Rechnungshof fordert vom neuen Senat Abkehr von der bisherigen Finanzpolitik

Hamburg. Nach dunklen Wolken spricht der Präsident schließlich vom blauen Himmel. Die Politiker müssten nun ähnlich radikal umdenken wie damals im Ruhrgebiet, als dort vor lauter qualmenden Schloten kein Horizont mehr zu sehen war, sagt Jann Meyer-Abich, Leiter des Rechnungshofs. Niemand habe in den 60er-Jahren geglaubt, dass dort die Luft einmal sauberer sein würde. Dennoch, in der Umweltpolitik sei längst ein Strukturwandel bemerkbar. Die Hamburger Haushaltspolitik aber, so lässt sich der Sonderbericht der obersten Finanzprüfer deuten, steckt noch in düsteren Zeiten. Ein Raubbau, den sich die Stadt demnach nicht mehr leisten kann.

"Die gewohnte Praxis, finanzielle Lasten möglichst unmerklich in die Zukunft zu verschieben, ist am Ende", sagt Meyer-Abich. Besitztümer der Stadt verkauft, Milliardenschulden angehäuft - und trotzdem Straßen und Schulen verkommen lassen, so fasst der Experte die vergangenen Jahre zusammen. Der Rechnungshof fordert vom SPD-Senat eine "finanzpolitische Rahmenplanung", die aufzeige, wie Hamburg bis 2020 ohne neue Schulden auskommen kann - diese Vorgabe des Bundes müssen alle Länder einhalten.

Die Fakten: 28 Milliarden Euro Schulden hat die Stadt mittlerweile angehäuft - wobei die Verbindlichkeiten der öffentlichen Unternehmen noch nicht mitgerechnet sind. Rund eine Milliarde Euro, etwa ein Zehntel des Haushalts, zahlt Hamburg Jahr für Jahr nur für Zinsen. Von jedem eingenommenen Euro werden elf Cent direkt an Banken überwiesen, also nicht für Aufgaben im Interesse der Bürger ausgegeben. Die Pro-Kopf-Verschuldung von annähernd 16 000 Euro ist die dritthöchste aller Bundesländer - selbst wenn man bei Flächenländern die Schulden der Gemeinden einrechnet. Hamburg stecke in einer "Verschuldungsspirale", so der Bericht. Allein in der Zeit seit 1995 - in der es zunächst sechs Jahre einen SPD-geführten und danach knapp zehn Jahre einen CDU-geführten Senat gab - habe die Stadt 18 Milliarden Euro mehr ausgegeben, als sie eingenommen habe, also gut eine Milliarde pro Jahr. Dass die Schulden im gleichen Zeitraum "nur" um elf Milliarden Euro stiegen, lag daran, dass zeitgleich "Tafelsilber" der Stadt im Wert von sieben Milliarden Euro verkauft wurde. Zum Beispiel: Teile der HEW (für 2,4 Milliarden Euro), Teile der Landesbank (heute HSH, 705 Millionen) sowie Gebäude einschließlich der Behörden (610 Millionen).

Einen Extra-Rüffel kassieren die von der CDU beziehungsweise von CDU und GAL geführten Senate der Jahre 2007 und 2008. Sie hätten es nicht nur verpasst, in diesen Boomjahren mit sprudelnden Steuereinnahmen Vorsorge für schlechte Zeiten zu treffen, sondern "im Gegenteil" die Ausgaben weiter gesteigert und so das Finanzloch noch vergrößert. Auch kritisiert der Rechnungshof "Haushaltskosmetik": Obwohl der damalige Bürgermeister Ole von Beust (CDU) im vergangenen Jahr das Ende der "kreativen Buchführung" forderte, habe das jüngste - nach den Neuwahlen nun hinfällige - Sparpaket erneut Tricks enthalten: So sollten öffentliche Unternehmen rund 50 Millionen Euro zur Konsolidierung beitragen, nach Ansicht von Meyer-Abich, indem sie Rücklagen für Pensionen anfassen. Das sei besonders bedenklich, weil die Ruhestandszahlungen der Stadt bis 2020 weiter steigen werden - eine Folge der üppigen Personalpolitik der 60er- und 70er-Jahre.

"Zusätzlich wurde auf Verschleiß gefahren", also die Instandhaltung der Infrastruktur vernachlässigt, so Meyer-Abich. "Die Straßen sind so vernachlässigt, dass ein strenger Winter spürbare Folgen für die Benutzbarkeit hervorruft." Und die Substanz der Schulen sei "so schlecht", dass sie jetzt für 4,2 Milliarden Euro "in einen zeitgemäßen Zustand" versetzt werden müssten.

Der Rechnungshof fordert "entschlossenes Handeln von Senat und Bürgerschaft", und zwar über mindestens acht Jahre. In dieser Zeit dürften höhere Einnahmen nicht zu höheren Ausgaben verleiten, wie es besonders 2008 der Fall war. Meyer-Abichs Kernforderung, der Anstieg der Ausgaben müsse immer "gut einen Prozentpunkt" unter dem Anstieg der Einnahmen liegen, steht fast eins zu eins so im SPD-Wahlprogramm - was die Frage aufwirft, wer hier wen inspiriert hat. Das bedeutet aber nicht, dass der Rechnungshof die SPD-Pläne ohne Skepsis betrachtet. "Nur in der Verwaltung sparen, das wird nicht reichen", sagt Meyer-Abich. Bürgermeister Olaf Scholz hatte angekündigt, die größten Personalbereiche, Polizisten und Lehrer, auszusparen. Das erscheine allein mit Blick auf die jüngsten Tarifabschlüsse fragwürdig, sagt Meyer-Abich.

Olaf Scholz sucht weiter nach Personal für sein Kabinett. Der Präsident des Rechnungshofs dürfte sich mit seinem Appell als Staatsrat der Finanzbehörde empfohlen haben. Er müsste im Gebäude am Gänsemarkt nur einige Stockwerke nach unten ziehen.