Schulsenator Ties Rabe kennt die Probleme der Eltern und sagt im Abendblatt, wie er Lösungen anpacken will

Hamburg. Für Ties Rabe (SPD) war es ein Start mit Hindernissen in das Amt des Schulsenators: Am Tag seiner Wahl wurde im Rathaus sein Mantel gestohlen, dann ließ er auch noch seine Ernennungsurkunde versehentlich liegen (bekam sie aber wieder). Mit dem Abendblatt sprach der Lehrer und Journalist an seinem ersten Arbeitstag in der Schulbehörde über seine Pläne, aber auch seine Erfahrungen als Vater dreier schulpflichtiger Kinder.

Hamburger Abendblatt:

Kennen Sie den Begriff "Scheuerl-Test"?

Ties Rabe:

Ja, aus der Zeitung. Und: Herr Scheuerl hat mir zu meiner Wahl gratuliert und mir alles Gute gewünscht.

Bürgermeister Olaf Scholz versteht unter Scheuerl-Test: Ein SPD-Schulsenator darf Primarschul-Verhinderer Walter Scheuerl keinen Anlass bieten zu denken, die SPD wolle die Primarschule durch die Hintertür doch noch einführen.

Rabe:

Ich bin mir mit Olaf Scholz in zwei Dingen völlig einig: Wir stehen zum Schulfrieden ohne Wenn und Aber. An der Schulstruktur wird nicht rumgefummelt. Zweitens: Wir müssen auf alle Gruppen zugehen, zuhören und eine neue Gesprächsgrundlage schaffen. Das gilt nicht nur in Richtung von Herrn Scheuerl, sondern auch in Richtung der vielen, die sich für die Primarschule engagiert haben. Wir brauchen alle zusammen, um ein besseres Schulsystem in Hamburg zu schaffen.

Bislang waren Sie als Lehrer einer von mehr als 17 000 in Hamburg. Künftig sind Sie der eine vor allen anderen. Wie fühlen Sie sich dabei?

Rabe:

Als Schulpolitiker habe ich oft gedacht: Man müsste, man könnte ... Ich habe ein bisschen darauf gebrannt, zeigen zu können, was ich mir vorstelle. Jetzt, wo es so weit ist, habe ich auch gehörigen Respekt vor der Aufgabe.

Empfinden Sie es als Vorzug, Teil des Ganzen gewesen zu sein, also aus der Schule zu kommen, oder als Nachteil?

Rabe:

Ich empfinde es als Vorteil, auch deshalb, weil ich die Schule als Vater dreier schulpflichtiger Kinder von der anderen Seite her kenne. Außerdem war ich nur die letzten vier Jahre meines bisher 22-jährigen Berufslebens Lehrer. In dieser Mischung empfinde ich das als große Hilfe.

Haben Sie sich als Vater auch mal über die Schule oder die Lehrer Ihrer Kinder geärgert?

Rabe:

Öfter. Und ich habe mich hin und wieder auch recht temperamentvoll in den Schulbetrieb eingemischt. Der eine oder andere Schulleiter kann sich daran sicherlich noch erinnern. Aber ich habe auch sehr engagierte Lehrer erlebt, meine Einmischung war nur punktuell, kein Dauerzustand.

Wie beurteilen Sie das Hamburger Schulsystem aus der Sicht des Vaters?

Rabe:

Eigentlich läuft es ganz ordentlich. Mich hat als Vater aber immer gewundert, warum das, was Eltern und Schüler umtreibt, so selten von der Schulpolitik aufgegriffen wird. Zum Beispiel Unterrichtsausfall, zum Beispiel die extremen Schwankungen in der Unterrichtsqualität: Der eine Lehrer ist toll, der andere nicht. Oder das Thema unterschiedliche Notenbewertungen. Nicht nur in der Politik, auch an den Schulen waren diese Themen nicht so präsent, wie ich mir das als Vater gewünscht hätte.

Nun haben Sie die Gelegenheit, aus Ihren Erfahrungen Politik zu machen. Stichwort Unterrichtsausfall.

