Landespolitik-Redakteur Philip Volkmann-Schluck blickt hinter die Kulissen des Rathauses.

Handbremsen sind praktisch, wenn man einen Blitzstart hinlegen will. Man kann sie ziehen und gleichzeitig aufs Gas treten. Dann loslassen, und es geht mit quietschenden Reifen von null auf hundert. Handbremsen können ebenso perfide sein. Die Bremsleuchten bleiben dunkel, der Fahrer des hinteren Autos merkt dann nicht, wenn der Sicherheitsabstand schrumpft. Wer auf diese Art einen Crash verursacht, hat gute Karten bei der Versicherung. Der Übeltäter bleibt im Dunkeln - und wer der Kolonne weiter hinten folgte, bleibt auf dem Schaden sitzen.

Beide Manöver, im politischen Sinne, beherrscht ein Steuermann, der in der zweijährigen Debatte über einen Umzug der Universität Hamburg in den Hafen weitgehend unsichtbar blieb: Bürgermeister Ole von Beust (CDU).

Ausgebremst, so dürfte sich Wissenschaftssenatorin Herlind Gundelach (CDU) fühlen, seit der Bürgermeister den Kleinen Grasbrook als zukünftigen Standort für die Universität "vom Tisch" wischte. "Wünschenswert, aber nicht notwendig", damit war das Thema erledigt. Von Beust gilt als einer, der spontanen Entscheidungen nicht abgeneigt ist - so offenbar auch beim Aus für den gigantischen Teilumzug der Fachbereiche Natur-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Doch bis zuletzt hat die Wissenschaftsbehörde Gas gegeben, Arbeitsgruppen haben diverse Pläne weiter ausgearbeitet. Im großen Stil, das läuft nicht ohne grünes Licht vom Senatschef. Nach Abendblatt-Informationen fiel erst in der Sparklausur die Entscheidung: Das Milliardenprojekt, das überdies auf scharfe Ablehnung an der Universität und bei Teilen der Bevölkerung traf, sei aufgrund der Finanzkrise nicht finanzierbar.

Das alleine ist gewiss noch kein Grund für einen großen Knall. Die Folgen der Finanzkrise waren ja schon seit Monaten gut sichtbar. Wie ein Schlagbaum am Ende des Tunnels, auf den das Kommando Kleiner Grasbrook zusauste. Dennoch ist nach Abendblatt-Informationen von "Frust" und "Ernüchterung" die Rede bei den Behördenmitarbeitern, die bis zum Ende viel Arbeit in das Projekt gesteckt haben.

Schließlich lief das Handbremse-mit-Gaspedal-Spielchen des Senatschefs schon länger. Bereits im Frühjahr 2009 galoppierte Gundelach los, sie legte ihre "Studie zur baulichen Entwicklung" vor, die das Szenario "Kleiner Grasbrook" als beste Option kennzeichnete. Die Wissenschaftssenatorin, die zuvor Staatsrätin für Stadtentwicklung war, sprach stets von "ergebnisoffener Prüfung" - tat aber ihr Bestes, die vom Senat gesehenen Vorteile des neuen Standorts unverhohlen zu betonen.

Warum die Senatorin die Öffentlichkeit nicht überzeugen konnte, ist eine andere Geschichte. Klarer erscheint nun, warum sich die Entscheidung immer weiter herauszögerte. In der letzten Phase der Debatte wirkte die Senatorin bei öffentlichen Auftritten zuweilen wie eine Fahrschülerin, die Anfahren am Berg übte: Mit kritischen Fragen konfrontiert, kam sie nicht weg vom Fleck, rollte häufiger ein Stück zurück als nach vorne, und würgte am Ende ihren Argumentationsmotor ab. "Ich bitte um Verständnis, dass ich bis zur Entscheidung im Frühjahr nicht mehr dazu sagen kann", hieß es dann. Es sollte ein langes Frühjahr werden, bis zur Regierungserklärung im Juni.

Wer Senatorin Gundelach kennt, der weiß, dass dieses Herumrudern nicht zu ihr passt. Sicher hätte sie gerne auf den Tisch gehauen und ihren Kritikern gesagt, warum ihrer Meinung nach die Uni in den Hafen gehört. Das hätte zumindest mehr Ehrlichkeit in die Debatte gebracht.

Doch es war der Bürgermeister, der im Hintergrund die Handbremse festhielt, aber gleichzeitig die Motoren heulen ließ. Von Beust plante offenbar einen Blitzstart für das Thema Umzug, sobald eine akute Baustelle verschwunden wäre: die Schulreform. Neben ihr wünschte der Senatschef nach Informationen des Abendblatts "kein zweites großes Thema in der Stadt". Zumal sich beide Themen als sehr emotional erwiesen. Die Einigung mit den Schulreformgegnern platzte im Frühjahr, nun steht der Volksentscheid an. Und auch wenn der Umzug der Uni nur diskutiert wurde: 23 000 Hamburger haben schon dagegen unterschrieben.

Warum hat der Senatschef so lange an dem Projekt festgehalten? Beim Kleinen Grasbrook ging es um mehr als eine Verlagerung der Uni, die auch in der Vergangenheit immer wieder mal diskutiert wurde. Erst "acht Jahrzehnte nach ihrer Gründung scheint die Universität - zumindest räumlich - an ihrem Bestimmungsort angekommen", schrieb im Jahr 2002 der damalige Leiter der Uni-Bauabteilung, Michael Holtmann. "Nicht nur von der Adresse her liegt die Uni im Herzen der Stadt", sagte Ole von Beust, als er zur selben Zeit die Flügelbauten am Uni-Hauptgebäude einweihte. Und dort hätte sie nach dem Willen des Senatschefs wohl auch immer bleiben können, wäre da nicht das Projekt "Sprung über die Elbe" gewesen. Dieses Megaprojekt, mit dem Campus als Brückenkopf des Südens, hielt das Projekt Kleiner Grasbrook trotz knapper Kassen und Finanzkrise am Leben.

Ohne diesen mächtigen Mitspieler droht die Sanierung der Universität wieder am Anfang zu stehen. Senatorin Gundelach lässt bereits ein "Sondervermögen" einrichten. Die Opposition nennt das "Schattenhaushalt", weil die Liegenschaften der Uni am regulären Budget vorbei beliehen würden. Was übrigens nicht ausschließt, dass doch noch ein kleiner Campus im Hafengebiet gefunden werden könnte - denn ausschließlich für Eimsbüttel habe sich der Bürgermeister nicht entscheiden, betont die Senatorin. Die Finanzierungsfrage bringt die schwarz-grüne Koalition allerdings zum Knirschen. Die GAL hat in der Bürgerschaft beantragt, das System der Finanzierung noch einmal "ergebnisoffen" zu prüfen. Die sonst in Sachen Hochschulpolitik eher stummen Grünen pfeifen also erstmals die Senatorin zurück - zur Freude der Opposition. "Es ist bemerkenswert, dass die GAL die internen Absprachen der Koalition durch den Antrag für alle sichtbar macht", sagte SPD-Hochschulexpertin Dorothee Stapelfeldt. Für sie ist der Fall klar: Die Sanierung muss aus dem regulären Haushalt bezahlt werden. Nur so sei Transparenz gesichert.

Klar ist bisher nur eines: Die Sanierung der Uni ist - noch immer - überfällig. Finger weg von der Handbremse!