Sonnenschein, aber eisige Temperaturen - doch echte Hamburger genossen den Tag trotzdem draußen. Ein Wetter zum Ansichtskarten-Fotografieren.

Hamburg. Der Tag fing nun wirklich nicht schlecht an. Ein erster scheuer Blick aus dem Fenster, und da war er zu sehen: dieser unfassbar blaue Himmel. Ein Wetter zum Ansichtskarten-Fotografieren. Sollte sich da womöglich so etwas wie Frühling anbahnen? Nun, wer daraufhin im Kleiderschrank in die Schön-Wetter-Abteilung griff - der sollte es bitter bereuen. Der frostige Schock kam sofort nach den ersten Schritten aus der Haustür. Minus sieben Grad. Gefühlt minus 17. Hamburger Pseudo-Frühling. Reingefallen.

Doch wer denkt, dass sich nun alle in hochgeheizte Räume verkrochen hätten, der kennt die Norddeutschen nicht. Wenn schon mal die Sonne scheint, dann wollen die Hamburger sie auch fühlen - und nicht bloß angucken.

"Zu kalt? Ich schwitze eher", sagt Sonja Michler. "Schieben Sie mal den Kinderwagen die ganze Zeit durch die Gegend, das ist der reinste Sport." Ein schöner Sport. Die 41-Jährige lebt in Finkenwerder und fährt ihren sechs Monate alten Sohn Carl-Louis immer am Elbufer aus, wenn es das Wetter irgendwie zulässt. Weil sie die Elbe mag - und auch weil der Kleine tagsüber nur schläft, wenn er im Kinderwagen kutschiert wird. Frühlingsgefühle kommen bei ihr trotz Sonne und Schwitzen aber nicht auf - da stören die überall herumliegenden Schneereste doch zu sehr. "Dabei sehne ich mich so nach Sommer", sagt sie.

Ein paar Kilometer weiter nordwestlich auf der anderen Elbseite haben zwei Frauen ihre Kinderwagen erst mal geparkt. Sie sitzen vor dem Café Amphore auf St. Pauli direkt am Hafen. Sie recken die Gesichter Richtung Sonne, die Augen genießerisch geschlossen. "Das erinnert mich ein bisschen an Skiurlaub", sagt Christel Ebeling, 63, die mit ihrer eineinhalbjährigen Enkelin Emma gerade vom Schwimmen kommt. Neben ihr liegen silberne Skihandschuhe und eine pinkfarbene Sportmütze. Auf dem Tisch steht ein Glühwein. "Den brauche ich aber nicht, weil es so warm ist", sagt sie. Warm? Tatsächlich, an den mit Planen geschützten Tischen direkt in der Sonne fühlt es sich gar nicht so kalt an. Also wird noch ein kleiner Prosecco bestellt. Auf den Frühling.

Ilse-Marie Schmidt, 59, und Gudrun Dahlke, 63, haben da einen anderen Trick. "Wir laufen heute einfach in die andere Richtung, damit wir Rückenwind haben", sagt Schmidt. Die Blankeneserin walkt mit ihrer besten Freundin jeden Tag am Elbstrand. Und der Rückweg? "Dann gehen wir oben rum, da ist es windgeschützter." Und überhaupt: Wer sich bewegt, der friert ja nicht. "Außerdem tragen wir den Frühling im Herzen", sagt Dahlke und muss ein bisschen über sich selbst schmunzeln. "Nun müssen wir aber. Sonst fangen wir doch noch an zu frieren."

Als sie ein paar Meter gelaufen sind, kommt ihnen Natalia Marreiro entgegen. Sie ist 25 - und kommt aus Brasilien. Der Kulturschock war bei ihr also vor allem ein Wetterschock. "Ich bin seit fünf Monaten als Au-pair-Mädchen hier in Hamburg. Und musste mich erst mal ganz neu einkleiden", erzählt sie. Und es gibt wohl kaum einen in der Stadt, der sich den Sommer sehnlicher herbeiwünscht als sie. "Ich vermisse so sehr die Freiheit, einfach rauszugehen, ohne zu überlegen, wie warm ich mich anziehen muss", sagt sie. Verständlich. In Rio sind gerade 27 Grad. Eines versichert sie noch, bevor sie weitergeht: "Eure Stadt ist wirklich schön." Und das mit den 27 Grad, das schafft Hamburg schon noch.

Brasilien, das findet Frank Lucht auch nicht schlecht, jetzt gerade träumt er aber von den Bahamas. Es ist sein 43. Geburtstag und er hat einen Ausflug mit seiner Frau Jasmin zum Aussichts-Café am Flughafen gemacht. "Da bekomme ich schon Lust auf Urlaub", sagt er und schaut den Flugzeugen hinterher in den Himmel. Da das nicht gehe, müssten eben die Sonnenstrahlen in Hamburg ausreichen. "Aber jetzt, wo die ersten Knospen sprießen, ist der Winter eh schon abgehakt." Recht hat der Mann.