Der Hamburger Frachter “Maersk Surabaya“ nahm im Indischen Ozean drei Weltumsegler an Bord, deren Schiff im Sturm zu sinken drohte.

Hamburg/Sri Lanka. Viel Zeit, das war den drei Männern an Bord der 14-Meter-Jacht "Baccus" klar, würde ihnen nicht mehr bleiben. Unter der geschlossenen Luke schöpften sie mit Eimern Wasser aus der Kajüte. Das Wasser schütteten sie in den Ausguss der Spüle, weil sie die Luke nicht mehr zu öffnen wagten. Es wäre mehr Wasser eingedrungen, als sie hätten rausschütten können. Das Wasser stieg und stieg. Schiffseigner Keith Harding, 68, und seine Begleiter Colin Clarke, 68, aus Cambridge sowie der Belgier Sieste Hoff, 29, waren bereits mehr als einmal gegen die Wände ihres Schiffes geschleudert worden. Hardings rechter Arm war verletzt. Eine schwere Zerrung, vielleicht ein Muskelriss. Das war in dieser Situation letztlich aber auch egal. Draußen stürmte es. Massiv.

Die See rau, das Schiff beschädigt, 200 Seemeilen vor Sri Lanka, mitten im Indischen Ozean. Um 23.54 Uhr setzte Keith Harding einen Notruf ab: "Mayday, Mayday." Es sollte noch Stunden dauern, bis die Retter kamen. Kapitän Georg Rohwer, 62, und die 21 Mann Besatzung des Containerriesen "Maersk Surabaya" der Hamburger Reederei Claus-Peter Offen waren es schließlich, die Harding und seinen Begleitern das Leben retteten. Das Abendblatt erreichte den Kapitän und Lebensretter gestern an Bord des Schiffes. Er habe nur seine Pflicht getan, sagte Rohwer. Die Geschichte einer dramatischen Begegnung auf hoher See.

Keith Harding entspricht jenem Bild eines Weltumseglers, das sich Kinder machen, die Abenteuerbücher lesen: Er ist ein weißhaariger Mann mit stattlichem Bauch. Er trägt einen weißen Bart. Mit 18 kaufte er sich sein erstes Segelboot und ließ es an der südenglischen Küste zu Wasser. Zusammengerechnet verbrachte er schon mehrere Jahre ohne festen Boden unter den Füßen. So sehr ist er mit dem Meer verbunden, dass er Jahr für Jahr gebeten wird, den Neptun bei den "Water Gala Days" in seiner Heimatstadt Broadstairs zu spielen. 2002 lassen sich Keith Harding und seine Ehefrau Susan die "Baccus" bauen. Ein nahezu perfekt ausgestatteter Segler, auf dem die beiden den Ruhestand genießen wollen. "So viel wie möglich von der Welt zu sehen und sie zu umsegeln", so beschreiben sie ihre Ziele im Internet. Sechs Jahre segeln sie unbeschwert. Doch dann beginnen die Probleme. Harding erkrankt an Bauchspeicheldrüsenkrebs. Für ihn und seine Frau Susan scheint der Traum gescheitert. Harding wird operiert, besiegt den Krebs. Das Ehepaar sticht erneut in See, setzt die geplante Umrundung des Erdballs fort. 2009 ist es Susan, die krank wird. Ein Arzt diagnostiziert Krebs in der Brust. Wieder geht es in die Heimat. Susan Harding bleibt jetzt dort. Der Kapitän geht ohne seine Frau zurück aufs Schiff. Begleiten lässt er sich von Colin Clarke und Sieste Hoff. Beide sind ebenfalls erfahrene Segler. Im Januar 2011 segeln sie von Malaysia kommend in Richtung Türkei, wo sie eine Regatta bestreiten wollen. Vor Sri Lanka wird aus stetigem Wind ein Sturm "Ein Hurrikan", wird Harding später sagen. Die "Baccus" wird hin und her geworfen, unter Deck wird aus der Ordnung in den Schränken pures Chaos. Wasser tritt ein, durchtränkt den Teppich, die aus den Schränken gefallenen Kleidungsstücke, die Betten. "Es war wirklich nicht mehr schön, alles flog umher. Ich hielt mich an einer Sitzbank fest, als eine Welle über uns hereinbrach und mich umhaute. Ich verletzte mir den Arm", sagte Harding den "Kent Regional News" (KRN).

