CDU-Mitglieder fordern nach Wahldebakel Debatte um inhaltliche Ausrichtung. Gegenwind für möglichen neuen Parteichef Marcus Weinberg.

Hamburg. Wofür steht eigentlich eine "liberale Großstadtpartei"? Will die Hamburger CDU das sein - und wenn nicht, was will sie dann sein? Während das Führungsduo - Bürgermeister Christoph Ahlhaus und Partei- und Fraktionschef Frank Schira - noch am Wahlabend infrage gestellt worden war und kurz darauf seinen Rückzug angetreten hatte, gewinnt jetzt auch die Debatte um die inhaltliche Ausrichtung der Partei an Fahrt.

"Eine inhaltliche Ausfüllung der Begriffe ,modern' und ,liberale Großstadtpartei' ist notwendig", schreiben die prominenten CDU-Mitglieder Reinhard Behrens und Karin Prien in einer Analyse des niederschmetternden Wahlergebnisses (21,9 Prozent). In den knapp zehn Regierungsjahren habe die Parteiführung die Auslegung dieser Begriffe "der Gefechtslage des Augenblicks angepasst und druckvoll mit 100-Prozent-Abstimmungen möglichst ohne Diskussionen durchgesetzt", kritisieren der frühere Schul-Staatsrat Behrens und die frisch gewählte Bürgerschaftsabgeordnete Prien - beide hartnäckige Primarschulgegner.

100-Prozent-Abstimmungen (wie über den schwarz-grünen Koalitionsvertrag) seien in einer Volkspartei, die viele Strömungen vereinen müsse, aber ein Krisenzeichen, schreiben die Autoren und erlauben sich einen Seitenhieb auf ihren Frontmann: "In der CDU wird diskutiert, aber nicht öffentlich gestritten", habe "ein Kreisvorsitzender" im September 2010 erklärt, monieren Behrens und Prien. Dieser CDU-Kreischef aus Hamburg-Nord war niemand anders als Bürgermeister Ahlhaus.

"Politische Ziele und die Mittel zu deren Erreichen müssen auf breiter Basis diskutiert werden", fordern Behrens und Prien. Sie dürften nicht mehr der "parteistrategischen Auslegung der Leitung überlassen werden". Noch deutlicher äußert sich Nils Wolk, Ortsvorsitzender der CDU Oberalster. Der CDU-Vorstand habe Politik "lediglich nach reinem Machtkalkül betrieben", Posten und Mandate seien nicht nach Qualifikation, sondern nach Mitgliederproporz und Loyalität vergeben worden, schrieb Wolk in einer Pressemitteilung. Als Beispiele nennt der 30-Jährige Ahlhaus und Schira, "die nur wegen der Größe ihrer Kreisverbände" (Nord und Wandsbek) Sozialsenator Dietrich Wersich "im Positionengeschacher weit abhängen konnten".

Auch Wolk fordert nun eine Debatte über die Ausrichtung der Partei. Die CDU müsse entscheiden, ob sie eine liberale Großstadtpartei sein wolle oder - was Wolk bevorzugt - "ob sie zu ihren Werten und Überzeugungen zurückkehrt" und diese auch bei Gegenwind vertrete. Nicht zu diesen Werten gehört aus seiner Sicht auch das Bekenntnis zur Stadtbahn. Auch Prien und Behrens stellen fest, dass das schwarz-grüne Bündnis "Stammwähler verschreckt und konservative SPD-Wähler in den Schoß ihrer Ursprungspartei zurückgeführt" hat. Wolk legt dem gesamten Parteivorstand um Schira, den Bundestagsabgeordneten Marcus Weinberg und Rüdiger Kruse sowie den Bürgerschaftsabgeordneten Viviane Spethmann und Karen Koop den Rücktritt nahe. Dass Weinberg - nur er hat bislang Interesse angemeldet - Parteichef werden könnte, nennt er eine "Farce".

Weinberg hält die Forderung nach dem Rücktritt des gesamten Landesvorstands zwar grundsätzlich "für legitim und nachvollziehbar", gibt allerdings zu bedenken: "Wenn wir jetzt Tabula rasa machen, dann verlieren wir Kontinuität." Es gebe dann über die Kreis- und Ortsvorsitzenden keine Bindung mehr zur Basis. Für den Parteivize ist die inhaltliche Ausrichtung der CDU "einer der entscheidenden Punkte für die nächsten Jahre". Er sieht es als Aufgabe des künftigen Parteichefs an, diesen Prozess zu begleiten. "Ich warne aber davor, eine Diskussion nach dem Motto 'Konservativ oder liberal?' zu führen. Dann laufen wir Gefahr, dass die Partei in zwei Lager gespalten wird."

Der neue Parteichef soll in einer Mitgliederbefragung gefunden werden. Auch Prien und Behrens halten das für den richtigen Weg. Weinberg will nur Parteichef sein, wenn er sich "auf Legitimität und breite Akzeptanz" stützen kann. Darin wird er von Parteifreunden wie dem Verkehrsexperten Klaus-Peter Hesse bestärkt: "Ich weiß, was Marcus Weinberg kann, und unterstütze ihn."

Das Instrument der Mitgliederbefragung ist in der CDU-Satzung nicht ausdrücklich vorgesehen. Vorstellbar ist aber, dass ein Parteitag sich dem Votum der Basis anschließt.