Wilfried Maier (GAL) und Karl-Heinz Ehlers (CDU) trennten früher politisch Welten. Ein Gespräch über Linke, Bürgerliche und schwule Erziehung.

Neustadt. Sie kamen mit dem Fahrrad zum Interview. Karl-Heinz-Ehlers, der Kaufmann und innenpolitische Hardliner der CDU, und Willfried Maier, der Ex-Kommunist und Mitbegründer der Grünen. Zum Feindbild taugen beide einander schon lange nicht mehr. Ein Gespräch zweier Männer, die sich schätzen gelernt haben.

Abendblatt:

Herr Ehlers, wie lange dauert es noch, bis die CDU in Hamburg auch eine Koalition mit den Linken eingeht?

Karl-Heinz Ehlers:

Das ist noch nicht absehbar. Da liegen solche Welten dazwischen. Das dürfen wir auch nicht machen, wenn wir nicht noch den Rest unserer konservativen Klientel verprellen wollen.

Gegen die GAL hat die CDU vor einigen Jahren viel härter Front gemacht.

Ehlers:

Das war trotzdem etwas anderes: Wir sind, wie die Grünen, wertkonservativ und wollen die Schöpfung bewahren.

Willfried Maier:

Wir verstehen uns zwar nicht als religiöse Partei. Aber dass man Millionen Jahre von Evolution nicht durch kurzfristige Eingriffe gefährden sollte, da sind wir uns einig.

Herr Maier, wann treten Sie bei der CDU ein?

Ehlers:

Der heutige Willfried Maier würde gut zu uns passen.

Maier:

(Räuspert sich) Ich fühle mich bei den Grünen wohl. Allerdings hatte ich auch schon Anfragen von der SPD. Vielleicht liegt das an meinem verträglichen Naturell. Um Immanuel Kant zu zitieren: Das Wichtigste in der Politik ist zu lernen, auch vom Standpunkt des anderen aus denken zu können.

Spötter sagen, die GAL sei für fast alles zu haben und werde die neue FDP. Ihre Mitglieder sind doch Oberstudienräte, Ärzte und Rechtsanwälte.

Maier:

Die Grünen waren in ihrer Gründungsphase sehr jung, viele Studierende, die jetzt älter geworden sind und Geld verdienen. Und wenn sie die sozialliberale FDP der frühen 70er-Jahre nehmen, dann ähneln sich viele Motive. Bürgerrechte und soziale Gerechtigkeit, zum Beispiel. Allerdings ist die zentrale Bedeutung des Umweltthemas ganz unsere Sache. Die heutige FDP finde ich zum Erbrechen.

Ehlers:

Das ist neoliberale Klientelpolitik, was die FDP da teilweise macht.

Aber hatte die CDU nicht vor der Wirtschaftskrise auch neoliberale Grundsätze?

Ehlers:

Da hat sich lange vorher ein Wandel angedeutet, der in der Wirtschaftskrise zum Ausdruck kam. Ole von Beust hat das beschrieben mit dem Satz, er sei nach links gerückt im Laufe der Zeit.

Sind Sie auch nach links gerückt, Herr Ehlers?

Ehlers:

Nicht nach links. Ich habe eine strenge ordnungspolitische Überzeugung: Gesetze darf man nicht mit dem Anspruch des Gutmenschen brechen.

Maier:

Das ist im Prinzip richtig. Aber es gibt Situationen, in denen eine gezielte Regelverletzung zu öffentlicher Kommunikation wird.

Ehlers:

Das ist gefährlich, Herr Maier.

Maier:

Aber manchmal nötig. Man muss allerdings die Strafe akzeptieren, die folgt. Werde ich nach einer Sitzblockade verurteilt, kann ich mich nicht deshalb entziehen, weil ich meine Motive für edel halte.

Ehlers:

Ich nenne das Nötigung, das ist strafbar.

Demonstrieren und nötigen, macht die GAL das eigentlich noch?

Ehlers:

Da hat sich die Partei schon verändert. Ich erinnere mich daran, wie die GAL einmal nachgedruckte Geldscheine in der Bürgerschaft verstreute, um gegen höhere Diäten zu protestieren. Natürlich war ich damals empört. Aber auch amüsiert.

Sie sind sich also einig, dass die GAL ziemlich langweilig geworden ist.

Maier:

Wenn man in Regierungsverantwortung ist, ist die Logik des eigenen Handelns anders: Wir müssen in Hamburg keine oppositionelle Aufmerksamkeit erwecken. Das heißt nicht, dass wir nicht in Gorleben demonstrieren. Auf Bundesebene sind wir Opposition und bekämpfen die Atompolitik auch mit Demos.

Sind die Grünen nur gut in der Opposition?

Maier:

Nein, wir sind eine ziemlich gute Regierungspartei.

Erst nach dem Rücktritt von Beusts hat die Partei ihn öffentlich kritisiert. Sind nur noch Duckmäuser in der Union?

Ehlers:

Regieren lebt auch von Loyalität. Man kann nicht jeden linken oder rechten Rand der Partei mitnehmen.

Maier:

Unsere Partei ist diskussionsfreudiger. Es wird auch Kritik laut, wenn die Regie auf Parteitagen zu sehr von Regierungsseite geführt wird.

Bürgerbeteiligung ist grüne Politik. Aber GAL-Fraktionschef Jens Kerstan warnte kürzlich davor: In Kalifornien habe der außerparlamentarische Einfluss dazu geführt, dass der reiche US-Bundesstaat vor der Pleite stehe.

