Bewohner und Gewerbetreibende am Mühlenkamp haben große Schäden erlitten. Die meisten bleiben darauf sitzen. Wetter wird extremer.

Winterhude. Der Starkregen am vergangenen Montag hat 16 Erdgeschosswohnungen am Mühlenkamp in Winterhude unbewohnbar gemacht. Wassermassen, die von den Sielen nicht aufgenommen werden konnten, waren durch Haus- und Terrassentüren gedrungen, aus den Toiletten und Badewannen gesprudelt. Mitten in Hamburg sind die Bewohner Opfer einer Überschwemmung geworden, mit der keiner von ihnen gerechnet hatte - und gegen die kaum einer von ihnen versichert ist.

Auf den ersten Blick sieht die kleine Stichstraße am Mühlenkamp wieder fast so idyllisch aus wie sonst. Wäre da nicht der große Container, in dem sich Möbel, Teppiche, Waschmaschinen, Bücher und Kleidungsstücke türmen.

Das mit Fäkalien und Modder verschmutzte Wasser hat sie zerstört und unbrauchbar gemacht. "Meine Möbel sind alle hin", sagt Anja Seibert, 41, die gerade ihren Schuhschrank auf den Container geworfen hat. Verschont geblieben sind der Laptop auf dem Tisch, der Fernseher an der Wand, ein paar Klamotten und Spielzeug von ihrem Sohn Niklas, 4. Betten, Sofa, Sessel, Tisch und Schränke, Terrassenmöbel und die komplette Küche mussten entsorgt werden. Von der Versicherung bekommt sie nichts. Denn Schäden, die durch Naturgewalten entstehen, sind nur durch eine Elementarversicherung gedeckt. "Die habe ich nicht abgeschlossen", sagt Seibert, die seit 2007 am Mühlenkamp wohnt. "Mir war zwar bewusst, dass ich in der Nähe von Kanälen wohne - aber dass das Wasser mal aus dem Klo kommt, habe ich nicht geahnt." Ansonsten hätte sie die Zusatzversicherung abgeschlossen. Denn sie ist vorsichtig, hat eine Rechtsschutz-, eine Hausrats- und eine Leitungswasserversicherung. Und glücklicherweise auch eine Reiserücktrittsversicherung. "Eigentlich wollte ich letzten Dienstag nach Griechenland fliegen", sagt die Einzelhandelskauffrau.

Momentan lebt ihr Sohn bei ihren Eltern in Wittenberge, sie selber beim Bruder in Winterhude. "Das ist nicht mal mittelfristig eine zumutbare Lösung", sagt sie. Mehrere Wochen wird die Sanierung ihrer Wohnung dauern, eine Ersatzwohnung konnte ihr die Hausverwaltung nicht zur Verfügung stellen. Jetzt hofft sie, sofort aus dem Mietvertrag entlassen zu werden und auch die Kaution schnell zurückzubekommen. "Vielleicht hat man als Überflutungsopfer auch Anspruch auf eine Entschädigung", sagt Anja Seibert, "für einen Neuanfang". Während ihre Wohnung schon so gut wie ausgeräumt ist, sieht es gegenüber in der Wohnung von Kira R., 40, noch sehr chaotisch aus. Die Dielenbretter haben sich aufgebogen. Alles ist mit einer Modderschicht überzogen, die das abziehende Wasser zurückgelassen hat.

"Ich bin total aufgeschmissen", sagt die Musikerin. In ihrer Wohnung gibt sie normalerweise Geigenunterricht, daran ist die nächsten Wochen nicht zu denken. "Ich brauche dringend eine Wohnung, in der ich vorübergehend leben, unterrichten und üben kann", sagt Kira R., die in der Miniwohnung einer Freundin untergekommen ist. Auch sie ist nicht versichert gegen den Schaden, den sie erlitten hat. "Nur die Instrumente, die ich natürlich zuerst gerettet habe, wären ersetzt worden", sagt sie und lacht bitter.

Fraglich ist, ob die Geschädigten sich überhaupt durch eine Elementarversicherung hätten schützen können. Das ist nämlich nicht überall in Hamburg möglich. Die Stadt ist in verschiedene Gefährdungszonen unterteilt, die je nach Lage die Stufen 1 bis 4 zugewiesen bekommen. Mit jeder Stufe steigt der zu entrichtende Beitrag, Stufe vier ist nicht mehr versicherbar, weil für die Versicherung zu riskant und teuer.

Die Häuser am Fußweg Övelgönne in Othmarschen etwa, der parallel zur Elbe verläuft, haben die Gefährdungsstufe vier. Die Bewohner dort können sich nicht gegen Hochwasser, Überschwemmung und ähnliche Naturgewalten versichern. Das scheint auch für den Mühlenkamp zu gelten, wo außer den Bewohnern der Hinterhäuser auch viele Geschäftsleute von der Überflutung betroffen sind. Sie bleiben zum Teil auf immensen Schadenssummen sitzen. Etwa 20 000 Euro beträgt er bei Vincenzo D'Agate vom gleichnamigen Feinkostgeschäft. Wegen der tiefen Lage der Straße und weil sein Laden im Souterrain liegt, wurde er schon mehrmals Opfer von Überschwemmungen - ebenso wie andere Geschäftsleute in der Nähe. Dagegen versichern können sie sich nicht. Zwar gilt für den Mühlenkamp in der Versicherungswirtschaft nur Gefährdungsstufe 2. Doch: "Wer einmal einen Schaden hatte, wird nicht versichert", bestätigt eine renommierte Kölner Versicherung, die nicht genannt werden möchte.

Nach Angaben des Hamburger Instituts für Wetter- und Klimakommunikation nehmen extreme Wetterereignisse an Intensität und Häufigkeit zu. Das ist auch Hamburg Wasser bekannt. "Ereignisse wie am Montag kommen nur alle 75 Jahre vor, daran kann man die Kanalisation nicht anpassen", sagt Sprecher Carsten Roth. Doch habe man teilweise Abwasserrohre vergrößert und Rückhaltebecken angelegt. Künftig soll Wasser von versiegelten Flächen möglichst nicht in die Kanalisation, sondern in Gewässer geleitet werden.