Ob Titan-Pfannen, Vasen aus Birkenrinde oder der Hornhaut-Raspler. Zigtausend Menschen wollen sich hier “viele unnütze Dinge ansehen“.

St. Pauli. Schubsen is' nicht. Eher höfliches Voranschieben. Schließlich will jeder Mal am Aktionsstand in Halle B 7 live dabei sein, wenn die riesigen Titan-Pfannen, der neuste Hornhaut-Raspler oder der Sauger mit Dampf vorgestellt werden. "Das braucht doch kein Mensch", zischt eine Frau neben mir. Aber nur ganz leise. Denn um sie herum ist eine eingeschworene Messe-Gemeinde , die sich nicht ums Brauchen schert.

Überhaupt ist das Wort Verbrauchermesse irreführend. Täuscht es doch echten Mehrwert in Form von Information, Service und vielleicht auch noch Unterhaltung vor. Tatsächlich werden hier dicht an dicht Produkte und Dienstleistungen gezeigt, die man noch nicht kannte - und vor allem nicht braucht.

Das Irre ist: Jährlich kommen genau deswegen Zigtausend Menschen. Sie wollen "sich viele unnütze Dinge ansehen", sagt eine junge Messebesucherin, bevor sie sich ins Getümmel stürzt. Und ich hinterher. Schließlich bekommt man nur hier kussechten Knoblauchspeck, Sensations-Klebstoff, Pfeifentabak, Vasen aus Birkenrinde und ein Urlaubsarrangement, das man nun wirklich nicht ausschlagen kann: Silvester in Bad Honnef!

Weiter geht's zum Nähmaschinenstand mit Kreativ-Workshop-Angebot, zu den Jeder-kann's-Yamaha-Klavieren, zur Handschriften-Analyse ("ein Vergnügen für Sie persönlich und Ihre Bekannten") und zu Büchern - das Stück für 2,50 Euro. Da, endlich, ein Lichtblick: der Prosecco-Stand (Glas 1,50 Euro, mit Aperol 2,50 Euro). Mit einem kleinen Schwips lässt sich der Abenteuer-Parcours des schlechten Geschmacks einfach leichter ertragen.

"Da ist es voll, da gibt es Essen und Trinken." Ein weiser Spruch, der sich immer wieder bewahrheitet. Auch auf der Verbrauchermesse. In Halle B 2 schieben sich monströse Schinken- und Frikadellenbrötchen an dänischen Softeistüten vorbei, während nebenan gigantische Wurstkörbe für zehn Euro gepriesen werden.

Für Vegetarier gibt's Käsespätzle aus der Tüte. Dafür müssen sie die Volksmusik aushalten, die aus allen Lautsprechern im "Schwarzwald" dudelt. Die Kellner gestresst, aber immer ein gönnerhaftes "Lass es dir gut schmecken, mein Freund" auf den Lippen. Ein bisschen heile Welt auf der "Du und Deine Welt".

In der nächsten Halle präsentiert sich der Deutsche Bundestag mit einer Mini-Reichstagskuppel, Polizei und Bundeswehr rekrutieren ebenso unverhohlen Nachwuchs ("Karriere im Heer") wie Finanzplaner, Krankenversicherungen und ADAC um Kunden buhlen (sehr gefragt ist der Überschlagsimulator im alten VW Golf). Während mein Begleiter magisch vom Schaupanzer der Bundeswehr angezogen wird und sich die zweite Bratwurst gönnt, beschleicht mich langsam der Gedanke: "Irgendwie ist das nicht so ..."

Schnell ein Abstecher in die Wellness-Abteilung: Dort entspannt sich der Messebesucher auf Massagestühlen oder lässt sich bei einer Verjüngung-ohne-Lifting-Behandlung verwöhnen. Wie eine koreanische Handakkupunktur wirkt, eine Infrarot-Schwitzkabine funktioniert und warum mit Wasser gefüllte Einlegesohlen gesünder sind als herkömmliche, wollte ich eigentlich noch nie wissen. Auf der Messe erfahre ich es trotzdem.

Es muss das Wetter sein, denke ich, als ich die vielen begeisterten Gesichter an Deutschlands größter Mittelalterspektakel-Indoorfläche sehe. Gerade wird ein falscher Ritter auf einem echten Pferd zu Boden gerissen. Die Kinder schreien, Mama klatscht und Papa holt noch mal 'ne Runde Pizza-Würstchen-Cola für alle, respektive einen Schoppen Wein und ein Bier vom Fass für die Eltern. Die meisten Besucher sind vermutlich froh, dass überhaupt etwas passiert an diesem tristen, öden, verregneten Tag. Da ist ein Drachenkampf mit echtem Feuer eine willkommene Attraktion, auch wenn das Schauspiel drum herum recht albern wirkt.

Die Sorge der Veranstalter, zeitgleich zum verkaufsoffenen Sonntag zu starten, war unbegründet. Das Messegelände ist voll, die Stimmung gut. Dabei: Umsonst abzugreifen (der entscheidende Vorteil zum Shopping-Sonntag) gibt es kaum etwas. Must-have der "Du und Deine Welt" ist eine große Plastiktüte mit mehreren Chip-Variationen sowie ein mit Nudeln gefüllter Rucksack. Und die beruhigende Erkenntnis: "Das ist nicht meine Welt."