Die GAL hat sich als Machtfaktor in Hamburg fest etabliert. Angesichts ihrer politischen Bilanz ist das allerdings ein merkwürdiger Erfolg

Hamburg. Neben einem Hähnchengrill am Schreyerring in Steilshoop steht ein grün-gelber Sonnenschirm der GAL. Der Abend ist kalt und feucht. Eine Frau von Ende 50 aus dem gegen überliegenden Restaurant Das Café fragt den GAL-Bezirkspolitiker Michael Schweiger, was sie nach dem Auslaufen ihres befristeten Vertrags tun soll. Das Café wird vom gemeinnützigen Träger Alraune geführt und versucht, arbeitslose Menschen wieder in den Arbeitsmarkt einzufädeln. Konkret kann Schweiger der Albanerin nicht helfen. "Man müsste Ein-Euro-Jobs, Hartz IV und Wohngeld zu einem Lohn für ehrliche Bürgerarbeit zusammenfassen", versucht er, ihr Mut zu machen.

Seit zwölf Jahren lebt Schweiger, 43, in Wandsbek und macht dort Politik. Nun kandidiert er für die Bürgerschaft. Der Stadtteil und die Arbeit in Steilshoop seien seine "Leidenschaft", sagt der Sozialpädagoge und Betriebswirt beim Rundgang durch die Betonburgen. 15 000 Menschen leben in der Retortenstadt im Nordosten Hamburgs. Die Arbeitslosigkeit liegt über dem Hamburger Schnitt, vor allem bei Jugendlichen. Kinderarmut ist verbreitet.

Er sei kein Umweltaktivist, sondern durch die Sozial- und Wirtschaftspolitik zu den Grünen gekommen, sagt Schweiger. 6,6 Prozent erzielte die GAL bei den Wahlen im Jahr 2008 in Steilshoop, weniger als die Linkspartei. Die Diskussionen, die Schweiger hier führt, folgen einer anderen Logik als die Debatten westlich der Alster. "Die Menschen hier können mit energieeffizienter Fassadendämmung wenig anfangen", sagt er. "Sie wollen, dass ihre uralten Fenster gegen moderne mit Kippmechanismus ausgetauscht werden, damit ihre Kinder beim Lüften nicht aus dem zehnten Stock fallen." Die Schulreform und die teilweise Integration der Gymnasien hätten viele Steilshooper abgelehnt: "Sie wollen die Hoffnung nicht verlieren", sagt Schweiger, "dass ihre Kinder irgendwann mal auf ein Gymnasium gehen können."

Handfeste Quartierspolitik betreiben Schweiger und seine Mitstreiter in Steilshoop. Im Profil der GAL ist das kaum präsent. "Wir haben uns hier im Viertel gut vernetzt. Grüne Politik ist auch Sozialpolitik", sagt Schweiger. "Ich werbe dafür, dass diese Themen bei der GAL mehr Gewicht bekommen."

Das Café Leonar im Grindelviertel liegt eine Welt weit entfernt vom Café in Steilshoop. Die GAL hat zu einer Podiumsdiskussion über die Frage "Uni: Wohin gehst du?" geladen. Das jüdische Restaurant ist eine Art urbanes Wohnzimmer der Hansestadt. Aber der Saal hinter dem Gastraum bleibt an diesem Abend fast leer. Der Termin war in Eimsbüttel plakatiert. Gekommen sind 13 Zuhörer, darunter Parteimitglieder.

Krista Sager wirkt müde. Neben ihr auf dem Podium sitzen Till Steffen, der bis zum Bruch der schwarz-grünen Koalition im November Justizsenator war, ein Professor und ein Eimsbüttler GAL-Bezirkspolitiker. Es geht um den Ausbau der Universität und darum, wie sich die Hochschule besser darstellen sollte.

Das Thema könnte knapp drei Wochen vor der Hamburger Wahl Menschen elektrisieren, doch Spannung kommt nicht auf. Steffen, 37, tritt im Wahlkreis 5, der den südlichen Teil des Bezirks Eimsbüttel umfasst, als Spitzenkandidat für die Bürgerschaft an. Die leeren Stühle entschuldigt er verlegen: "Das Bezirksamt hat viele Konfliktpunkte um das Wachstum der Uni im Viertel bereits aufgearbeitet."

Auch Sager, die profilierteste Bildungspolitikerin der Grünen, kann keinen echten Wahlkampfknüller beisteuern. "Man sollte auf dem Campus mal einen Laden eröffnen, in dem Produkte mit dem Emblem der Uni verkauft werden, so wie sie es in den USA machen", lautet einer ihrer Vorschläge. "Warum müssen Studenten auf ihren T-Shirts immer nur für Fußballvereine werben?"

Sager trägt einen grünen Blazer und schwarze Hosen, die Farben der verflossenen Koalition. Mit ihrer Garderobe ähnelt sie auf seltsame Weise Angela Merkel. Sager, 57, zählt zu den Wegbereitern grüner Regierungsbeteiligung im Bund und in der Hansestadt. Mitte der 90er-Jahre führte sie gemeinsam mit Jürgen Trittin die Partei in Berlin. Von 1997 bis 2001 amtierte sie als Wissenschaftssenatorin im ersten rot-grünen Senat unter SPD-Bürgermeister Ortwin Runde. Seit 2002 sitzt sie im Bundestag. Die Veteranin verkörpert den Weg der Grünen von den Sitzblockaden der 80er-Jahre in die Kabinette. Ihre Partei ist in der politisch so ersehnten Mitte der Gesellschaft angekommen. Doch was will sie dort? "Inhaltlich ist dieser Wahlkampf um die Bürgerschaft etwas diffus. Es gibt nicht das eine überragende Thema", sagt sie.

Nach der gescheiterten Koalition mit der CDU will die GAL einen zweiten Versuch mit der SPD wagen. Und das soll keine Wiederholung der 90er-Jahre werden, meint Sager, deren Tonfall nach der Veranstaltung plötzlich doch sehr kämpferisch klingt: "Mit den Grünen gibt es kein Zurück in frühere Jahrzehnte. Wir sind keine politischen Underdogs mehr, deren Regierungsfähigkeit man anzweifeln kann. Fragt sich, ob die SPD das realisiert hat."

Gut sechseinhalb Jahre lang war die GAL zwischen 1997 und 2010 an zwei der in dieser Zeit vier Hamburger Regierungen beteiligt. 14 Prozent Stimmenanteil bescheinigt die aktuelle Umfrage des NDR der Partei für die Bürgerschaftswahl - obwohl die GAL wesentliche Ziele, die sie in der Koalition mit der CDU umsetzen wollte, verfehlt hat: Das Kohlekraftwerk Moorburg des Vattenfall-Konzerns wird gebaut, die Stadtbahn aber vermutlich nicht. Die Schulreform, das wichtigste Projekt der schwarz-grünen Regierung, wurde von einer Bürgerinitiative gekippt.

In der Verkehrspolitik bleibt die Bilanz auch jenseits des Prestigeprojekts Stadtbahn trübe: Hamburgs Radwege sind vielerorts so rau und wellig wie Omas Waschbrett. Durch Wohnviertel und Einkaufsstraßen, auch in grünen Hochburgen wie Eimsbüttel oder Ottensen, wälzen sich tagein, tagaus Kolonnen von Autos und Lastwagen.

Der "Markenkern" der Grünen ist der Ausgleich von Ökologie und Ökonomie. Die GAL will die Emissionen von Treibhausgasen in Hamburg in den kommenden Jahrzehnten um bis zu 80 Prozent verringern. Doch dafür müssten die Grünen an der Elbe wohl weit mehr tun als bislang, denn Hamburg ist eine hochtourige Wirtschaftsmaschine. Die Hansestadt verzeichnet pro Kopf das höchste Bruttoinlandsprodukt aller Bundesländer, mit dem Außenhandel über den Hafen, auch mit Groß- und Schwerindustrie. Die geplante Vertiefung der Elbfahrrinne ist Grünen so verhasst, wie es Ende der 90er-Jahre die teilweise Zuschüttung des Mühlenberger Lochs für den Ausbau der Airbus-Werft war. Beiden Großprojekten aber stimmte die Partei in ihren Regierungszeiten zu, weil sie sonst nicht an die Regierung gekommen wäre.

"Bei der GAL hat man heute den Eindruck, dass es vielen ihrer Spitzenpolitiker nur um die Karriere geht. Es scheint eher Zufall zu sein, dass sie dabei gerade in dieser Partei gelandet sind", sagt Norbert Hackbusch, einst Mitbegründer der GAL und heute in der Fraktion der Linkspartei in der Bürgerschaft. Er und andere verließen die GAL-Fraktion und die Partei 1999, als die Grünen und Außenminister Joschka Fischer dem Einsatz der Bundeswehr im Kosovo zugestimmt hatten. Hackbusch hält die Spaltung auch nach Jahren noch für richtig: "Die GAL hat Hamburg nicht mitgeprägt. Und sie kann heute nicht mal mehr Opposition." (Von: Olaf Preuß)