Maier:

Diese Gefahr sehe ich auch. In Kalifornien können Bürger z. B. sowohl gegen Steuern als auch gegen Kürzungen abstimmen. Das Ergebnis ist die Staatspleite. Es kann nicht sein, dass wir Volksentscheide über haushaltspolitische Themen im engeren Sinne haben. Die lassen sich nicht nach Ja oder Nein entscheiden. Im Fall der Schulreform müssen wir anerkennen, dass es uns nicht gelungen ist, breit genug zu überzeugen. So beteiligten sich vor allem Menschen aus Ober- und Mittelschicht. Dagegen habe ich nichts, aber es muss gelingen, auch die Unterschichten zu mobilisieren.

Ehlers:

Plebiszitäre Elemente in der Gesetzgebung entmachten das Parlament stückweise. Da haben wir uns was ans Bein gebunden, was wir so schnell nicht wieder loswerden.

Die CDU will staatliche Betreuung in Krippen, Horten, Kitas. Herr Ehlers, es ist erst zehn Jahre her, da galt so etwas in Ihrer Partei als Teufelszeug aus der DDR-Mottenkiste.

Ehlers:

Ja, die CDU hat sich in vielen Bereichen verändert, und ich bin nicht mit allem einverstanden. Vor 20 Jahren habe ich noch gedacht: Die Kinder werden von ihren Eltern erzogen. Punkt. Aber in der Kindertagesbetreuung habe auch ich meine Meinung geändert. Weil ich glaube, dass es jene Familien oft nicht mehr gibt, in denen Kinder aufwachsen sollten. Da muss der Staat einspringen, so auch bei den vielen Migrantenkindern zweiter, dritter Generation: Sie müssen Deutsch lernen und ein Familienmodell vermittelt bekommen, mit dem sie Zugang zu unserer Gesellschaft erhalten.

+++ Porträt: Der Grüne +++

+++ Porträt: Der Schwarze +++

Herr Maier, hat Ihre Partei das nicht schon immer gesagt?

Ehlers:

Nein ...

Maier:

Doch, doch, mit genau diesen Argumenten. Und dass die Frauen nicht nur auf die Mutterrolle beschränkt werden dürfen.

Ehlers:

Da würde ich nicht mehr mitspielen. Frauen müssen sich für Familie entscheiden dürfen, ohne dafür diskriminiert zu werden. Ich bin nicht für die Gleichberechtigung (etwa finanziell) aller möglichen Lebensformen. Ich glaube zum Beispiel, dass schwule Paare Kinder nicht angemessen erziehen können.

Maier:

Da bin ich anderer Meinung.

Ehlers:

Da fehlt doch die Frau und Mutter, Herr Maier.

Maier:

Sicher, so wie auch was fehlt, wenn Kinder nur in Kitas sind. Freiheit aller Lebensformen heißt doch nicht: Macht die Mutter-, Vater-, Kindfamilien kaputt, sondern unterstützt das, was es gibt. Wie will der Staat denn die Familie schützen? Entweder die Eltern bleiben freiwillig zusammen oder gehen auseinander.

Herr Ehlers, fehlt der CDU eine konservative Stimme?

Ehlers:

Ja, schon. Ich vermisse in diesen Debatten über Familien Institutionen, die aufstehen und sagen: Wir wollen richtige, klassische Familien. Das sagt nur noch der Papst, und der ist kein guter Kronzeuge für so etwas.

Ist die CDU zwangsliberalisiert worden, auch durch Ole von Beust?

Maier:

Das Problem der modernen Konservativen ist doch, dass sie beides wollen: Beschleunigung in der Gesellschaft, aber traditionelle Strukturen. Eine beschleunigte Arbeitswelt aber führt dazu, dass traditionelle Lebensentwürfe nicht mehr funktionieren. Darin liegt ein Konflikt des eigenen Handelns.

Wird in Hamburg eine neue, konservative Partei gegründet?

Ehlers:

Das kann gut sein. Leute wie Roland Koch und Friedrich Merz, die werden uns auf Dauer richtig fehlen. Aber nicht Leute wie Erika Steinbach oder Roland Schill. Die sind nicht ganz richtig im Kopf. Aber Hamburg ist eine liberale Großstadt. Es ist wahrscheinlicher, dass so eine Partei woanders ihren Ursprung haben wird.

Ist es ein Problem, dass der Senat nicht die Flora räumt?

Ehlers:

Ich ärger mich jedes Mal, wenn ich daran vorbeifahre. Dieses Geschwür im Schanzenviertel ist rechtswidrig, wie auch Teile der Hafenstraße: Es waren Leute drin, die haben die Häuser geschenkt bekommen.

Maier:

Ich denke, dass da derzeit niemand ran will. Man muss an den Frieden in der Stadt denken. Es gibt inzwischen zahlreiche jugendliche Gewalttouristen, die Anlässe suchen.

Was würden Sie entscheiden?

Ehlers:

Die Flora räumen. Eindeutig. Nach Gesprächen - aber die Stadt ist nicht Eigentümer.

Maier:

Das sehe ich etwas anders: Außerdem glaube ich, dass sich Probleme auch auswachsen können - das Umfeld im Schanzenviertel verändert sich stark. Ich war schon erstaunt, als ich damals als Senator Besuch aus der Hafenstraße bekam: Die beklagten sich über Verkehrslärm und wollten einen direkten Zugang zur Elbe (lacht).