion sowieso verloren hat, hätte man ihn auch aus dem Denkmalschutz entlassen und zwei Stockwerke wegnehmen können. Außerdem fehlt der Philharmonie eine portale, den Menschen anziehende Wirkung. Ich meine damit ein herausgehobenes Eingangsportal mit entsprechender Auffahrt und Eingangshalle, auf das die Gäste, besonders bei feierlichen Anlässen, zuschreiten können.

... seine Lieblingsbauwerke:

Das Chile-Haus in seiner Solidität und die eine oder andere Schumacher-Siedlung. Die Speicherstadt ist für mich ein ungewöhnliches und einmaliges Ensemble. Die Gebäude wurden in einer Qualität geplant und gebaut, die ganz andere Maßstäbe setzte als bei normalen Lagerstätten der Industrie, des Handels und der Häfen. Zudem war nur ein relativ geringer Aufwand erforderlich, die Lagerstätten der Speicherstadt in Büros, Museen oder Ausstellungsgebäude umzuwandeln - das alles, ohne die einmalige Fassaden-Architektur ändern zu müssen. Was für eine unglaubliche Flexibilität!

... misslungene Bauwerke:

Die Tanzenden Türme am Eingang der Reeperbahn und das Dockland an der Elbe: Das ist Showbusiness. Diese Gebäude hätte ich schon aus Gründen des Umweltschutzes nicht genehmigt. Sie enthalten jede Menge nicht nutzbaren Raumes, sind daher schwer zu reinigen und schwer instand zu halten. Mit anderen Worten: Die Betriebskosten sind deutlich höher als notwendig. Außerdem erhöht die Schräge der Wände die Konstruktionskosten. Es müssen hier Kräfte, die normalerweise durch natürliche Schwerkraft senkrecht verlaufen, in die Schräge umgeleitet werden. Das zwingt zu Verstärkungs- und Befestigungsmaßnahmen. Die Eigentümer werden merken, dass ihnen dort nichts Gutes hingestellt wurde.

... den Charme von Gebäuden aus der Gründerzeit:

Diese Häuser prägen nach wie vor manchen Stadtteil, zum Beispiel Eppendorf. Ihr Charme geht von ihren aufwendig gestalteten, das Kaufmannswesen repräsentierenden Fassaden aus. Sie haben großzügige Grundrisse, die manche Umgestaltung für heutige Nutzungen erlauben.

... die Notwendigkeit von Wohnungsbau:

Jeden Tag pendeln rund 350.000 Menschen nach Hamburg, um hier zur Arbeit zu gehen. Etwa zwei Drittel dieser Menschen wohnen nur deshalb im Umland, weil sie in der Hansestadt keine Wohnung gefunden haben oder diese zu teuer sind. Hamburg hat eine Bevölkerungsdichte von rund 2700 Einwohnern pro Quadratkilometer. In München oder Berlin ist diese viel höher. Wir können uns also ein Mehr an Wohnungen erlauben.

... die Höhe von Gebäuden in Hamburg:

Bei Neubauten sollten fünf statt vier Stockwerke Standard für mehrgeschossige Wohnbauten darstellen. Bislang gilt die Regel, dass erst vom sechsten Stock an ein Fahrstuhl eingebaut werden muss. Fahrstühle führen zu höheren Bau- und Betriebskosten und damit zu höheren Mieten. In so einem Fall rentiert sich ein Gebäude bei gemäßigten Mieten erst bei neun Geschossen. Optisch ist die Erhöhung auf fünf Geschosse nicht bedenklich. Schließlich sind viergeschossige Bauten der Gründerzeit aufgrund der höheren Decken so hoch wie heute sechsgeschossige Häuser.

... den Sprung nach Süden:

Wilhelmsburg und Harburg bieten ausgezeichnete Chancen für den Wohnungsbau, weil es dort erhebliche Reserveflächen gibt. Der gesamte Süden ist zwar bereits 1936 eingemeindet, aber erst in den 1970er-Jahren wirklich entwickelt worden. Ich denke dabei an die TU Harburg, an das Berufsschulzentrum in Wilhelmsburg oder an die Ausweitung der Industriegebiete. Das Stadtzentrum Hamburgs wird aber immer im Norden der Elbe bleiben. Weshalb ich die Äußerung, dass die Zukunft Hamburgs im Süden liegt, für überzogen halte. Nord und Süd werden nicht nur durch den breiten Elbstrom getrennt, sondern auch durch die großen Hafen- und Industrieflächen.

... die Weltstadt Hamburg:

Eine Weltstadt ist Hamburg leider noch nicht. Für mich sind New York oder Shanghai Weltstädte. Dennoch kann Hamburg seine Metropolfunktion für den Norden Europas ausbauen. Dazu müssten die Beziehungen zu osteuropäischen Staaten intensiviert werden.