Mehr Demokratie: Bürger haben ihre Möglichkeiten genutzt

Hamburg. Eine historisch niedrige Wahlbeteiligung, verwirrte Wähler und eine hohe Anzahl ungültiger Stimmzettel - der Schuldige dafür stand für viele Politiker und Beobachter schon kurz nach der Bürgerschaftswahl fest: das neue Wahlrecht. 20 Stimmen, verteilt in einem Mix aus Personen- und Verhältniswahlrecht auf vier Stimmhefte, das sei viel zu kompliziert und schrecke die Bürger ab. Wobei die Vertreter dieser Argumente übersahen, dass es die Bürger selbst waren, die sich 2004 in einem Volksentscheid mit großer Mehrheit so ein ähnliches Wahlrecht gewünscht hatten. Es wurde zwar noch mehrmals geändert, aber im Prinzip haben die Hamburger jetzt erstmals nach dem Modell gewählt, das der Verein Mehr Demokratie als Initiator des Volksentscheids im Kopf hatte. "Wir sind zufrieden", sagt Manfred Brandt, einer der Vertrauensleute von Mehr Demokratie, zum Ablauf der Wahl.

Stichwort Wahlbeteiligung: Mit nur 57,8 Prozent lag sie zwar unter den 63,5 Prozent von 2008. Ein Rückgang um 5,7 Prozentpunkte sei bedauerlich, sagt Brandt. Aber in anderen Bundesländern sei die Beteiligung auch ohne Wahlrechtsänderung viel stärker zurückgegangen - in Berlin um 10,1 Prozentpunkte, in Sachsen-Anhalt um 12,1 Punkte. Viel spreche also dafür, dass die Beteiligung in Hamburg so oder so unter 60 Prozent gelegen hätte - zumal die Wahl wenig Spannung versprach.

Stichwort Verständnis: Auf der Landesliste, wo die Bürger erstmals entscheiden konnten, ob sie ihre Stimmen einer Partei oder lieber einzelnen Personen geben wollen, wurden 47 Prozent der Stimmen direkt an Kandidaten vergeben. 23 Mandate gingen dadurch an andere Kandidaten als die von den Parteien vorgesehenen. "Es wurde gezielt gewählt", sagt Brandt und wertet das als Indiz dafür, dass das Wahlrecht verstanden wurde.

Stichwort ungültige Stimmen: Mit 3,1 Prozent lag ihre Zahl zwar deutlich höher als 2004 bei der letzten Wahl nach dem Zwei-Stimmen-Modus (1,3 Prozent), aber niedriger als 2008 (3,4), als die Wahlkreise eingeführt wurden. Hinzu kommt: Im Vergleich zu anderen Bundesländern, in denen Kumulieren (Anhäufen) und Panaschieren (Aufsplitten) von Stimmen schon länger möglich ist, stehe Hamburg noch gut da, so Brandt. So liege die Zahl ungültiger Stimmen in diesen Ländern zwischen 2,4 (Niedersachsen) und 5,3 Prozent (Sachsen-Anhalt).

Stichwort Platz 31: Bei SPD, CDU und GAL gelang jeweils den auf Platz 31 gelisteten Kandidaten der Einzug in die Bürgerschaft. Wahrscheinlicher Grund: Platz 31 war im Stimmzettelheft oben rechts angeordnet, wo die Wähler zuerst hinschauen. "Das geht nicht, das muss geändert werden", sagt Brandt.

Eine Mehr-Demokratie-Studie zu allen 16 Länder-Wahlrechten sieht die Hamburger auf Platz eins. Von dem ebenso gut bewerteten Bremer Wahlrecht könne sich Hamburg aber einen Punkt abschauen, sagt Brandt: die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre.