46 Neinstimmen bei der Wahl der SPD-Politikerin bedeuten historisch schlechtestes Ergebnis. Senatoren mit Stimmen aller Sozialdemokraten bestätigt

Hamburg. An den ersten Tagen, an denen sich eine neue Bürgerschaft formiert, geht es meist ein wenig zu wie am ersten Schultag. Man begrüßt sich, hält hier ein Pläuschchen, schäkert dort, und die Neuen sind eh noch hippelig. Um kurz vor halb vier war es im Plenarsaal jedoch einen Augenblick lang ganz still. Gefühlt ein langer Augenblick. Es war der Moment, in dem das mit großem Abstand schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte bei einer Wahl zum Bürgerschaftspräsidenten verkündet wurde. Nur 65 Parlamentarier hatten für Carola Veit (SPD) gestimmt, 46 Abgeordnete votierten mit Nein, acht enthielten sich. Damit erhielt Veit gerade drei Stimmen mehr, als die SPD Sitze hat. Das bis dahin schlechteste Ergebnis bekam ihr Vorgänger Lutz Mohaupt im März 2010 mit 15 Neinstimmen.

Bei Carola Veit konnte man bei ihrem anschließenden "Ja, ich nehme die Wahl an" die Enttäuschung trotz eines Lächelns hören. "Ich bin gewählt, für mich wird die Bürde des Amtes dadurch nicht größer", sagte Veit später dem Abendblatt. Sie mache sich "keinen Kopf" über das Ergebnis, so Veit, das habe unterschiedliche Gründe. Und: "Ich gehe davon aus, dass meine Fraktion mich gewählt hat."

Das jedoch ist keineswegs sicher. Wie berichtet, war die Wahl zum protokollarisch höchsten Amt der Stadt schon im Vorfeld zum Politikum geworden. Dass Dorothee Stapelfeldt für zweieinhalb Wochen als eine Art Interims-Präsidentin gewählt worden war, sorgte bei vielen Abgeordneten für Unmut. Auch die Personalie Veit ist nicht unumstritten, viele Parlamentarier kritisieren ihre "wenig überparteiliche" Arbeit als Ausschussvorsitzende. Und dann konnte sich Veit bei ihrer Wahl in der Fraktion auch nur äußerst knapp gegen Überraschungsgegenkandidat Mathias Petersen durchsetzen. "Das ist eine richtige Ohrfeige für die SPD und Olaf Scholz", sagte die Linken-Fraktionsvorsitzende Dora Heyenn. "Das lässt Rückschlüsse auf den Zustand der Partei zu, die große Einigkeit der SPD ist offenbar nur Fassade." Damit spielte Heyenn darauf an, dass Veit ihrer Kenntnis nach auch Stimmen aus dem Lager der Linken bekommen habe.

Katja Suding, Fraktionschefin der FDP, ging sogar noch weiter: "Wir haben Frau Veit ins Amt geholfen, aus eigener Kraft hätte die SPD das nicht geschafft." Trotz aller Kritik am Wechselkurs um das Präsidentenamt habe ihre gesamte Fraktion für Veit gestimmt, so Suding. Die SPD weist das weit von sich. "Wir haben uns in der Fraktion noch heute Mittag darauf verständigt, geschlossen hinter unserer Kandidatin zu stehen", sagte der Fraktionsvorsitzende Andreas Dressel. Die Sozialdemokraten hätten sich in der Vergangenheit immer an den "guten parlamentarischen Brauch" gehalten, den Kandidatenvorschlag der stärksten Fraktion mitzutragen. Das hätte er von den anderen Fraktionen auch erwartet.

Die GAL hatte jedoch schon klargemacht, dass man das von ihr nicht zu erwarten habe. "Das ist ein hoffentlich heilsamer Schock für die SPD, verantwortungsvoller mit ihrer Mehrheit umzugehen", sagte Fraktionschef Jens Kerstan. Und CDU-Fraktionsvorsitzender Dietrich Wersich mahnte, Veit müsse sich ihr Vertrauen erst erarbeiten. Die von vielen geforderte Demut der Bürgerschaftspräsidentin blieb allerdings aus. Sie sagte nach der Wahl: "Auch wenn das Vertrauen noch nicht in vollem Umfang vorhanden ist, können Sie sicher sein, dass ich mich allen Abgeordneten verpflichtet fühle und mein Amt sachgerecht führen werde."

Dann ging Veit, ganz in Schwarz gekleidet, zur Tagesordnung über. Nach Wahl zweier Stellvertreter - Kersten Artus (Linke) und Barbara Duden (SPD) - rief sie zur Bestätigung die zuvor bereits von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) berufenen zehn Senatoren auf. Nach dem turbulenten Start fast schon eine Nebensache. So gab es auch das zu erwartende Ergebnis: Der Senat wurde mit 62 Stimmen bestätigt. Die Senatoren standen im Flur vor dem Plenarsaal, als das Ergebnis verkündet wurde. Detlef Scheele (Arbeit und Soziales) machte vor Freude einen Luftsprung, drückte seine Kolleginnen Jutta Blankau (Stadtentwicklung) und Cornelia Prüfer-Storcks (Gesundheit). Jana Schiedek (Justiz) atmete erleichtert auf. Kurz darauf schworen alle ihren Eid, Peter Tschentscher (Finanzen), Michael Neumann (Innen), Frank Horch (Wirtschaft), Ties Rabe (Schule) und Schiedek mit Gottesformel, Dorothee Stapelfeldt (Wissenschaft), Barbara Kisseler (Kultur), Scheele, Blankau und Prüfer-Storcks ohne. Olaf Scholz stieg lächelnd von seiner Senatsbank - ab sofort sitzt er dort nicht allein.