Die jüdische Schule am Grindelhof bekommt eine Sekundarstufe

Rotherbaum. Veronika und Michelle sind neun Jahre alt, tragen Zöpfe und sprechen muttersprachlich Russisch, dazu aber auch fließend Deutsch, Englisch und Hebräisch. Französisch können sie auch. "Aber das müssen wir noch üben", sagt Michelle mit schuldbewusstem Blick. Ihr Mitschüler Michael, zehn Jahre alt, spricht fließend Hebräisch, Deutsch, Englisch und Französisch. Dazu ein bisschen Russisch. Das haben ihm die Mädchen beigebracht. "Danke" kann er auf Russisch sagen, und, ganz wichtig, "Mach schon!"

Lernen, das hat den Kindern an diesem Morgen Vorstandsmitglied Karin Feingold von der jüdischen Gemeinde mit auf den Weg ins neue Schuljahr gegeben, sei das Rückgrat jüdischen Lebens. Und in dieser Tradition stehen auch die elf frischgebackenen Fünftklässler der Joseph-Carlebach-Schule, der einzigen jüdischen Schule Hamburgs. Im Jahr 2007 hat sie mit zwölf Kindern eröffnet, heute sind es 102. Die fünfte Klasse ist die erste, die es hier gibt. "Nach dem Scheitern der Primarschule mussten wir überlegen, wie es nach der Grundschule weitergeht", sagt Schulleiter Gerd Gerhard. Ende Januar beantragte die Schule eine Sekundarstufe. Am Freitag nun kam die Bestätigung der Schulbehörde. Die heutigen Fünftklässler werden im Jahr 2020 die ersten Abiturienten einer jüdischen Hamburger Schule nach 1942 sein.

Die Wände, in denen sie lernen, sind historisch. Die Joseph-Carlebach-Schule ist im Gebäude der ehemals größten Hamburger jüdischen Schule untergebracht. Erst nahmen die Nationalsozialisten der Talmud-Tora-Schule in den Dreißigerjahren den Namen, dann das Gebäude. Vor fast 70 Jahren wurde der jüdische Schulbetrieb in Hamburg endgültig eingestellt: "Die Judenschule wurde am 30.6.1942 geschlossen. Die Personalakten wurden abgegeben" heißt es nüchtern in einem damaligen Vermerk. 343 Schüler hatte die Schule damals. Nur 76 von ihnen überlebten das Dritte Reich.

Wer das Gebäude heute betreten will, muss angekündigt sein und sich ausweisen. Polizei steht vor dem Haus, zum Schutz der jüdischen Gemeinde. Doch im Inneren hat sich die Schule schon längst von vielen Zwängen befreit: 30 Prozent der Schüler sind nicht jüdisch, autistische Kinder sind dabei, verschiedenste Muttersprachen hallen durch die Räume. Jüdisch sein heißt auch, multinational zu denken. "Am schönsten ist die Bibliothek", sagt Michael, da gebe es Märchen in allen Sprachen. Noch sind auch die Verwaltung der jüdischen Gemeinde und das jüdische Jugendzentrum im Gebäude untergebracht. Bis ins Jahr 2020 müssen sie Platz machen. Dann sollen hier bis zu 300 Kinder zur Schule gehen.