Eine Behinderung ist für Paul Gerhard kein Grund, nicht zu wählen. Für andere schon

Eppendorf. Stimme zu, unentschlossen, stimme nicht zu - Paul Gerhard, 29, sitzt vor dem Computer und klickt schnell durch die Themen des Wahl-O-Mats. Gerhard wohnt in einer Wohngemeinschaft für behinderte Menschen in Eppendorf. Kein Grund, nicht zu wählen. "Ich bin ja nicht auf den Kopf gefallen, und meine Stimme ist auch wichtig", sagt er. Neben ihm sitzt Betreuer Christian Schütze, 47. Mit den Begriffen Vorratsdatenspeicherung und Privatisierung kann Gerhard nur wenig anfangen. Schütze versucht, sie ihm zu erklären. "Der Großteil der Behinderten hat das Bedürfnis zu wählen, schließlich wollen sie am Alltag teilnehmen wie alle anderen", sagt er.

Bei den meisten Thesen, die der Online-Kandidatencheck abfragt, nimmt Gerhard sofort völlig selbstständig eine Bewertung vor. Elbvertiefung? "Ja klar, wir leben in einer neuen Zeit." Stadtbahn? "Nee, das kostet zu viel Geld." Mehr Kameraüberwachung? "Ja, weil so viel Gewalt passiert." Mit zwei Parteien hat Gerhard besonders viele Übereinstimmungen. Das Ergebnis überrascht ihn nicht. "Aber bis Sonntag kann ich mir noch dreitausendmal überlegen, wen ich wähle."

Dem Wahlgesetz nach dürfen alle behinderten Hamburger wählen, insofern sie nicht in allen Angelegenheiten unter Betreuung stehen. "Der Gesetzgeber lässt lieber einen zu viel wählen, als einen zu wenig", sagt Prof. Dr. Bettina Heiderhoff, 44, Expertin für Betreuungsrecht an der Universität Hamburg. Natürlich gäbe es die Gefahr, dass die Behinderten die Situation nicht ausreichend erfassen oder beeinflusst werden, aber die gäbe es bei vielen nicht-behinderten Menschen ebenfalls.

Eine ähnliche Problematik gibt es auch bei Älteren. Gut 18 Prozent der Hamburger Wähler sind über 70 Jahre alt. "Wir versuchen, vorher mit Fragen herauszufinden, ob die Bewohner überhaupt wissen, worum es geht", sagt Martin Fritz, 45, Leiter des Ruckteschell-Heims. Wenn Hilfe nötig ist, übernehmen das meist die Angehörigen. Für alle anderen gibt es einen Datenschutzbeauftragten, der Missbrauch vermeiden soll.

Dreieinhalb Minuten war Paul Gerhard gestern in der Wahlkabine. Als er herauskommt, klatscht er und freut sich. "Das ging einfach", sagt er.