An der Technischen Universität Harburg prüfen die Wissenschaftler den Lernfortschritt ihrer Studenten mit Multiple Choice Fragen.

Hamburg. Zunächst fallen die großen schwarzen Kisten im Hörsaal auf, in denen vereinzelt kleine, grasgrüne Fernbedienungen stecken. Die meisten Studenten haben sich schon bedient und die Geräte auf ihre Schreibpulte im Audimax 1 der Technischen Universität Harburg (TUHH) gelegt. Die Szenerie erinnert ein wenig an die Zuschauerfrage bei "Wer wird Millionär?" Die Stimmung ist gut, auch wenn im Hörsaal keine Quizshow auf dem Programm steht, sondern eine Vorlesung: "Grundlagen der Elektrotechnik I".

Klingt wenig unterhaltsam. Doch Professor Günter Ackermann würzt seine Vorlesungen gern mit Fragen an seine Studenten. Dafür benutzt er mehrmals pro Veranstaltung die Hightech-Anlage. Um herauszufinden, ob die Studierenden verstanden haben, was er vorne vorträgt und mit Notizen und Diagrammen auf der Tafel untermauert, stellt der Elektrotechnik-Professor immer wieder Multiple-Choice-Fragen. Die Studenten können sich dann kurz beraten und per Knopfdruck für Antwort A, B, C, D oder E entscheiden. Der Vorteil für den Lehrenden: Er kann erkennen, wo seine Studenten noch Defizite haben, wo es Missverständnisse gibt, was er noch besser erklären muss. Ziel ist es, die Zahl der Abbrecher bei Ingenieurstudien zu senken, denn der Bedarf an Ingenieuren wird laut Prognosen in den kommenden 25 Jahren um 39 Prozent steigen.

Der Einsatz der Fernbedienungen, auch "Clicker" genannt, ist Teil des Projekts "Aktives Lernen in den Ingenieurwissenschaften" an der TUHH, das Christian Kautz und Andrea Brose leiten. Kautz, verantwortlich für die Fachdidaktik der Ingenieurwissenschaften, und seine Kollegin Brose, eine Mathematikerin, beraten Hochschullehrer, wissenschaftliche Mitarbeiter und Tutoren, wie sie die Lehrinhalte mit modernen Methoden vermitteln können. "An den Schulen hat sich die Unterrichtsmethodik vielleicht schon stärker verändert, aber an der Uni gibt es doch noch die Tendenz, bei großen Gruppen einfach Vorlesungen zu halten", sagt Kautz. Es sei wichtig, mehr aktive Mitarbeit einzubauen.

Zum Projekt "Aktives Lernen" gehören auch moderne Lehrmaterialien. "Wir versuchen zu verstehen, woran es hapert. Interessanterweise sind die Schwierigkeiten so universell, dass man in Pittsburgh die gleichen Probleme hat wie in Hamburg", sagt Kautz. "Wir interviewen die Studenten, machen Tests, die uns zeigen, wo die großen Verständnisprobleme liegen, und erarbeiten dann entsprechende Arbeitsblätter."

Die modernen Methoden werden auch bereits in den Fächern Thermodynamik, Mechanik und Informatik eingesetzt. "Mechanik, Thermodynamik und Elektrotechnik gehören zu den Grundlagen-Veranstaltungen, die als eher schwierig gelten", sagt Kautz. Das bringe immer wieder Studenten dazu, ihr Studium abzubrechen.

Dass da jemand kommt und genau auf das Geschehen im Hörsaal blickt, gefällt indes nicht jedem Professor. Günter Ackermann, der seit 1995 an der TUHH unterrichtet, hat damit kein Problem: "Ich war skeptisch, habe aber gesagt, ich probiere es mal. Und ich bin sehr positiv beeindruckt. In die Vorlesung kommt Bewegung rein, und man kriegt sofort ein Feedback."

Catharina Kayser, die Verfahrenstechnik studiert, sitzt in seiner Vorlesung und schätzt die modernen Methoden: "Es macht Spaß, und man freut sich, wenn man die Aufgaben lösen kann", sagt die 19-Jährige. "Es motiviert sehr, wenn man die richtigen Antworten gibt", sagt auch ihre Freundin Agnes Kagan, 20. Und wenn man die falschen gibt, blamiert man sich nicht vor den 350 Kommilitonen im Hörsaal. Dass sie und ihre beiden Freundinnen C statt D gedrückt haben, weiß ja keiner - außer ihnen selbst. Aber sie wissen dadurch, dass sie noch Defizite haben.

Und Professor Günter Ackermann weiß, da nur 44 Prozent seiner Studenten die Frage richtig beantwortet haben, dass er an das Thema noch mal ranmuss, es noch einmal vertiefend erklären muss.

Für Andrea Brose gibt es einen weiteren wichtigen Aspekt beim Clicker-Einsatz: "Die Studenten sind aktiv dabei, weil sie wissen, dass die nächste Frage kommt. Sie müssen sich sofort mit dem Gehörten beschäftigen."

Die Nordmetall-Stiftung finanziert das Projekt "Aktives Lernen" mit 210 000 Euro. "Der Fachkräftemangel ist da. Wir brauchen deshalb nicht nur mehr Studenten, sondern vor allem mehr Absolventen in den Ingenieurwissenschaften", sagt Peter Golinski, Bildungskoordinator der Nordmetall-Stiftung. Der gleichnamige Arbeitgeberverband will mit den Stiftungsprojekten gezielt den Nachwuchs für die Metall- und Elektroindustrie sichern. "Es gibt auch eine Mitverantwortung der Hochschullehrer, dass es die Studenten bis zum Ende des Studiums schaffen", sagt Peter Golinski.