Georg Rohwer fährt seit 1966 beruflich zur See. Er ist ein Schleswig-Holsteiner - und obwohl er schon vor Jahren an den Bodensee gezogen ist, hört man das. Rohwer steuert die wirklich großen Schiffe. Als Harding in seinem Boot den Notruf absetzt, befindet er sich mehr als 100 Seemeilen von dessen Koordinaten (07 00 Nord 085 00 Ost) entfernt. Der von der Reederei Offen vercharterte Frachter, der eigentlich "Santa Laura" heißt, ist zu diesem Zeitpunkt unterwegs von Salalh, Oman, nach Port Kelang, Malaysia.

Zwei Schiffe sind zu diesem Zeitpunkt dichter dran am Havaristen, doch sie haben keine technischen Möglichkeiten, die Segler von Bord der "Baccus", die jetzt ein Sturmsegel gehisst hat, zu retten. Rohwer antwortet auf den Notruf, der über "Falmouth MRCC" abgesetzt worden war. Er ändert den Kurs, erhöht die Geschwindigkeit seines 322 Meter langen und 44 Meter breiten Giganten. In Sri Lanka wird ein Rettungsschiff in Bewegung gesetzt. Um 9 Uhr hat Kapitän Rohwer die "Baccus" seitlich vertäut. Es herrscht Windstärke 9. Der Schiffskoch steht im Ausguck auf der Brücke. Alle anderen sind mit dem Rettungseinsatz beschäftigt. Rohwer: "Wir sind mit 21 Mann an Bord. In diesem Fall haben wir jede einzelne Hand gebraucht." Über die Lotsentür im Schiffsbauch wird per Winde ein Seil abgelassen. Zuerst wird der junge Belgier in den Schiffsbauch der "Maersk Surabaya" gezogen, dann Colin Clarke, schließlich der Schiffseigner, der die Leinen löst. Die "Baccus" schlägt ein paarmal gegen die Bordwand, treibt ab und sinkt. Die "Maersk Surabaya" setzt ihren Weg nach Port Kelang fort. Im Behandlungszimmer des Schiffes werden die Geretteten versorgt. Harding, stellt sich heraus, hat sich den Bizepsmuskel gerissen. "Wir haben abends zusammengesessen", sagt Kapitän Georg Rohwer. "Harding war gleichzeitig traurig und erleichtert." Traurig über den Verlust seines Schiffes, erleichtert, dass seine Mitsegler und er mit dem Leben davongekommen waren. Harding berichtete von dem Wirbelsturm, in dem sie sich wiederfanden, ohne dass die empfindlichen Instrumente an Bord ein solches Szenario angekündigt hätten. Drei Tage lang wurde das Boot durch schwere See und furchterregendes Wetter geschüttelt.

Die Pumpen waren ausgefallen, die Elektrik hatte sich verabschiedet. Wenn er nicht gewusst hätte, dass er sich in Lebensgefahr befand, hätte er den Notruf nicht abgegeben, sagte der Segler. An Bord der "Maersk Surabaya" war von der schweren See kaum etwas zu spüren. Rohwer berichtet, dass er 1978 schon einmal havarierte Segler aus einer Notlage befreit hatte. Sie trieben manövrierunfähig auf der Nordsee. Jetzt bot Rohwer den Geretteten Bett und Essen, ließ Harding seine Frau anrufen. Mit ihr hatte er auch schon telefoniert, als er sich noch auf dem gemeinsamen Schiff befand. Und Rohwer schimpfte: Harding als Verletzter hätte das Schiff nicht als Letzter verlassen dürfen. Dieser antwortete, er sei der Kapitän. Es sei nicht anders möglich gewesen. "Es ist ein gutes Gefühl, wenn man helfen konnte", sagt Georg Rohwer. In Port Kelang verabschiedeten sich die Männer. Harding ist inzwischen zu Hause, er hat den Plan, die Welt zu umsegeln, aufgegeben. Rohwer legt heute in Hongkong an. Sie wollen telefonieren, wenn sich eine Gelegenheit bietet.