An der Elbe stimmt die Chemie nicht. Die Industrie und der Obstbau im Alten Land fürchten nach der Vertiefung die Versalzung des Flusses.

Hamburg. Gut fünf Jahre nach dem Beginn des offiziellen Genehmigungsverfahrens erweist sich die Planung der umstrittenen Elbvertiefung weiter als Hängepartie. Derzeit im Fokus: ein Streit um eine mögliche Veränderung des Salzgehaltes im Elbwasser - was Auswirkungen auf seltene Pflanzen, aber auch auf den gesamten Obstbau haben könnte. Mit Elbwasser werden die empfindlichen Kulturen im Winter vor Frost geschützt und im Sommer bewässert.

Die Gemeinden im niedersächsischen Teil des Alten Landes kritisieren dabei eine "mangelnde Verhandlungsbereitschaft" der Planungsbehörden von Hamburg und der Bundes-Schifffahrtsverwaltung, sagt der Bürgermeister von Jork, Rolf Lühmann. "Da kommt nix, obwohl es für alles eine Lösung gäbe und praktisch die Existenzgrundlage des Alten Landes auf dem Spiel steht", so Lühmann. Doch ohne eine solche Lösung sei auch das notwendige Einvernehmen Niedersachsens fraglich, sagt der Jorker Bürgermeister, der sich mit dieser Einschätzung auf einer Linie mit der niedersächsischen Landesregierung sieht. Tatsächlich hatte auch Niedersachsens Landwirtschaftsminister Gert Lindemann kürzlich das juristisch notwendige Einvernehmen in Verbindung mit der Sicherung des Obstbaus gebracht.

Konkret geht es in dem Salzstreit um die Frage, wie weit sich die Zone der Salz-Süßwasser-Grenze weiter stromaufwärts verlagern könnte, wenn die Fahrrinne noch einmal tiefer gebaggert wird. Die Planer der Elbvertiefung gehen dabei davon aus, dass sich der Bereich um maximal 1900 Meter verändern werde, wie ein Sprecher der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord sagt. Veränderungen werde es zudem nur in einem Abschnitt geben, in dem sich dieser Grenzbereich, die sogenannte Brackwasserzone, im Laufe eines Jahres verschiebt. Die Gemeinden im Alten Land beziehen sich indes auf ein Gutachten des Stader Dow-Werkes, wonach sich die Salzgrenze um bis zu 13 Kilometer verschieben könnte. Für die Nutzung als Kühlwasser der Industrie sowie für den Obstbau würden dann etliche Millionen Euro Investitionen notwendig sein, um Maßnahmen gegen zu salziges Wasser zu ergreifen. 25 bis 150 Millionen Euro sind dazu laut Medienberichten im Gespräch. Ein großer Batzen angesichts der rund 400 Millionen Euro, die das Ausbaggern der Fahrrinne ohnehin schon kosten soll.

Das Stader Dow-Werk fordert zudem, dass zum Salzgehalt der Elbe Daten erfasst werden müssen, um mögliche Veränderungen aufzeigen zu können. "Sollten hinterher Kosten für eine zusätzliche Aufbereitung des Wassers anfallen, wollen wir die natürlich erstattet bekommen", so ein Sprecher, der die Existenz des von der Universität Delft erstellten Gutachtens bestätigte.

Was den Jorker Bürgermeister Lühmann besonders ärgert: Dieses sogenannte Dow-Gutachten sei von den Planungsbehörden nicht mit nach Brüssel geschickt worden, wo die EU-Kommission derzeit an ihrer Stellungnahme zur Elbvertiefung arbeitet. Die Gemeinden im Alten Land haben daher das Salzgutachten selbst an die EU Kommission geschickt, so Lühmann.

Das Magazin "Der Spiegel" wertet diesen Vorgang dahin, dass die Planer der EU wichtige Unterlagen vorenthalten hätten. Während die Hamburger Wirtschaftsbehörde diesen Vorwurf empört zurückweist, ist die Stellungnahme in der Wasser- und Schifffahrtdirektion Nord zurückhaltender. Man habe eigene Gutachten nach Brüssel geschickt und nicht die von Einwendern, so ein Sprecher.

In ein bis zwei Monaten rechnen die Planungsbehörden nun mit der Stellungnahme der EU, Anfang 2012 könnten die Baggerarbeiten beginnen. Mit der Elbvertiefung sollen Schiffe mit Tiefgängen von bis zu 14,50 den Fluss in beide Richtungen befahren können. Derzeit liegt die Grenze bei Fahrt Richtung Nordsee bei gut einem Meter weniger. Gut 1000 Container mehr könnte ein Frachter nach der Vertiefung tragen, heißt es in der Plan-Begründung.

Während über die Elbvertiefung weiter gestritten wird, hat jetzt die Stiftung "Lebensraum Elbe" ihre Arbeit aufgenommen. Sie war eine Forderung der GAL im alten schwarz-grünen Senat für eine Zustimmung zur Elbvertiefung gewesen. Die Stiftung soll allerdings unabhängig von der Elbvertiefung für ökologische Verbesserungen im Flusslauf sorgen. Geplant sind dazu unter anderem der Ankauf von Flächen, um neue Flachwasserzonen zu schaffen.

Zum Vorstand der Stiftung ist jetzt Professor Heinrich Reincke gewählt worden, der als ausgewiesener Experte der Elbe gilt: Von 1988 bis 2004 leitete er die Wassergütestelle Elbe und war dann für den Senat Moderator für das Projekt Elbvertiefung. Bis zum Herbst will Reincke nun mit Umweltverbänden Ideen sammeln, um in Deichvorlandflächen mehr Raum für den Fluss zu gewinnen. Doch große Flächen sind da schwer zu finden. Zumal die Vertiefungsplaner, je länger sich die Genehmigung hinzieht, immer neue Areale als zusätzliche Ausgleichsflächen für das Projekt in Brüssel nachmelden.