Bisher sind erst 36 der 89 Hamburger U-Bahnhöfe barrierefrei. Für Mütter und Väter heißt es jetzt: selbst anpacken oder helfen lassen.

Hamburg. Neues Jahr, neue Richtlinie: Ab Freitag sind Kinderwagen auf Rolltreppen verboten - auch in Hamburg. Denn pünktlich zum 1. Januar 2010 erlässt die Europäische Union aus Sicherheitsgründen die Norm EN 115. Diese schreibt vor: Kinderwagen dürfen nicht länger auf den Hinterrädern die stählernen Stufen hinauf- oder hinunterbefördert werden. Grund: Das Unfallrisiko ist laut EU-Experten zu hoch. Kommt es bei einer Rolltreppe zu einer "Schnellbremsung", könnten Eltern und Kind mit dem Wagen stürzen, sich womöglich sehr schwer verletzen.

Rolltreppen müssen deshalb jetzt jeweils mit einem Piktogramm, das eine durchgestrichene Kinderkarre zeigt, gekennzeichnet werden. Die Hamburger Hochbahn ist bereits dabei, diese Warnschilder an ihren insgesamt 189 Rolltreppen anzubringen. Bisher habe es dort jedoch glücklicherweise noch keine schweren Unfälle mit Kinderwagen gegeben. "Aber wir müssen schon allein deshalb auf das Verbot hinweisen, um klarzustellen, dass wir bei einem Unfall nicht haften", sagt Hochbahn-Sprecher Christoph Kreienbaum. Genau wegen dieser Versicherungs-Problematik hatten verschiedene Rolltreppen-Hersteller bei der Europäischen Union für eben diese neue Verordnung gekämpft und sie schließlich auch durchgesetzt.

Doch was bedeutet dies alles für Hamburgs Eltern? Im Alltag wohl vor allem: entweder allein den Wagen schleppen oder sich helfen lassen. Denn bisher sind beispielsweise erst 36 der 89 U-Bahnhöfe mit Fahrstühlen ausgestattet. "Natürlich sollen die anderen folgen. Jedes Jahr bauen wir deshalb entlang einer Prioritätenliste ein bis zwei Bahnhöfe barrierefrei aus", sagt Kreienbaum. In der Innenstadt seien die meisten Bahnhöfe schon entsprechend umgebaut.

Auch Kaufhäuser und Einkaufszentren müssen sich auf die neue Norm einstellen und entsprechende Warnschilder anbringen - sofern nicht ohnehin schon welche auf das Risiko hinweisen. "Bei uns gibt es diese Piktogramme schon seit mehr als drei Jahren. Wir waren gewissermaßen der Zeit voraus", sagt Frank Middendorf, Geschäftsführer von C&A an der Mönckebergstraße. "Bei unseren Kunden beobachte ich, dass die meisten Eltern ohnehin sehr verantwortungsbewusst sind, mit Kinderwagen einen unserer beiden Fahrstühle nutzen", so Frank Middendorf. "Richtig gefährlich wird es doch erst, wenn Kinder laufen können und eine Rolltreppe als Abenteuerspielplatz benutzen wollen."

Auch bei Karstadt an der Mönckebergstraße gibt es längst Hinweis-Schilder. "Wir haben sechs Kundenaufzüge", sagt Geschäftsführer Werner von Appen. "Ich kann mich kaum erinnern, auf unseren Rolltreppen jemals Eltern mit Kinderwagen gesehen zu haben." In den Warenhäusern der Stadt gebe es wegen der zahlreichen Fahrstühle für Eltern mit Kinderwagen in der Regel tatsächlich keine Probleme, sagt auch Ulf Kalkmann, Geschäftsführer des Hamburger Einzelhandelsverbandes. "Gefährliche Zwischenfälle sind mir nicht bekannt", sagt er. "Andernorts, wo es eben keine Aufzüge gibt, sind Mütter und Väter aber sicherlich vermehrt auf fremde Hilfe angewiesen. Allein kann man einen schweren Kinderwagen schließlich kaum die Treppenstufen hochwuchten."

Doch was passiert, wenn Eltern doch weiterhin den Kinderwagen auf die Rolltreppe schieben? Auf eigenes Risiko ist das gewissermaßen nach wie vor erlaubt. Die Richtlinie schreibt nur vor, dass auf ein mögliches Risiko aufmerksam gemacht werden muss. So wird ein Verstoß gegen die Richtlinie nicht geahndet, kein Bußgeld fällig. Denn: Es handelt sich um eine EU-Norm, nicht um ein Gesetz.

Doch wer haftet jetzt im Fall eines Unfalls, wer kommt für einen eventuellen Schaden auf? "Mit einer privaten Unfallversicherung ist man auf der sicheren Seite", sagte eine Sprecherin der Allianz. Bei der Haftpflicht sehe es womöglich anders aus. "Das kommt auf den Einzelfall an, auf verschiedene Faktoren. Fragen sind dabei zum Beispiel, ob man auf der Rolltreppe angerempelt wurde oder ob der Kinderwagen völlig überladen gewesen ist."