Hochtief hat nach einem Jahr Stillstand mit der Absenkung des Dachs begonnen. Doch Stadt und Baukonzern streiten weiter.

HafenCity. Nach einem Jahr Baustillstand wird an der Elbphilharmonie wieder gearbeitet. Aber was passiert dort jetzt eigentlich? Nachdem die Stadt und der Baukonzern Hochtief Anfang Juli ein Eckpunktepapier unterzeichnet haben, indem sie vereinbarten, das Konzerthaus zusammen fertigzustellen, vergingen noch einmal fast vier Monate, in denen die Parteien um die Fortführung der Bauarbeiten stritten. Wichtigster Punkt war die unterschiedliche Auffassung über die Tragsicherheit des Dachs im Großen Konzertsaal.

Wo liegt das Problem?

Der Grundkonflikt, der nach wie vor besteht: Die städtische Bau KG hält die Sicherheit des Saaldachs aufgrund der von dem Tragwerksplaner Heinrich Schnetzer aufgestellten Statik für gewährleistet. Sowohl ein Prüfstatiker als auch die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) hatten die Sicherheit nachgewiesen, nachdem sie Nachbesserungen an der Schnetzer-Statik vorgenommen hatten. Dagegen verweist Hochtief auf Berechnungen eigener Gutachter, wonach die Standsicherheit für das gewaltige Stahlfachwerk nicht nachgewiesen sei. Die gegenteiligen Einschätzungen der Stadt würden sich auf Vergleichsberechnungen des Prüfstatikers stützen. Diese aber wurden Hochtief zur Ausräumung ihrer Bedenken bisher nicht vorgelegt. Seit einem Jahr verlangt der Konzern Einsicht in diese "Geheimstatik". In einem Schreiben an die Bau KG heißt es: "Ihre Weigerung lässt aus heutiger Sicht den Eindruck entstehen, dass es diese Papiere entweder gar nicht gibt oder dass diese Vergleichsberechnungen eben nicht geeignet sind, unsere Bedenken auszuräumen."

Was passiert jetzt auf der Baustelle?

In dem Eckpunktepapier hatte sich Hochtief verpflichtet, vom 17. September an mit einem Messsystem den sogenannten Absenkungsprozess des Saaldachs zu überwachen, um auf Verformungen am Tragwerk reagieren zu können. Das derzeit 2000 Tonnen schwere Dach ruht noch auf 21 Auflagern. Sieben davon sollen "lastfrei" gesetzt werden. Der Grund: Dadurch soll eine Lastenumverteilung in der Stahl-Beton-Konstruktion stattfinden. Lasten suchen sich nämlich immer den kürzesten Weg. In Nord-Süd-Richtung beträgt die Spannweite des Dachs 50 Meter, in Ost-West-Richtung 60 Meter.

Hier jedoch befinden sich Wohnungen (Westen) und Hotel (Osten) mit gewaltigen Fahrstuhlschächten aus Beton. Von hier aus könnten die riesigen Lasten - nach Fertigstellung wird das Dach 8000 Tonnen wiegen - also am besten vom 18. Stockwerk bis zur Gründung des Bauwerks nach unten geführt werden. Die sieben Auflager der kurzen Spannweite befinden sich am Nord- und am Südrand des Dachs. Durch das "Absenken" des Dachs an diesen Stellen soll eine Lastenumverteilung eintreten. Mit dem Ziel, dass sich die Lastführung doch den längeren Weg sucht. Und genau um diesen Nachweis geht es bei dem sogenannten "Absenken", das eigentlich nur der Versuch einer Lastenumverteilung ist. Hochtief hat Bedenken, dass einige der rund 250 Stäbe im Stahlfachwerk diese neuen Lasten nicht tragen könnten. Deswegen hat das Unternehmen der Stadt im März ein Rechtsgutachten übergeben. Darin steht, es sei nicht möglich, "am Tragwerk auf Grundlage der mangelhaften Planungsunterlagen weiterzubauen, ohne eigene Mitarbeiter der Gefahr auszusetzen, sich strafbar zu machen".

Derzeit misst der Baukonzern mit Dehnungsstreifen, die wie Tesastreifen aussehen, und elektronischen Drähten an mehr als 30 Stellen in 75 Meter Höhe Risse im Beton sowie die neuen Lasten an den Auflagern. In vier Schritten wird jedes der sieben Auflager, an denen sich jeweils zwei Pumpen befinden, abgesenkt - mal um 1,5, mal um zwei, mal um drei Zentimeter. Am Ende hängt das Dach an diesen Stellen wirklich frei und liegt nur noch auf den übrigen 14 Auflagern. Dann sollen sich die Kräfte den längeren Weg gesucht haben. Werden danach die sieben Auflager wieder "unterfüttert", soll zwar eine Rückumlagerung der Lasten von 20 bis 25 Prozent stattfinden. Das hieße aber auch: Durch den Prozess des "Absenkens" würden sich fast 80 Prozent der Lasten den längeren Weg suchen. Gespannt warten jetzt die Parteien auf die Messergebnisse, die von Hochtief und der stadteigenen Realisierungsgesellschaft ReGe getrennt protokolliert werden. Können damit die Bedenken von Hochtief ausgeräumt werden?

Wie geht es weiter?

Vor sieben Wochen stand die drohende Kündigung von Hochtief im Raum. Es herrschte absolute Funkstille zwischen den Parteien. Im Aufsichtsrat der städtischen Bau KG bestand Einigkeit, dem Konzern zu kündigen. Die zuständige Kulturbehörde sprach von einer "kritischen Phase der Verhandlungen", weil es "trotz mehrfacher Zusagen des Baukonzerns, zum Beispiel das Saaldach abzusenken, bis heute keinen substanziellen Fortschritt gibt". Seitdem finden die Gespräche auf oberster Ebene zwischen Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und Hochtief-Vorstand Marcelino Fernandez Verdes statt. Scholz hat die Elbphilharmonie im Wortsinn zur Chefsache gemacht. Die Situation aber ist unverändert festgefahren. In der vorigen Woche sah es noch danach aus, dass Hochtief doch Einblick in die "Geheimstatik" bekommen sollte. Doch daraus wird wohl nichts, denn die Stadt befürchtet, Hochtief mit der Herausgabe nicht nur neue Munition für endlose Diskussionen um den richtigen Fortgang der Arbeiten zu liefern, sondern auch Stoff, um später vor Gericht recht zu bekommen. Nach dem Motto: "Wenn wir das eher gehabt hätten, wäre es nie zu den zeitlichen Verzögerungen gekommen."

Was bedeutet das aktuell?

Hochtief wird punktuell weiter absenken und die Lasten messen. Klar ist für den Konzern, dass ein Messverfahren nicht den Tragsicherheitsnachweis ersetzt. Und der liege ihm bis heute nicht vor. Oder anders: Es sei nicht möglich, erst einmal etwas zu bauen und dann zu gucken, ob es auch hält. Aber wann ist für Hochtief der kritische Punkt erreicht? Ein Punkt, den es nach Ansicht der Stadt gar nicht geben wird - selbst wenn noch 6000 Tonnen Last obendrauf kommen: Weil der ReGe ja ein Tragsicherheitsnachweis vorliegt.