Rabe (lacht):

Ich habe mir erklären lassen, dass es eigentlich keinen Unterrichtsausfall gibt. Aber die Wahrheit erlebe ich täglich anders. Wir müssen nun sehen, dass es das, was es offiziell nicht gibt, auch wirklich nicht mehr gibt. Die Schulen bekommen zurzeit Honorarmittel, um den Ausfall mit Ersatzkräften abzudecken. Das klappt nicht immer. Ich glaube, dass es hier nicht richtig ist, die Schulen alleinzulassen. Hier muss sich die Behörde als Hilfsorganisation stärker einmischen. Es geht mir allerdings nicht um kompliziertes Berichts- und Kontrollwesen.

Ist es schwieriger geworden, als Lehrer zu arbeiten, auch weil die Schüler aufmüpfiger und disziplinloser sind?

Rabe:

Als ich vor vier Jahren anfing, war ich überrascht, wie freundlich und aufgeschlossen die Schüler waren. Problematisch ist nicht in erster Linie die Disziplin, sondern die extreme Unterschiedlichkeit. Es gibt Schüler, die zum Schulanfang schon lesen und schreiben können. In der dritten Klasse sitzen welche, die "Harry Potter" schon zweimal durchgelesen haben. Daneben sitzt einer, der nicht imstande ist, einen Satz flüssig zu lesen.

Dahinter steht das Problem der Risikoschüler, die kaum eine Chance auf einen Schulabschluss haben. Die SPD will allen Jungen und Mädchen mindestens den Hauptschulabschluss ermöglichen. Wie soll das verwirklicht werden?

Rabe:

Sie haben recht: Die letzte Pisa-Studie hat es gezeigt. Ein Viertel der Hamburger 15-Jährigen liest und schreibt und rechnet so schlecht wie der Durchschnitt der Viertklässler. Das ist die Gruppe, die uns jeden Pisa-Test verhagelt. Da müssen wir dringend etwas machen. Es ist hochgradig ungerecht, so viele junge Menschen chancenlos ins Leben zu entlassen - obendrein wird der Gesellschaft schwerer Schaden zugefügt. Erstens: Wir müssen die Unterrichtsqualität verbessern. Zweitens: direkte Maßnahmen, die diesen benachteiligten Schülern helfen. Also zum Beispiel zusätzlicher Förderunterricht. Staatlicher Nachhilfeunterricht statt Alleinlassen. Aber wir müssen uns auch noch einmal die Sprachförderung vor der Einschulung genau ansehen.

Wie wollen Sie die Unterrichtsqualität verbessern?

Rabe:

Einmal brauchen wir mehr Begeisterung für das Lernen. Denn nur wer lernen will, lernt auch. Der Sieg in der Mathe-Olympiade muss für junge Menschen wichtiger werden als der Auftritt bei einer drittklassigen Casting-Show. Darüber hinaus müssen wir guten Unterricht zum wichtigsten Gesprächsthema an den Schulen machen. Und wir müssen die Ergebnisse von Lerntests, Schulinspektion und Vergleichsarbeiten besser nutzen, um zum Beispiel Stärken und Schwächen aufzuzeigen und daraus zu lernen.

Sind Sie für die Veröffentlichung etwa der Ergebnisse der Schulinspektion?

Rabe:

Wenn es in geeigneter Weise geschieht, kann man darüber reden. Nicht sinnvoll ist es, wenn nur der Leistungsstand der Schüler abgebildet wird. Da gewinnen immer die Schulen in Stadtteilen mit vielen Schüler aus bildungsnahen Elternhäusern. Bei den Themen Unterricht und Schulgestaltung schneiden dagegen Schulen in schwierigen Stadtteilen oft besser ab als in guten. Solche Tests kann man durchaus öffentlich diskutieren. Eine Kultur des Vergleichens und Ringens um Verbesserungen halte ich für wichtig.

Eine Sorge gilt der neu geschaffenen Stadtteilschule. Wie kann diese Schulform dauerhaft als attraktive Alternative zum Gymnasium etabliert werden?

Rabe:

Hamburg hat mit Stadtteilschule und Gymnasium, die beide zum Abitur führen, ein modernes Schulsystem, um das uns viele Länder beneiden. Wir wollen allen Stadtteilschulen, die dies wollen, anbieten, Ganztagsschulen zu werden. Das ist gerade für Schülerinnen und Schüler, denen ihre Eltern wenig helfen können, ein sinnvoller Schritt. Außerdem wollen wir, dass die Stadtteilschulen ihrem Namen gerecht werden, indem sie sich dem Stadtteil öffnen. Es geht um Kooperationen mit Vereinen, aber zum Beispiel auch Künstlern vor Ort.