Eistruhe statt Altar, Chill-out-Area statt Orgel und Lautsprecher auf den Toiletten: Ist das die neue Ära des Gotteshauses?

Hamburg. Zwischen Zukunft und Vergangenheit liegt eine schwere Tür aus dunklem Holz. Davor, in der Vergangenheit, sieht die Kirche St. Stephanus aus wie früher. Roter Backstein, der sich in den Himmel streckt und Mauern, denen man die Zeichen der Zeit ansieht, weil sie schon zwei Weltkriege überstanden haben. Drinnen aber ist alles anders. Warmes Licht aus getönten Scheiben durchflutet den Raum. Es riecht nach frischer Farbe, und erst wenige Menschen sind über den neuen Holzboden gegangen. Tische und Stühle haben nicht einen Kratzer. Es gibt keine Bänke mehr, keinen Altar und keine Orgel. Kreuz und Kanzel fehlen. St. Stephanus an der Lutterothstraße ist keine Kirche mehr.

Immobilienkaufmann Torsten Reim (40) ist neuer Besitzer des Gebäudes. Vor einem Jahr hat er es gekauft und für eine Million Euro renoviert. Er hat dabei so viel verändert, dass Reim schlicht "alles" antwortet, wenn man ihn fragt, was jetzt neu sei. Ab 1. April ist das ehemalige Gotteshaus ein Café. Einmal pro Woche außerdem Suppenküche und ständig voll ausgestattete Event-Location, die jeder mieten kann, der das nötige Kleingeld im Portemonnaie hat. So sieht die Zukunft aus.

Fünf Jahre ist es her, dass die alte Ära der Kirche St. Stephanus an der Lutterothstraße in Eimsbüttel endete. Es war Palmsonntag 2005, als Bischöfin Maria Jepsen das Gotteshaus entwidmete und Altar, Bibel und Kreuz in einer Prozession in die nahe gelegene Apostelkirche brachte. Eigentlich war St. Stephanus 1912 zu ihrer Entlastung gebaut worden - dann aber schwanden die Mitglieder und mit ihnen schwand das Geld. St. Stephanus stand leer.

Heute hat Torsten Reim im ehemaligen Kirchenschiff einen Tresen installiert, eine Vitrine für Kuchen und eine Eistruhe aufgestellt. Wo früher der Altar war, steht heute ein antiker Sekretär mit einem Laptop. Vor dem goldenen Mosaik, das noch an der Stirnseite prangt, kann eine 25 Quadratmeter große Leinwand heruntergelassen werden. Zwei Tageslichtbeamer versprechen beste Bildqualität auch an sonnigen Tagen. Hochwertige Lautsprecher sorgen für glasklaren Rundum-Sound. In der Kirche selbst, draußen und sogar auf den Toiletten. "Hier könnte man sich sicherlich auch gut die Fußball-WM anschauen", glaubt Reim. Er hat an alles gedacht. Nicht ein kleines Detail wird dem Zufall überlassen.

2005 waren viele Gemeindemitglieder traurig über den Verlust ihrer Kirche - und protestierten mit einiger Vehemenz, als TV-Koch Tim Mälzer kurz nach der Entwidmung verkündete, St. Stephanus zum Gourmet-Tempel umfunktionieren zu wollen. Für sie war es eine nahezu wahnwitzige Vorstellung, dass an einem Ort, an dem fast 100 Jahre lang Menschen im Angesicht Gottes getauft und verheiratet wurden, nunmehr Kalbsfilet an Blattsalaten kredenzt werden sollten. Und heute? "Bisher hat sich eigentlich keiner aufgeregt", sagt Reim. Und selbst wenn - auf Massenbetrieb ist er nicht aus. "Bei drei bis vier gebuchten Veranstaltungen im Monat sind die Kosten gedeckt", sagt er, "das reicht." Aber natürlich muss auch er erst abwarten, wie es läuft. "St. Stephanus soll ein Ort zum Relaxen und Ausruhen sein. Ein Ort, an dem man einen netten Nachmittag verbringen kann."

Ganz oben, nur wenige Meter unter dem Kirchendach, hat Reim eine dritte, frei schwebende Ebene montieren lassen, die man von der Empore über eine Treppe erreicht. Eine "Chill-out-Area" soll hier hin, mit Sofas und Kissen. Reim lässt den Blick über die noch freie Fläche schweifen. "Da könnte man dann liegen, Jazz hören und eine Zigarre rauchen." Theoretisch zumindest. Praktisch wird das Café nämlich eine Nichtrauchereinrichtung.

Seit dem Jahr 2000 wurden neben St. Stephanus noch sechs weitere Kirchen in Hamburg entwidmet. Will man den Grund auf eine einfache Formel bringen, dann lautet sie so: weniger Mitglieder, weniger Geld. In den 50er-Jahren hat die Kirche außerdem ein ambitioniertes Programm gestartet. Jeder sollte nur 15 Minuten Fußweg vom nächsten Gotteshaus entfernt wohnen, ein regelrechter Bauboom setzte ein. Die Folge sind dünn besetzte Kirchenbänke an den Sonntagen, höchstens an Weihnachten und Ostern ist was los. Fünf der entwidmeten Gotteshäuser sind deshalb auch Gebäude, die erst in der Nachkriegszeit errichtet wurden.

Anders ist es bei St. Stephanus, rein architektonisch eine traditionelle und besonders schöne Kirche. Karminroter Stein, ein hoher Glockenturm, fast 100 Jahre alt. Es gibt viele, die Erinnerungen an diesen Ort haben. Taufen, Konfirmationen, Hochzeiten. "Wenn ihre Kirche entwidmet und anders genutzt wird, erleben die Gemeindemitglieder das mit sehr ambivalenten Gefühlen", sagt Pastor Thomas Kärst von der Nordelbischen Kirche. Dabei komme es aber auf die Art der Nachnutzung an. Die Osterkirche in Altona ist seit 2007 eine Grundschule. "Das hat die Gemeinde damals mitgetragen und prima aufgenommen", so Kärst. Und in diesem Fall? Lautsprecher auf Toiletten, eine Chill-out-Area unter dem Dach. Zu viel Zweckentfremdung oder mutiges Comeback? Immerhin, leben muss Torsten Reims von seiner Kirche nicht. "Das ist für mich nur ein Hobby." Dennoch ist er sichtlich stolz auf das, was er geschaffen hat. Draußen, vor der dunklen, schweren Kirchentür stehen schon ein paar zu Kugeln geschorene Buchsbaumsträucher. Der Rest wird folgen. Aber draußen, da ist auch noch Vergangenheit. Roter Backstein, der sich in der Himmel streckt. Alles anders, alles neu. Dabei aber wird es bleiben.